"Du hast meinen Segen" Schäuble, Steinbrück und die K-Frage
06.07.2011, 12:52 Uhr
"Wir sind auf der Hut": Schäuble gratuliert Steinbrück zum Buchpreis.
(Foto: dpa)
Der Kandidat kokettiert: Ex-Finanzminister Steinbrück wird für "Das Politische Buch 2010" ausgezeichnet und lässt die Gelegenheit nicht aus, um mit der Kanzlerkandidatenfrage für die SPD zu spielen. Sein Nachfolger Schäuble gibt ihm seinen Segen: "Deshalb sind wir wachsam, sind wir auf der Hut."
"Eigentlich habe ich schon alles erreicht." Peer Steinbrück blickt ins Publikum. "Ich habe Kinder gezeugt, ein Haus gebaut, einen Baum gepflanzt und ein Buch geschrieben. Deshalb wird mein Leben jetzt deutlich ruhiger." Gelächter im Saal, auch Steinbrück verzieht seinen Mund zu seinem schmallippigen Grinsen. "An dieser Stelle war Ihr Lachen vorprogrammiert." Steinbrücks Plan ist aufgegangen. Das Thema Kanzlerkandidatur muss er nicht einmal direkt ansprechen, um damit kokettieren zu können.
Wo immer der SPD-Politiker dieser Tage einen Auftritt hat – die K-Frage schwebt schon im Raum. So auch an diesem Dienstagabend in der voll besetzten Friedrich-Ebert-Stiftung in Berlin, wo Steinbrück für sein Werk "Unterm Strich" mit dem Preis "Das Politische Buch 2010" ausgezeichnet wird. Ein ehemaliger Finanzminister, der für ein Buch einen Preis bekommt: Das klingt nach dem Oscar fürs Lebenswerk. Doch bei Steinbrück lässt sich derzeit eben nicht sagen, ob es das Ausklingen einer großen Karriere ist. Oder ob sein größtes Werk noch vor ihm liegt.
"Sie genießen das ja auch"
Das Interesse an dem SPD-Politiker ist jedenfalls enorm. Einige Hundert Menschen sind zu seiner Ehrung erschienen. So viele, dass nicht alle Platz finden im Saal. Die Preisverleihung wird in einem zweiten Raum auf Videoleinwand übertragen. Der große Andrang ist zum einen Steinbrück selbst geschuldet. Seit seiner Zeit als Finanzminister der Großen Koalition, der Deutschland durch die Stürme der Finanzkrise steuerte, erfährt der 64-Jährige eine enorme Popularität im Volk. Aus seinem Buch liest er stets vor vollen Sälen, in Politikerrankings steht er ganz weit vorn. Steinbrück ist beliebt als Mann klarer Worte, als Querdenker, der seine Meinung sagt, ohne allzu viel Rücksicht auf Befindlichkeiten zu nehmen. Das ist wie jetzt ohne Amt und Funktion natürlich ein leichtes.
Der zweite Grund für den großen Andrang an diesem Abend ist von dieser Last nicht befreit. Kein Geringerer als Wolfgang Schäuble ist gekommen, zu den "Sozis" wie er neckend sagt. Steinbrücks Nachfolger als Finanzminister hält die Festrede auf seinen Vorgänger. Ebenfalls ein Freund klarer Worte, bringt es Schäuble auf den Punkt: "Sie genießen das ja auch", sagt er mit Blick auf die Kanzlerkandidaten-Spekulationen. Und in der Tat ist dieser Genuss Steinbrück heute deutlich anzusehen.
Steinbrücks Eitelkeit
Schon deutlich vor Beginn der Veranstaltung nimmt er auf seinem Stuhl in der ersten Reihe Platz und setzt sich damit den Kameras der wartenden Journalisten aus. Mit stoischer Ruhe nimmt er das Klicken und Blitzen hin. Da sucht einer die Öffentlichkeit, drängt sich der Eindruck auf. Er will im Gespräch bleiben. Steinbrück kokettiert mit dieser Aufmerksamkeit in seiner Dankesrede. Immer wieder lästert er über die Politikerrankings der Umfrageinstitute. So oft, dass auch der letzte im Saal begreifen muss, wer dabei ganz weit vorne steht. Steinbrück räumt zumindest ein, dass die Preisverleihung seine Eitelkeit streichle. Schäubles Anwesenheit und Rede dürften das ebenfalls tun.
