Politik

Der Kriegstag im Überblick Selenskyj bezichtigt Teheran der Drohnen-Lüge - Putin lässt verdeckt mobilisieren

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Ein ukrainischer Soldat bereitet den Kampfeinsatz mit einem gekaperten russischen Panzer vor.

(Foto: REUTERS)

Die iranische Führung gesteht erstmals ein, Kampfdrohnen an Russland geliefert zu haben. Der ukrainische Präsident Selenskyj kauft Teheran das "Geständnis" so nicht ab und plant gleichzeitig einen eigenen Drohnen-Coup. Militärexperten befürchten indessen eine geheime russische Mobilmachung. Der 255. Kriegstag im Überblick.

Schwere Kämpfe um Cherson

Kämpfe mit schwerer Artillerie im Osten und Süden der Ukraine dauern an. Das geht aus den Militärangaben der ukrainischen und russischen Seite hervor. Die ukrainischen Kämpfer hätten in den Gebieten Luhansk und Donezk russische Stellungen vernichtet, hieß es in Kiew. Das ukrainische Außenministerium gibt erneut an, dass innerhalb von 24 Stunden 600 russische Soldaten gefallen seien. Die Angaben lassen sich nicht unabhängig prüfen und weichen stark von den offiziellen Verlautbarungen aus Moskau ab.

Rund um die südukrainische Stadt Cherson haben sich ukrainische Truppen und russische Besatzer schwere Kämpfe geliefert. Nach russischer Darstellung gerieten verschiedene Frontabschnitte in der Region unter schwersten Artilleriebeschuss. An einigen Stellen seien größere Truppenverlegungen und Bewegungen ukrainischer Panzerverbände registriert worden. "Offenbar bereiten die ukrainischen Truppen einen neuen Angriff vor", spekulierte der von Russland eingesetzte Vize-Verwaltungschef der besetzten Region, Kirill Stremoussow.

ISW: Mobilmachung in Russland wohl nicht zu Ende

Unabhängige Experten gehen indessen davon aus, dass Russland vermutlich seine Mobilmachung für den andauernden Krieg weiterführt - und zwar verdeckt. Jüngst von Präsident Wladimir Putin unterzeichnete Dekrete deuteten darauf hin, dass die Teilmobilmachung entgegen russischer Behauptungen keine ausreichende Truppenstärke erzielt habe, hieß es in einem Bericht der Denkfabrik Institute for the Study of War (ISW). Dafür spreche auch, dass Putin bislang kein Dekret unterzeichnet hat, das die Ende September ausgerufene Mobilmachung offiziell beendet.

Nach ISW-Angaben sind die russischen Angaben nicht stimmig mit Putins Erlass von diesem Freitag, dass russischen Behörden auch den Einzug von Zivilisten erlaubt, bei denen eine Verurteilung für schwere Verbrechen aussteht. Weiterhin soll Putin Dekrete unterschrieben haben, die den Kreis der Wehrdienstleistenden auf Männer ausweiten, die in Freiwilligenformationen dienten, sowie Ausnahmen festlegen für den Einzug von Wehr-Ersatzdienstleistenden.

Selenskyj kontert iranischem Drohnen-Geständnis

Der Iran hat erstmals zugegeben, Drohnen an Russland geliefert zu haben. "Wir haben Russland mit einer begrenzten Zahl an Drohnen beliefert", zitierte die staatliche Nachrichtenagentur Irna Außenminister Hossein Amir-Abdollahian. Die Waffen seien allerdings vor dem Krieg geliefert worden, betonte der Minister. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj wies dies mit Bezug auf die Menge als Lüge zurück.

"Selbst bei diesem Geständnis lügen sie", sagte der ukrainische Staatschef in seiner täglichen Videobotschaft. Die Zahl der von der ukrainischen Luftabwehr abgeschossenen iranischen Kampfdrohnen übersteige die vom Iran genannten "wenigen" Drohnen, begründete Selenskyj seinen Vorwurf. "Und je mehr Teheran lügt, desto mehr wird die internationale Gemeinschaft diese terroristische Zusammenarbeit zwischen den Regimes in Russland und im Iran überprüfen."

Bei Seedrohnen will die Ukraine in die Offensive gehen

Nach dem spektakulären Angriff ukrainischer Seedrohnen gegen die russische Schwarzmeerflotte, in deren Kriegshafen bei Sewastopol auf der Krim, will die Ukraine weitere Waffen dieser Art kaufen. "Wir werden in der kommenden Woche noch eine Fundraising-Aktion starten, wir wollen Mittel für eine ganze Flotte von Seedrohnen sammeln", kündigte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj in seiner Videoansprache an. Sinn und Zweck dieser Drohnen sei klar. "Wie das funktioniert, haben alle schon gesehen."

Nach ukrainischer Darstellung wurden bei dem Angriff auf Sewastopol am vergangenen Wochenende drei russische Kriegsschiffe getroffen, darunter das neue Flaggschiff "Admiral Makarow". Das russische Militär hat lediglich einige leichtere Schäden eingestanden, ohne genauere Angaben zu machen.

