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Eine mächtige Hypothek für Merz Schuldenpaket kommt, Schwarz-Rot kann kommen, Zweifel bleiben

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Merz stimmt ganz im eigenen Sinne ab

Merz stimmt ganz im eigenen Sinne ab

(Foto: picture alliance/dpa/dpa Pool)

Der Bundestag gibt in einer denkwürdigen Sondersitzung sein Okay zur Grundgesetzänderung für eine massive Neuverschuldung. Zum Jubel der einen und zum Entsetzen der anderen wird die Schuldenbremse weitgehend beerdigt. Friedrich Merz lässt eine weitere Hürde auf dem Weg ins Kanzleramt hinter sich.

Der 20. Deutsche Bundestag hat seine letzte Sitzung hinter sich, diesmal aber wirklich. Schließlich war die zweite von CDU, CSU und SPD erbetene Sondersitzung am Dienstag der so ziemlich letzte denkbare Termin, bevor der am 23. Februar gewählte neue Bundestag zusammentreten muss. Dieser alte Bundestag hat nun seine letzte Aufgabe hinter sich gebracht: über tiefgreifende Änderungen des Grundgesetzes zu entscheiden, um über eine so nie dagewesene Schuldenaufnahme für Rüstung und Infrastruktur zu entscheiden. Mit den Stimmen von Union, SPD und Grünen wurde die notwendige Zweidrittelmehrheit erreicht. Im neuen Bundestag wäre das so nicht mehr möglich gewesen.

Damit nimmt CDU-Chef Friedrich Merz eine weitere Hürde auf dem Weg ins Kanzleramt - nach der Bundestagswahl, den Sondierungen mit der SPD und der mühsam herausgehandelten Zustimmung der Grünen zum Schuldenpaket. Die Bildung einer Bundesregierung aus Union und SPD wird nun deutlich leichter: Die SPD bekommt die Investitionen in die Infrastruktur und die Union die mehrheitlich als nötig erachtete Aufrüstung - ohne dass es zu drastischen Sparmaßnahmen kommen muss. Die Koalitionsgespräche laufen seit Donnerstag und sollen möglichst bis Ostern abgeschlossen werden.

Noch am Dienstagmorgen wird in den Fraktionen von CDU, CSU, Grünen und SPD fleißig gezählt. Zusammen liegen alle drei Parteien nur 31 Stimmen über der notwendigen Zweidrittelmehrheit. Wer ist krank? Wer stimmt dagegen? Am Vormittag ist klar: Die Zahl der Verhinderten und entschlossenen Nein-Sager ist zu gering, um die Grundgesetzänderungen noch aufzuhalten. Am Ende sind es 23 Stimmen Vorsprung. Viele Abgeordnete, insbesondere aus der Union, müssen dafür allerdings über den Schatten des eigenen Zweifels springen.

Merz will Skeptiker beruhigen

"Wir verstehen die Sorgen, wir verstehen die Kritik", versichert Unionsfraktionschef Merz als zweiter Redner den Bundestagsabgeordneten und dem Publikum draußen. Er weiß um das Bauchgrummeln der eigenen Leute angesichts der Tragweite der Entscheidung, auch mit Blick auf das Zustandekommen dieses Gesetzes. Fünf Konfliktlinien debattieren die Abgeordneten in der mehr als vierstündigen Debatte:

  • Hätte dieser alte Bundestag überhaupt noch so tiefgreifende Veränderungen beschließen dürfen?
  • War das Gesetzgebungsverfahren ordnungsgemäß?
  • Wird die kommende Bundesregierung nun Kredite auf Umwegen für Wahlgeschenke missbrauchen können?
  • Haben die Grünen heimlich die Klimaneutralität bis 2045 als Staatsziel im Grundgesetz verankert?
  • Ist die Schuldenbremse mit diesen Grundgesetzänderungen faktisch tot?

Der fraktionsübergreifend geschätzte FDP-Haushaltspolitiker Otto Fricke hat eine klare Meinung: Der Bundestag werde mit seiner Entscheidung "eigentlich die Schuldenbremse beenden". Zugleich werde auch in die Schuldenspielräume der Länder eingegriffen. Es handele sich um eine der "weitreichendsten Verfassungsänderungen" in der Geschichte der Bundesrepublik, sagt Fricke. FDP-Fraktionschef Christian Dürr, der demnächst Parteichef Christian Lindner beerben will, warnt vor einem "Startschuss für grenzenlose Schuldenmacherei". Die FDP, die sich der Verteidigung der Schuldenbremse stets verpflichtet sah, hatte deshalb auch gegen das Vorgehen geklagt.

