So könnte die CDU auch in Großstädten punkten Schwuler Schwabe ist Grünenschreck
06.09.2013, 11:13 Uhr
Stefan Kaufmann verzichtet gern auf die Krawatte.
Im Wahlkreis Stuttgart 1 kommt es zu einem bedeutungsschweren Duell. Grünen-Chef Cem Özdemir tritt hier gegen Stefan Kaufmann an, einen ausgesprochen unorthodoxen Christdemokraten. Es ist ein Kampf um die Hegemonie im schwarz-grünen Milieu.
Die CDU hat ein Problem. Nirgends wird das so deutlich wie in Stuttgart. In Hanglage über der Stadt thront die Villa Reitzenstein, der Amtssitz des Ministerpräsidenten von Baden-Württemberg. 58 Jahre lang residierten hier nur Christdemokraten. Seit 2011 ist der Grüne Winfried Kretschmann Hausherr. Ähnlich die Lage unten im Tal. 39 Jahre lang saßen Unionspolitiker als Oberbürgermeister im Rathaus. Seit dem vergangenen Jahr ist das Gebäude mit dem markanten Uhrenturm in Stuttgarts Mitte der Amtssitz des Grünen Fritz Kuhn. Und jetzt, bei der Bundestagswahl, droht die Union auch noch, ein Direktmandat in der Stadt zu verlieren. Der Grünen-Vorsitzende Cem Özdemir tritt im Wahlkreis Stuttgart 1 an – mit guten Chancen auf einen Triumph.
Deutschlands Großstädte färben sich zusehends grün. Doch der Kampf um die Metropolen ist für die Union noch nicht verloren. Denn ausgerechnet in der neuen grünen Hochburg Stuttgart zeigt sich: Die CDU muss nicht hilflos mit ansehen, wie ihr die Macht entgleitet.
"Der Prototyp eines modernen CDUlers"
Schon 2009 trat Özdemir in Stuttgart 1 an. Er holte ein beachtenswertes Ergebnis: 29,9 Prozent. Doch ein Mann konnte den Grünen stoppen, sorgte dafür, dass der prominente Özdemir kein Mandat für den Bundestag bekam: der CDU-Politiker Stefan Kaufmann.
Ein Teil des Erfolgs Kaufmanns: Er bricht mit dem Klischee des typischen Unions-Kandidaten. Kaufmann ist kein konservativer Katholik mit Schlips und grauem Haar. Kaufmann ist Mitte 40, verzichtet meist auf die Krawatte. Und er ist schwul. Die linke Tageszeitung "taz" bezeichnete den Schwaben mal als den "Prototyp des modernen Großstadt-CDUlers". Er ist ein Politikertyp, der den Grünen in den Zentren vielleicht Paroli bieten kann.
Ein politischer Spätzünder

Kein leichtes Spiel für Cem Özdemir. 2009 bekam der Grünen-Vorsitzende wegen Kaufmann kein Mandat für den Bundestag. Jetzt hat er sich sicherheitshalber über die Landesliste absichern lassen.
(Foto: picture alliance / dpa)
Kaufmann kam 1969 in Stuttgart zur Welt. Nach dem Abitur verweigerte er den Grundwehrdienst und arbeitete stattdessen im Diakonischen Werk Württemberg. Nach dem Zivildienst studierte er Jura, promovierte, ließ sich als Rechtsanwalt in Stuttgart nieder. Seit mehr als zehn Jahren lebt er mit seinem Partner Rolf Pfander zusammen.
Der CDU wandte sich Kaufmann erst spät zu. Er war schon 30 Jahre alt. Dass die Partei gesellschaftspolitisch noch Aufholbedarf hatte, hielt ihn nicht ab. "Ich bin damals wegen der bildungs- und europapolitischen Konzepte der CDU in die Partei eingetreten", sagt er n-tv.de. Für Kaufmann hatte die Union noch einen weiteren Vorzug: Sie ist eine große Volkspartei. "Da ist klar, da gibt es ein großes Spektrum an Meinungen, und man muss eben innerhalb der Partei um Mehrheiten ringen." So könne man die Diskussionen in der Gesellschaft in der Partei vorwegnehmen. Und damit meint Kaufmann nicht nur den Umgang mit Homosexualität, wie er in Deutschlands Großstädten für viele Menschen selbstverständlich ist, auf dem Lande oft aber noch nicht.