Der CDU-Politiker begegnet dem Sozialdemokraten voller Respekt. Das zeigt schon sein pünktliches Erscheinen, keine Selbstverständlichkeit für einen aktiven Finanzminister. Schäuble genießt den Auftritt beim politischen Gegner. Gut gelaunt rollt er aufs Podium und scherzt, als die Bühne für ihn hochgefahren werden muss: "Sobald ich da bin, geht's aufwärts." Warum ausgerechnet Schäuble die Rede für Steinbrück hält, habe er sich auch gefragt. Doch dann sei der zu dem Schluss gekommen: "Warum nicht?" Es sei doch ein lesenswertes Buch, das Steinbrück geschrieben habe.
Der Kandidat läuft sich warm
Schäuble setzt in seiner Rede nur kleine Spitzen gegen Steinbrück, der sich ebenfalls mit Nettigkeiten revanchiert. Trotz aller Unterschiedlichkeit eint die beiden Politiker ein Grundmaß an Überzeugungen. Zudem kennen und schätzen sie sich aus den Tagen der Großen Koalition, als sie gemeinsam am Kabinettstisch saßen. Als ehemaliger beziehungsweise amtierender Finanzminister sind die hohen Staatsschulden ihnen ein Dorn im Auge. Finanz-, Wirtschafts- und Schuldenkrise treibt sie ebenso um wie die Sorge um die Zukunft Europas. Den Unterschied macht nur ihr aktueller Fokus aus. Während Schäuble die Gelegenheit nutzt, um die Regierungspolitik und die notwendige Langsamkeit demokratischer Entscheidungsprozesse zu erklären, lässt Steinbrück wie in seinem Buch noch einmal die Finanzkrise seit 2008 passieren. Und dann holt er zum Rundumschlag aus.
Demografischer Wandel, überbordende Staatsverschuldung, wachsende Europafeindlichkeit und zunehmender Nationalismus, Politik- und Parteienverdrossenheit: Steinbrück redet über die großen Herausforderungen, die zu bewältigen sind. "Anstrengungen", immer wieder spricht er die "notwendigen Anstrengungen" an. Andere würden ja lieber immer nur Entlastungen fordern. Steinbrück wettert angesichts der hohen Staatsverschuldung gegen die Steuersenkungspläne der schwarz-gelben Koalition. "Dieser Pfeil galt nicht für Sie", sagt er zu Schäuble. In diesem Punkt weiß er den CDU-Mann an seiner Seite. Und so fährt Steinbrück fort. Mal leise, erklärend, mal beschwörend, manchmal fast zischend, immer ein bisschen von oben herab – so doziert er vor seinem Publikum. Das wirkt leidenschaftlich und alles andere als politikmüde. Dieser Mann hat eine Botschaft, präsentiert sein politisches Programm. Der Eindruck bleibt: Da läuft sich jemand warm.
"Muss sich in Acht nehmen"
Dass die K-Frage der rote Faden des Abends ist, hatte schon der Gastgeber zu Beginn der Preisverleihung deutlich gemacht. Peter Struck, das dritte schwarz-rote Kabinettsmitglied in der Runde, ist Vorsitzender der auszeichnenden Friedrich-Ebert-Stiftung. Die Entscheidung für Steinbrück sei zu einem Zeitpunkt gefallen, "als es noch nur um dein Buch ging", sagt der frühere Minister und SPD-Fraktionschef. Mit Lob "für den lieben Peer" müsse er heute vorsichtig sein. "Zu viel könnte Dir schaden, zu wenig könnte Dich beleidigen." Für Struck jedenfalls wird hier kein Politiker am Ende seiner Karriere ausgezeichnet. Auch wenn "Unterm Strich" nach Schlussbilanz klinge, sei er sicher, dass es noch nicht "die Endsumme Deines politischen Wirkens" gewesen sei. "Wo und an welcher Stelle auch immer Du wirkst, Du hast meinen Segen."
Den gibt schließlich auch Schäuble seinem Vorgänger. Allerdings mit einem leicht vergifteten Zitat von Cicero. "Vor Männern, die behaupten, dass sie ein Amt nicht für sich selbst anstreben, muss man sich immer am meisten in Acht nehmen", sagt er mit einem Grinsen zu Steinbrück. "Deshalb sind wir wachsam, sind wir auf der Hut."
Quelle: ntv.de