Beisetzung der Schuldenbremse

Am Freitagmittag vereinbarten Union, SPD und Grüne Änderungen im Gesetzentwurf, legten diesen am Samstag dem Bundestag vor und winkten ihn am Sonntag durch den Haushaltsausschuss. "Zwischen Frühstück und Gänsebraten wurde mal eben das größte Aufrüstungsprogramm der Bundesrepublik durchgewunken", kommentiert das Christian Görke, Fraktionsgeschäftsführer der Linken. Doch zumindest der Eilantrag der FDP gegen dieses Vorgehen scheiterte beim Bundesverfassungsgericht, genauso wie Klagen von AfD, BSW und Linken gegen die Befassung des alten Bundestags.

Fricke bestätigt in seiner Rede den Grünen-Chef Felix Banaszak, der eigens in Schwarz im Bundestag erschienen ist - zur Beerdigung der Schuldenbremse. Diese ist mit der Grundgesetzänderung, die noch durch den Bundesrat muss, weitgehend außer Kraft gesetzt. Für die Grünen ist das - anders als für Fricke - eine weitgehend gute Nachricht. "Die dauerhafte Öffnung für Investitionen haben wir jetzt nicht erreicht", sagt Grünen-Haushälter Sven-Christian Kindler. Bis zu 500 Milliarden zusätzliche Schuldenspielräume über die kommenden zwölf Jahre - Sondervermögen genannt - haben SPD und Grüne im Zusammenspiel mit der Union beschlossen.

Hinzu kommt aus Sicht der Grünen ein weiterer Erfolg: Die Mittel aus dem Sondervermögen sind neben Infrastrukturinvestitionen auch an das Erreichen der Klimaneutralität bis 2045 gebunden. "Klimaschutz gehört ins Zentrum der Politik und wir haben es im Grundgesetz verankert", jubelt Kindler. Die Grünen fürchten allerdings, eine schwarz-rote Bundesregierung könnte mit den zusätzlichen Mitteln auch weniger förderliche Wahlgeschenke finanzieren. "Zukunftsprojekte sind es auf keinen Fall, wenn ich an die Frage der Gastro-Ermäßigung denke oder an die Rücknahme des Agrardiesels oder an die Pendlerpauschale", sagt Grünen-Fraktionschefin Britta Haßelmann. "Das ist doch keine Erneuerung des Landes."

"Legal ist es, was wir hier machen"

Die Redner der Union bemühen sich, entsprechende Sorgen - auch in der eigenen Fraktion - zu zerstreuen. Es sei "absurd" zu behaupten, die Nennung der Klimaneutralität bis 2045 im Grundgesetz könnte dazu führen, dass mit dem Sondervermögen keine Straßen gebaut werden könnten, versichert CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt. "Daraus ergibt sich kein Staatsziel", so Dobrindt. CDU-Chef Merz verspricht, seine Regierung werde im Kernhaushalt sparen und mit dem zusätzlichen Geld eine "umfassenden Modernisierung unseres Gemeinwesens" anstreben. Er spricht von "Konsolidierungsdruck" und "Tilgungsplänen", damit nicht kommende Generationen die heute beschlossenen Kredite abstottern müssten. Er deutet Einsparungen bei Sozialausgaben an, ohne aber genauer zu werden.

Unionsfraktionsgeschäftsführer Thorsten Frei sagt mit Blick auf das umstrittene Verfahren: "Legal ist es, was wir hier machen, alles ist legal." Das habe das Gericht in Karlsruhe bestätigt. Tatsächlich aber ist die FDP nur mit ihrem Eilantrag gescheitert, die Abstimmung zu stoppen. Das Hauptsacheverfahren ist offen. Frei betont hingegen, in dem Gesetzgebungsverfahren seien "Fristen sogar übererfüllt" worden. Die Grünen sind diesen Weg nach langwierigen Verhandlungen mit Union und SPD zwar mitgegangen, wahren aber dennoch Distanz: "Mir ist wichtig, festzuhalten, dass wir uns dieses Verfahren nicht zu eigen machen", sagt Grünen-Fraktionsgeschäftsführerin Irene Mihalic.