Ex-Botschafter Melnyk wirft Mützenich vor, sich als Opfer zu inszenieren

Der ehemalige ukrainische Botschafter in Deutschland, Andrij Melnyk, hat Aussagen von SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich über eine angebliche ukrainische "Terrorliste" zurückgewiesen. Mützenich hatte der Regierung in Kiew vorgeworfen, ihn auf eine solche Liste gesetzt zu haben, weil er sich für einen Waffenstillstand im Krieg gegen die Ukraine einsetze. Melnyk schrieb auf Twitter: "Mimimi. Es gibt keine 'Terrorliste' der ukrainischen Regierung. Hören Sie mal auf, sich als 'unschuldiges Opfer' darzustellen."

Bericht: Russland kommt nicht gegen HIMARS-Raketenwerfer an

Den russischen Streitkräften ist es bisher noch nicht gelungen, die von den USA gelieferten Raketenwerfer vom Typ HIMARS zu zerstören. Das berichtet Politico mit Bezug auf einen hochrangigen Pentagon-Mitarbeiter. Die Ukraine brauche jedoch immer noch eine beträchtliche Menge an Artillerie für den bevorstehenden Kampf, fügte der Beamte demnach hinzu. Die Verbrauchsraten in diesem Krieg sind laut Politico hoch: Die Ukraine feuert jeden Tag 4.000 bis 7.000 Artilleriegeschosse ab, während Russland 20.000 pro Tag abfeuert.

Scholz: Putin soll einen Zug für wirkliche Gespräche machen

Bundeskanzler Olaf Scholz hat Russlands Präsidenten Wladimir Putin aufgefordert, den Weg für einen Dialog im Ukraine-Konflikt freizumachen. "Jetzt ist es an dem russischen Präsidenten, einen Zug zu machen, nämlich wirkliche Gespräche zu ermöglichen", sagte Scholz beim SPD-Debattenkonvent. "Und es wäre ein guter Schritt, wenn er mal seine Truppen zurückziehen würde." Putin müsse weg "von seiner Idee, er könne einen Diktatfrieden gegen die Ukraine militärisch durchsetzen", sagte Scholz. "Das ist nämlich sein Konzept. Und auf der Basis wird es niemals gelingen, dass da etwas zustande kommt." Am Ende jedes Krieges müssten "Vereinbarungen und Diplomatie stehen".

Auch fordert Scholz von Russland ein klares Nein zu Atomschlägen. "Es ist nicht erlaubt, es ist unvertretbar, in diesem Konflikt Nuklearwaffen einzusetzen", sagte Scholz beim SPD-Debattenkonvent in Berlin. "Wir fordern Russland auf, dass es klar erklärt, dass es das nicht tun wird. Das wäre eine Grenze, die nicht überschritten werden darf."

Ukraine rationiert wegen russischer Angriffe Stromversorgung weiter

In Kiew und weiteren Regionen der Ukraine ist die Stromversorgung weiter eingeschränkt worden. "Heute war das Kontrollzentrum von Ukrenergo gezwungen, zusätzliche Einschränkungen in Form von Notunterbrechungen für alle Verbraucherkategorien" einzuführen, erklärte der staatliche Stromversorger Ukrenergo. Angesichts massiver Raketenangriffe Russlands auf die Energie-Infrastruktur in der Ukraine wird seit mehreren Tagen die Stromversorgung rationiert. Nach Angaben der Ukraine wurde durch die Angriffe mindestens ein Drittel der Stromanlagen des Landes zerstört. Um eine Überlastung des gesamten Verteilernetzes zu verhindern, wird in vielen Regionen, darunter die Hauptstadt Kiew, regelmäßig für mehrere Stunden der Strom abgestellt.

Mordanschlag auf Richter, der drei Ausländer zu Tode verurteilte

Im Juni wurden zwei Briten und ein Marokkaner in der von prorussischen Separatisten kontrollierten Region Donezk zum Tode verurteilt. Sie hatten als Freiwillige mit den ukrainischen Truppen gekämpft, waren in Kriegsgefangenschaft geraten und wegen Söldnertums angeklagt worden. Der Richter Alexander Nikulin, der sie zum Tode verurteilte, ist nun Opfer eines Attentats geworden. Wie mehrere Medien berichten, überlebte er den Angriff Freitagnacht in Wuhlehirsk. Er befinde sich allerdings mit lebensgefährlichen Schussverletzungen im Krankenhaus. Die drei Verurteilten waren im September im Zuge eines Gefangenenaustausches freigekommen.

London: Russische Rekruten bekommen so gut wie keine Ausbildung

Das russische Militär ist nach Ansicht britischer Experten durch den Angriffskrieg in der Ukraine mit der Ausbildung neuer Rekruten überfordert. Das geht aus dem täglichen Geheimdienst-Update des Verteidigungsministeriums in London hervor. Demnach hatte Moskau bereits Schwierigkeiten, Training für die etwa 300.000 bei der Teilmobilisierung eingezogenen Reservisten zu organisieren. Das Problem dürfte sich den Briten zufolge für die regelmäßig im Herbst eingezogenen etwa 120.000 Wehrpflichtigen noch verschärfen.

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Quelle: ntv.de, mpe/dpa

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