Schwarze "Sensibilitäten"
Kaufmann räumt ein, dass es in seiner Partei etliche Funktionsträger gibt, die aus einem ländlichen Umfeld kommen und noch kein Gespür für viele gesellschaftliche Entwicklungen haben, die sich zunächst in den Metropolen vollziehen oder schon vollzogen haben. Als Beispiele nennt er den Datenschutz. Die "Sensibilitäten" seien bei jemandem, der auf dem Land lebt, einfach andere als bei einem Stuttgarter, der in der IT-Branche arbeite, sagt Kaufmann. Gleiches gelte für die Integrationspolitik seiner Partei. Kaufmann problematisiert nicht den Umstand, dass es in Stuttgart Schulklassen gibt, in denen nur noch Zuwanderungskinder sitzen. Er sagt: "Da muss man sich überlegen, was für ein Personalangebot hab' ich." Kaufmann kritisiert auch, dass es auf der Landesliste der CDU in Baden-Württemberg nur drei Frauen gibt.
Bei den Stuttgartern kommt er mit dieser Haltung an. 2009 holte er mehr als 34 Prozent der Stimmen. 2013 sollen es mindestens genauso viele sein. Und er hat, abgesehen von seinem großstadtkomplatiblen Auftritt, einen weiteren Grund, aus dem er zu Recht auf ein gutes Ergebnis hoffen darf.
Mit dem Porsche Cayenne zum Biomarkt
Zum Wahlkreis Stuttgart 1 zählen Bezirke wie Degerloch in der sogenannten Halbhöhenlage. Wer hier wohnt, hat Geld. Die Grünen, die die überwiegend gebildeten Bürger in diesen Gegenden für sich gewinnen konnten, weil die sich von CDU-Politikern vom Schlage eines Stefan Mappus nicht mehr repräsentiert fühlten, riskieren 2013 viel.
Die Partei setzt auf einen höheren Spitzensteuersatz und eine Vermögensabgabe. Eine Vermögenssteuer erwägt sie. Es besteht die Gefahr, dass die Grünen die Wählerschicht verprellen, der sie zu großen Teilen ihren Aufschwung verdanken. Kaufmann sagt: "Leute, die mit ihrem Porsche Cayenne zum Biomarkt zum Einkaufen fahren, sind in Stuttgart kein überzeichnetes Bild." Die Konsequenz ist offensichtlich. Es ist gut möglich, dass diesen Wählern ihr gutes Gewissen wichtiger ist und sie auf Öko, Umweltschutz und andere eher postmaterialistische Themen pochen. Gut möglich ist aber auch, dass sie dabei auf keinen Fall auf ihren Porsche Cayenne verzichten wollen. Wenn ein CDU-Politiker ihnen beides bietet und dabei nicht wirkt wie ein Landei, liegt vielleicht genau da das Potenzial der CDU, Großstädte wie Stuttgart zurückzugewinnen.
Für einen modernen CDUler wie Kaufmann muss die Antwort auf die Frage Bio oder Boxter aber nicht zwingend schwarz oder grün heißen. "Wenn Özdemir und ich uns an einen Tisch setzen würden, würde es Positionen geben, wo wir uns einigen können", sagt Kaufmann. Und zumindest in seinem Wahlkreis gebe es viele, die sich das so wünschten. "Gerade die junge Leistungsträgerschicht will, dass man ihre Leistung honoriert, dass man auf Bildung setzt", sagt er. Diesen Wählern sei aber auch bewusst, dass es andere Dinge gebe außer Geld verdienen. "Da sind einfach die Schnittmengen zwischen Schwarz und Grün", sagt Kaufmann. Und als moderner Christdemokrat ist Kaufmann selbstredend keiner, der diese neuartigen Koalitionsoptionen von vornherein ausschließen würde.
Quelle: ntv.de