Die Grünen hätten lieber nur Kredite für Verteidigungsausgaben freigegeben und im neuen Bundestag eine ordentliche Reform der Schuldenbremse ausgehandelt - unter Einbeziehung der Linken, die es im neuen Bundestag für eine Zweidrittelmehrheit gebraucht hätte. Sören Pellmann von der Linken geißelt entsprechend das Verfahren im alten Bundestag: "Wer dieses monströse Manöver auf der schmelzenden Eisscholle nötig hat, der ist nicht moralisch stark, sondern demokratisch erkennbar schwach." Auch habe das "Untergangsszenario", wonach Putins Armeen schon bald an der Oder stehen könnten, "nichts mit der Realität zu tun". Damit hatten Union und SPD die Eile gerechtfertigt.

"Bedrohungslage steht vor Kassenlage"

So richtig im Reinen mit den Grundgesetzänderungen scheinen eigentlich nur die Redner der SPD zu sein. "Diese Entscheidung hat die Möglichkeit, der Geschichte unseres Landes eine neue Richtung zu geben", sagt Partei- und Fraktionschef Lars Klingbeil. "Es war an der Zeit, dass wir eine Finanzpolitik ohne Ideologie und ohne Dogmen betreiben, sondern Wachstum, Wohlstand und Sicherheit in den Mittelpunkt stellen und das gelingt mit dieser Grundgesetzänderung." Auch Klingbeil sichert eine Modernisierung zu. "Überall müssen wir digitaler, zielgenauer und effizienter werden." Zugleich schränkt Klingbeil ein: "Wer Staatsmodernisierung sagt und damit den Abbau von Arbeitnehmerrechten meint, der macht damit einen Fehler und unterschätzt damit die deutsche Sozialdemokratie." Die Koalitionsverhandlungen zwischen SPD und Union bergen noch so einiges an Konfliktpotenzial.

Gelingen sie, gilt Amtsinhaber Boris Pistorius als heißester Kandidat für die Besetzung des Verteidigungsministerpostens im künftigen Kabinett. Der hält Eile bei der Aufrüstung der Bundeswehr für dringend geboten. "Wer heute zaudert, wer sich heute nicht traut, wer meint, wir könnten uns diese Debatte noch über Monate leisten, der verleugnet die Realität", sagt der Sozialdemokrat. Deutschland und Europa müssten künftig für ihre eigene Verteidigung sorgen. "Wir Deutschen werden dabei in Europa eine zentrale Rolle übernehmen müssen, das wird in allen europäischen Hauptstädten so gesehen und das bedeutet: mehr Truppen, mehr Ausrüstung, schnelle Einsatzbereitschaft. Und das bedeutet, der Finanzbedarf wird massiv steigen." Pistorius weiter: "Damit gilt zukünftig für unsere Sicherheitsvorsorge ein einfacher Satz: Bedrohungslage steht vor Kassenlage."

AfD und BSW kassieren Ordnungsrufe

Den Konflikt suchen an diesem Tag auch AfD und BSW. Der AfD-Abgeordnete Stephan Brantner erhält mal wieder einen Ordnungsruf, weil er diesmal in einem Zwischenruf die Unabhängigkeit des Bundesverfassungsgerichts anzweifelt. Merz verschulde sich auf Kosten "unserer Kinder und Enkelkinder" und wolle sie danach möglicherweise "auch noch in den Krieg schicken", sagt AfD-Fraktionschef Tino Chrupalla. "Die Merz-CDU ist seit dieser Woche eine Fortsetzung der Merkel-CDU", poltert der AfD-Ehrenvorsitzende Alexander Gauland. Es ist keine Abschiedsrede: Der 84-Jährige wird auch dem nächsten Bundestag angehören.

Ebenfalls einen Ordnungsruf kassiert das BSW. Die Mitstreiter von Sahra Wagenknecht halten während der Rede ihrer Partei-Namensgeberin Schilder in die Höhe. "1914 wie 2025: NEIN zu Kriegskrediten", steht darauf und soll an die Zustimmung der SPD zu den Kriegskrediten 1914 erinnern, welche die Kommunisten damals ablehnten. Wagenknecht bezeichnet die Grünen als "kriegsverrückt" und fordert eine Neuauszählung des Bundestagswahlergebnisses, nachdem ihre Partei mit wenigen Tausend Stimmen an der Fünf-Prozent-Hürde gescheitert ist.

In das gleiche Horn bläst die BSW-Abgeordnete Jessica Tatti: "Bei dem knappen Ergebnis und den vielen Fehlern bei der Wahlauszählung: Wer weiß, was noch kommt." Welche Fehler das sein sollen, bleibt dahingestellt. Auch Wagenknecht verspricht den Bundestagsabgeordneten ein Wiedersehen. Wenn überhaupt, dann aber im 21. oder eher 22. Bundestag. Der alte hat nun wirklich fertig.

Quelle: ntv.de

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