Der Kriegstag im Überblick Selenskyj fegt im Geheimdienst weiter durch - Ukraine droht mit Krim-Attacke
19.07.2022, 21:37 Uhr
Zerstörte Häuser nach einem Angriff der russischen Truppen auf Charkiw.
(Foto: picture alliance / ZUMAPRESS.com)
Mitarbeiter des ukrainischen Inlandsgeheimdiensts müssen sich auf harte Zeiten einstellen: Präsident Selenskyj ersetzt nach der Entlassung des Leiters Bakanow weitere ranghohe Beamte. Der stellvertretende Verteidigungsminister Havrylov spricht derweil davon, die russische Schwarzmeerflotte vor der Krim anzugreifen.
Mitarbeiter des ukrainischen Inlandsgeheimdiensts müssen sich auf harte Zeiten einstellen. Präsident Selenskyj ersetzt dort weitere ranghohe Beamte, während das Parlament den Leiter Bakanow absetzt. Der stellvertretende Verteidigungsminister Havrylov spricht derweil davon, die russische Schwarzmeerflotte vor der annektierten Halbinsel Krim anzugreifen. Der 145. Kriegstag im Überblick.
Säuberungen im ukrainischen Geheimdienst
Nach dem Vorwurf von Verrat im ukrainischen Geheimdienst greift Präsident Wolodymyr Selenskyj weiter durch und ersetzt ranghohe Mitarbeiter. Laut einem Dekret wurde Wolodymyr Horbenko als Vizechef des Geheimdienstes SBU entlassen. Zudem wurden in den vier Gebieten Sumy, Dnipropetrowsk, Poltawa und den Transkarpaten die Regionalchefs ausgetauscht. Außerdem entließ Selenskyj den SBU-Chef des Gebiets Schytomyr. Für den seit Ende Mai vakanten SBU-Posten im ostukrainischen Charkiw ernannte Selenskyj einen neuen Regionalchef.
Der 44-jährige Präsident hat Überprüfungen in Geheimdienst und Staatsanwaltschaft angekündigt. Auslöser sei eine hohe Zahl von Überläufern und Kollaborateuren mit der russischen Besatzungsmacht nach Moskaus Einmarsch vor knapp fünf Monaten, hieß es. Nach Medienberichten stellt sich die Frage, ob bei der schnellen Eroberung der südukrainischen Gebietshauptstadt Cherson durch die Russen Verrat im Spiel war. Allein beim Geheimdienst SBU arbeiten mehr als 30.000 Menschen. Am Sonntag hatte der ukrainische Präsident seinen Jugendfreund Iwan Bakanow als SBU-Chef gefeuert. Das Parlament in Kiew bestätigte dessen Entlassung genauso wie die der Generalstaatsanwältin Iryna Wenediktowa.
Ukraine will Krim angreifen
Die ukrainischen Streitkräfte bereiten sich einem Medienbericht zufolge darauf vor, die russische Schwarzmeerflotte zu versenken und die Krim zurückzuerobern. Der Süden des Landes sei durch die russischen Kriegsschiffe im Schwarzen Meer einer ständigen Bedrohung ausgesetzt, sagte der stellvertretende ukrainische Verteidigungsminister, Wolodymyr Havrylov, bei einem Besuch in Großbritannien der "Times". Russische Schiffe im Schwarzen Meer feuern regelmäßig Marschflugkörper ab, die auf die ukrainische Infrastruktur im Süden zielen. Aufgrund der russischen Schiffsblockade kann die Ukraine auch kein Getreide über den Seeweg transportieren.
