Fahren Senioren schlechter? Scheuer hat recht - aber nur zum Teil
06.02.2019, 15:39 Uhr
(Foto: picture alliance/dpa)
Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer von der CSU lehnt verpflichtende Fahrtests für ältere Autofahrer kategorisch ab. "Aus der Unfallstatistik ergeben sich keine Auffälligkeiten", sagt er. Statistisch gesehen stimmt das, sagt der Experte Siegfried Brockmann. Aber nur, wenn man nicht genau hinsieht.
n-tv.de: Bundesverkehrsminister Scheuer hat in einem Interview gesagt, "aus der Unfallstatistik ergeben sich keine Auffälligkeiten", die dafür sprächen, verpflichtende Fahrtests für ältere Autofahrer einzuführen. Stimmt das?
Siegfried Brockmann: Ja, da hat er recht. Und der ADAC, der dem Verkehrsminister bei diesem Thema zuverlässig sekundiert, hat auch recht: Aus der Unfallstatistik ergeben sich keine Auffälligkeiten.
Aber?
Senioren sind in den Statistiken deshalb vergleichsweise unauffällig, weil die über 65-Jährigen gemeinsam betrachtet werden. In der Gruppe der 65- bis 75-Jährigen gibt es viele sehr gute Autofahrer, die das Ergebnis für die Senioren insgesamt positiv verzerren. Denn die Probleme von älteren Fahrern beginnen nicht mit 65, sondern mit 75.
Dann hat Scheuer nicht recht.
Jedenfalls nicht für die Gruppe der über 75-Jährigen. Ein weiteres Problem mit der Statistik ist, dass die Zahl der Unfallverursacher häufig auf 100.000 Einwohner der Risikogruppe gerechnet wird. In der Wissenschaft ist das ein probates Mittel, weil man damit eine Bezugsgröße hat. Das ist auf jeden Fall besser als die absolute Betrachtung der Unfallzahlen. Bei den Senioren funktioniert das aber nicht.
Warum?
In der Gruppe ab 75 fahren viele Frauen nicht. Sie haben keinen Führerschein oder haben das Fahren schon vor Jahren aufgegeben. Während unter den 18- bis 21-Jährigen etwa 80 Prozent Auto fahren, sind es unter den über 75-Jährigen nur 40 Prozent. Dadurch kommt man zu völlig falschen Ergebnissen, wenn man die Quoten der Unfallverursacher auf 100.000 Einwohner in diesen beiden Hochrisikogruppen vergleicht.
Gibt es einen sinnvolleren Maßstab?
Die einzig richtige Risikobetrachtung ist das Verhältnis von Unfällen zu gefahrenen Kilometern. Diese Statistik offenbart die ganze Brisanz des Themas. Da sind die Senioren nämlich genauso auffällig wie die 18- bis 21-Jährigen.
Mit dem Unterschied, dass junge Leute langsam aus der Hochrisikogruppe herauswachsen.
Richtig. Bei den 18- bis 21-Jährigen wirken ganz andere Risikofaktoren: Unerfahrenheit und Risikogeneigtheit. Beides wird automatisch besser. Überspitzt gesagt: Je älter ein Autofahrer wird, umso weniger neigt er dazu, den Max zu machen. Senioren haben Probleme, die mit dem Alter nicht ab-, sondern zunehmen.
Welche Probleme sind das?
Medizinische und motorische, vor allem aber kognitive Probleme, also das richtige Einschätzen einer komplexen Situation und das Treffen der richtigen Entscheidung darin. Das wird im Alter tendenziell schlechter.
Gibt es dazu Studien? Denn Scheuer begründet seine Ablehnung von Fahrtests ja mit der angeblich fehlenden sachlichen Grundlage.
Dazu gibt es massenhaft Studien. Aber natürlich treten diese Probleme nicht bei jedem gleichermaßen auf. Nur weil jemand 75 Jahre oder älter ist, muss er kein schlechter Autofahrer sein. Es ist allerdings immer wahrscheinlicher.
Welche Probleme sind die gefährlichsten?
Medizinische Defizite sind aus Sicht der Unfallstatistik nicht so dramatisch, weil sie in der Regel ausgeglichen werden können: Wer nur noch schlecht sehen kann, trägt eine Brille, für Herz-Rhythmus-Störungen gibt es Medikamente. Motorische und vor allem kognitive Einschränkungen können mit Medikamenten oder Hilfsmitteln nicht ausgeglichen werden.
Wären verpflichtende Tests für Senioren nicht diskriminierend?
Die Probleme in dieser Gruppe sind statistisch so auffällig, dass Sondervorschriften keine Altersdiskriminierung wären. Für Fahranfänger gibt es ja auch den Führerschein auf Probe und die Null-Promille-Grenze.
Scheuer sagt, er setze auf Eigenverantwortung. Kann man davon ausgehen, dass ältere Autofahrer selbst merken, wenn ihre Sehfähigkeit oder gar ihre kognitiven Fähigkeiten abnehmen?
Nein, das ist ja ein schleichender Prozess. Bei Senioren kommt dazu: Je älter Menschen werden, desto überzeugter sind sie von ihren Fähigkeiten. Deshalb traut sich meist auch kein Verwandter, was zu sagen. Ich setze ja auch auf Eigenverantwortung. Nur eben, nachdem der Senior sich die Wahrheit angehört hat.
Also verpflichtende Fahrprüfungen ab 75?
Fahrprüfungen mit dem Ziel, älteren Autofahrern gegebenenfalls die Fahrerlaubnis abzunehmen, sind wissenschaftlich nicht haltbar. Da bekämen wir zu viele Fehlurteile. Wir als Unfallforschung der Versicherer fordern nur eine verpflichtende Rückmeldefahrt. Wir wollen die Leute nur dazu zwingen, selbst zu erkennen, wo sie stehen. Mehr nicht.
Warum plädieren Sie nicht dafür, dass einem Autofahrer, der bei einem solchen Test schlecht abschneidet, der Führerschein abgenommen wird?
Wie gesagt, es gäbe zu viele Fehlurteile. Und es wäre auch nicht nötig. Umfragen zeigen eine hohe Zustimmung unter Senioren zu folgendem Satz: Wenn ich wüsste, dass ich mich und andere gefährde, würde ich nicht mehr Auto fahren. Zudem kommt es vor, dass ein Autofahrer nur außerhalb seiner gewohnten Umgebung Probleme hat. Einem solchen Fahrer müssen wir nicht den Führerschein abnehmen. Der muss nur wissen, dass er sich bitte auf die Strecken zum Arzt oder zum Einkaufen beschränkt und nicht auf die Idee kommt, mit dem Auto in den Urlaub zu fahren.
Der 97-jährige Prinz Philip hat neulich einen Unfall verursacht. Gibt es ein Alter, in dem definitiv Schluss sein sollte mit dem Autofahren?
Eine klare Grenze gibt es nicht. Auch unter 90-Jährigen kann es noch gute Kraftfahrer geben. Bei 97-Jährigen dürfte der Prozentsatz gering sein. Es gibt allerdings nicht allzu viele Autofahrer in diesem Alter, so dass wir darauf verzichten können, uns um dieses Problem zu kümmern.
Mit Siegfried Brockmann sprach Hubertus Volmer
Quelle: ntv.de