Scharfe Attacken auf Merkel-Regierung Schmidt redet SPD ins Gewissen
04.12.2011, 12:37 Uhr
Helmut Schmidt besucht nur selten SPD-Parteitage. Diesmal ist er dabei und geht hart mit Schwarz-Gelb ins Gericht. Das "Vertrauen in die Verlässlichkeit der deutschen Politik" sei beschädigt, so seine Kritik. Dabei hätten die Deutschen die historische Pflicht, sich anderen EU-Ländern gegenüber solidarisch zu zeigen.
Die SPD hat ihren Machtanspruch für die Wahl 2013 mit einem klaren Bekenntnis zu mehr Europa und scharfen Attacken auf den Krisenkurs der Regierung unterstrichen. Altkanzler Helmut Schmidt und Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier warnten zum Auftakt des Parteitages eindringlich vor einem Scheitern der Europäischen Union und einer gefährlichen Isolation Deutschlands. Zudem beschloss die Partei einen Neuanlauf für ein NPD-Verbot.
"In den allerletzten Jahren sind erhebliche Zweifel an der Stetigkeit der deutschen Politik aufgetaucht", sagte der 92 Jahre alte Schmidt. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) warf er vor, als Lehrmeister in Europa aufzutreten. Befürchtungen über einen drohenden Zusammenbruch des Euro bezeichnete er als gefährlich. "Alles Gerede und Geschreibe über eine angebliche Krise des Euro ist leichtfertiges Geschwätz von Medien, von Journalisten und von Politikern."
"Schädliche deutschnationale Kraftmeierei"
Bei seinem umjubelten ersten Auftritt auf einem SPD-Parteitag seit 13 Jahren warnte Schmidt in seiner rund 45-minütigen Rede wegen Uneinigkeit und nationaler Tendenzen vor einer "selbstverschuldeten Marginalisierung", die Europa im Vergleich zu anderen Weltregionen zurückwerfen könnte.
Politikern von Union und FDP warf der Altkanzler "schädliche deutschnationale Kraftmeierei" vor. Dazu gehörten Äußerungen, in Europa werde jetzt wieder Deutsch gesprochen, sagte er mit Blick auf Unionsfraktionschef Volker Kauder (CDU).
Die Deutschen hätten nach zwei Kriegen und Unterstützung des Westens beim Wiederaufbau eine historische Pflicht, in der jetzigen Situation den Griechen und anderen Ländern Solidarität zu zeigen.
Belehrungen würden angesichts der deutschen Geschichte bei den EU-Partnern großen Argwohn hervorrufen. "Wenn wir Deutschen uns verführen ließen, eine Führungsrolle zu beanspruchen oder doch wenigstens den Primus inter pares (Erster unter Gleichen) zu spielen, so würde eine zunehmende Mehrheit unserer Nachbarn sich wirksam dagegen wehren." Das könne das Ende des Einigungsprozesses bedeuten.
Überfälliges Krisenmanagement
Indirekt kritisierte Schmidt Merkel auch wegen ihres Widerstands gegen Eurobonds, also gemeinschaftliche Staatsanleihen. Eine "gemeinsame Verschuldung" der EU-Mitglieder sei unvermeidlich, um die Krise dauerhaft zu überwinden. Deutschland dürfe sich dem nicht aus "national-egoistischen Gründen" versagen.
Überfällig seien zudem energischere Schritte gegen Bankmanager, die alles nur dem Profit unterwerfen würden, und gegen die Macht ungeregelter Finanzmärkte: "Es wird Zeit, sich dagegen zu wehren".
Nationalismus ist keine Lösung
Steinmeier sagte, auf alle wichtigen Fragen und Herausforderungen habe die Regierung keine Antwort: "Sie lässt die Menschen allein mit ihren Zweifeln und Ängsten." Er forderte einen eigenen Europäischen Währungsfonds - an einer gemeinsamen Haftung in der Eurokrise führe auch wegen Merkels Zaudern kein Weg mehr vorbei. Steinmeier gilt wie Parteichef Sigmar Gabriel und Ex-Finanzminister Peer Steinbrück als möglicher Herausforderer Merkels bei der Bundestagswahl 2013 - entschieden werden soll die Kandidatur aber erst in etwa einem Jahr.
Steinmeier warnte vor einem Rückfall in Nationalismus, selbst die USA würden sich von Europa ab- und der Pazifikregion zuwenden. "Europa ist ein Geschenk, von dem wir alle täglich zehren." Ein solidarisches, gemeinsames Europa zu bauen, das sei die Aufgabe, sagte der Fraktionschef und erinnerte an die vielen Kriege in Europa.
In einer Resolution forderte die SPD ein klares Signal an die Märkte, "dass Europa sich nicht auseinandertreiben lässt". Verlangt wurde zudem ein Aufbauprogramm für Krisenländer und eine Regelung für ihre Altschulden in Form eines Schuldentilgungsfonds. Steinmeier warf Merkel vor, sie wolle andere Staaten dazu zwingen, sich kaputt zu sparen, während in Deutschland die Neuverschuldung 2012 steige.
Forderung nach NPD-Verbot
Zudem verabschiedeten die 480 Delegierten einen Antrag mit dem Ziel, Rechtsextremismus in Deutschland stärker ins Visier zu nehmen und so schnell wie möglich ein NPD-Verbotsverfahren in die Wege zu leiten. Zudem stand eine Parteireform auf dem Programm, mit der die Mitglieder mehr Mitbestimmung erhalten sollen. Am Montag will sich Parteichef Gabriel der Wiederwahl stellen.
Nach SPD-Angaben hatten sich rund 9000 Menschen zum Parteitag angemeldet, dreimal so viele wie ursprünglich erwartet. Die Halle war zeitweise restlos überfüllt, hunderte Menschen mussten stehen. Die SPD-Vizevorsitzende Hannelore Kraft sieht die SPD nach mehreren Wahlerfolgen auf Regierungskurs. "Die Aufholjagd hat begonnen", sagte die nordrhein-westfälische Ministerpräsidentin. Steinmeier sagte: "Der nächste Bundeskanzler muss wieder ein Sozialdemokrat werden."
Quelle: ntv.de, sba/dpa