"Angesichts der neuen Technologien und Fähigkeiten, die wir erhalten, müssen wir uns dieser Bedrohung stellen", sagte Havrylov. "Es ist unvermeidlich, weil wir unserem Volk Sicherheit garantieren müssen." Laut Havrylov produziert die Ukraine eigene Anti-Schiffs-Raketen. Vor einem Angriff solle aber noch auf die Lieferung westlicher Waffen mit größerer Reichweite gewartet werden. "Früher oder später werden wir genug Ressourcen haben, um Russland im Schwarzen Meer und auf der Krim anzugreifen", sagte Havrylov. Derzeit werde mit den Verbündeten geklärt, ob bei Angriffen auf die Krim auch westliche Waffen zum Einsatz kommen dürften. Aber auch eine diplomatische Rückholung der Krim sei nicht ausgeschlossen.
Russland gelingen Fortschritte im Donbass
Wie Kramatorsk wurde nach ukrainischen Angaben auch die Stadt Slowjansk beschossen, deren Eroberung als eins der nächsten Ziele der russischen Armee gilt. Dabei haben russischen Streitkräfte bei den Gefechten um den Donbass im Osten der Ukraine nach ukrainischen Angaben weitere Geländegewinne erzielt. "Der Feind hat im Raum Pokrowske einen Sturm durchgeführt, dabei teilweise Erfolg gehabt und setzt sich am Südrand der Ortschaft fest", teilt der ukrainische Generalstab in seinem heutigen Lagebericht mit. Pokrowske ist eine Siedlung zehn Kilometer östlich des wichtigen Verkehrsknotenpunkts Bachmut im Gebiet Donezk. Die Linie Siwersk - Soledar - Bachmut gilt als nächste Verteidigungslinie der Ukraine vor dem Ballungsraum um die Großstädte Slowjansk und Kramatorsk. An anderen Frontabschnitten im Donbass ist es dem ukrainischen Militär nach eigenen Angaben gelungen, die russischen Angriffe zurückzuschlagen.
London sieht mangelnde Kampfkraft der Kreml-Truppen
Nach Einschätzung britischer Geheimdienste ist aber wegen des Mangels an Soldaten nur ein langsames Vorrücken der russischen Armee im Donbass zu erwarten. "Russland hat seit dem Beginn der Invasion Schwierigkeiten, eine effektive Kampfkraft aufrechtzuerhalten und das Problem wird wahrscheinlich zunehmend akut", hieß es im täglichen Geheimdienst-Update des Verteidigungsministeriums in London. Das Verteidigungsministerium in Moskau teilte in seinem Lagebericht mit, dass bei russischen Angriffen auf Odessa am Schwarzen Meer weitere Lager mit Munition aus den USA und aus europäischen Staaten vernichtet worden seien. Zerstört worden seien auch Depots in den Gebieten Donezk, Saporischschja und Dnipropetrowsk. Diese Angaben ließen sich nicht unabhängig überprüfen.
Insider: Pipeline Nord Stream 1 soll wieder Gas nach Europa liefern
Durch die Pipeline Nord Stream 1 soll Insidern zufolge nach dem Ende ihrer Wartung am Donnerstag wieder russisches Gas nach Westeuropa fließen. Die Pipeline solle ihren Dienst wieder aufnehmen, werde dies aber nicht in vollem Umfang tun, sagten zwei mit dem Vorgang vertraute Personen. Der russische Gas-Monopolist Gazprom hatte die Kapazität der Lieferungen durch Nord Stream 1 bereits im vergangenen Monat auf 40 Prozent beschnitten und dies auf die Wartung einer Turbine zurückgeführt. "Sie (Gazprom) werden zu dem vor dem 11. Juli gesehenen Niveau zurückkehren", sagte einer der Insider. Am 11. Juli waren die Gas-Ströme durch die Pipeline für eine Wartung unterbrochen worden.
EU will Sanktionen für russische Banken lockern
Die Europäische Union will ihre Sanktionen für russische Banken teilweise lockern, um die weltweite Lebensmittelversorgung nicht zu beeinträchtigen. Nach einem Vorschlag der EU-Kommission sollen blockierte russische Transaktionen wieder freigegeben werden können, wenn sie den Handel mit Getreide oder Düngemitteln betreffen. Die Behörden eines Mitgliedstaats können laut dem Text "die Freigabe bestimmter eingefrorener Gelder (...) genehmigen, wenn sie feststellen, dass diese Gelder oder wirtschaftlichen Ressourcen für den Kauf, die Einfuhr oder die Beförderung von landwirtschaftlichen Erzeugnissen und Lebensmitteln, einschließlich Weizen und Düngemitteln, erforderlich sind". Den Angaben zufolge betrifft diese Ausnahme sieben sanktionierte russische Banken, darunter auch die staatliche Außenwirtschaftsbank VEB.
USA liefern Polen Panzer - Deutschland zögert laut CDU
Polen hat aus den USA die ersten von insgesamt 366 Kampfpanzern des Typs Abrams erhalten. 28 gebrauchte Panzer seien in einem Trainingszentrum des polnischen Heeres eingetroffen, schrieb Verteidigungsminister Mariusz Blaszczak auf Twitter. Die Ausbildung der Soldaten beginne in Kürze. "Wir werden bereit sein, wenn die ersten der 250 funkelnagelneuen Panzer eintreffen, die wir bestellt haben." Den Kauf der neuen Panzer M1A2 Abrams für umgerechnet mehr als vier Milliarden Euro hatten Polen und die USA im April vereinbart, die Lieferung soll 2023 beginnen. Daneben bekommt das Land 116 gebrauchte Abrams-Panzer. Der Unions-Außenpolitiker Roderich Kiesewetter sieht dagegen den geplanten deutschen Panzer-Ringtausch mit Polen zur Unterstützung der Ukraine "am Scheitern". Die Bundesregierung habe Warschau nach drei Monaten "Reflexionszeit" erste Panzerlieferungen erst ab April kommenden Jahres angeboten, so der außenpolitische Sprecher der Unionsfraktion. Dabei sollten von insgesamt 20 Leopard-2-Panzern zunächst nur einer pro Monat geliefert werden, ab Oktober 2023 dann drei pro Monat.
Putin sieht "Bewegung" bei Getreide-Blockade
Russlands Präsident Wladimir Putin sieht Fortschritte bei den Verhandlungen über die Wiederaufnahme der blockierten Getreidelieferungen aus der Ukraine. "Mit Ihrer Hilfe haben wir uns nach vorn bewegt", sagt Putin nach Kreml-Angaben in Teheran an den türkischen Staatschef Recep Tayyip Erdogan gerichtet. Die Türkei bemüht sich um eine Vermittlung zwischen der Ukraine und Russland. "Es sind noch nicht alle Probleme gelöst, aber es ist gut, dass es Bewegung gibt", sagte Putin. Die beiden Staatschefs waren in Teheran zu einem Gipfel mit dem iranischen Präsidenten Ebrahim Raisi zusammengetroffen, um in erster Linie über die Lage in Syrien zu beraten. Es stand aber auch ein bilaterales Treffen von Putin und Erdogan auf dem Programm, bei dem es um die Ausfuhr des in ukrainischen Häfen blockierten Getreides ging.
Medwedew hält Westen für "politisch impotent"
Der frühere Kremlchef Medwedew zeigte sich mit Blick auf den Krieg in der Ukraine erneut siegessicher. "Russland erreicht alle gesetzten Ziele. Und es wird Frieden geben. Zu unseren Bedingungen", schrieb der jetzige Vizechef des Sicherheitsrates im Nachrichtenkanal Telegram. Es werde keine Einigung geben zu den Bedingungen der "politisch Impotenten" in der EU und in den USA. Einmal mehr kritisierte der frühere russische Präsident, dass die USA "unkontrolliert" Waffen in die Ukraine lieferten. "Die USA brauchen ein neues Afghanistan, zu dem nun gezielt die Ukraine gemacht wird." Es bestehe die Gefahr, dass die Waffen in die Hände von Verbrechern auf der ganzen Welt gerieten. "Für die Terroristen und die Radikalen wird es mehr todbringende Typen von Waffentechnik geben."
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Quelle: ntv.de, lve/dpa/AFP