Die Sünden des Cavaliere Silvio Berlusconi und die lästige Justiz
06.09.2013, 10:15 Uhr
Nach seiner rechtskräftigen Verurteilung droht auch d Verlust des Titels "Cavaliere". 1977 wurde Berlusconi mit dem Verdienstorden ausgezeichnet und darf sich daher "Ritter der Arbeit" nennen.
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Mafia-Kontakte, Sex mit Minderjährigen, Richterbestechung, Amtsmissbrauch und Steuerhinterziehung: Silvio Berlusconi ist seit über zwei Jahrzehnten Dauergast in Italiens Gerichtssälen. Er wurde 30 Mal angeklagt, zu etlichen Jahren Haft verurteilt - und saß noch keinen einzigen Tag im Gefängnis.
Silvio Berlusconis Verhältnis zur Justiz ist zerrüttet. Das hat Italiens Ex-Ministerpräsident immer wieder bewiesen. Seit Jahren beschimpft er Richter wahlweise als "rote Robben", "verkappte Kommunisten", "Geistesgestörte", "Taliban" oder "Krebsgeschwüre der Demokratie". Gelegenheiten, seine Attacken zu starten, gab es zur Genüge. Seit über zwei Jahrzehnten verhandelt Berlusconi in Gerichtssälen. 30 Mal wurde Anklage gegen ihn erhoben. Die Reihe der Vorwürfe erscheint endlos. Es geht um Mafia-Kontakte, Sex mit minderjährigen Prostituierten, Schmiergeldzahlung, Richterbestechung, Amtsmissbrauch, Bilanzfälschung und Steuerhinterziehung. Berlusconi stilisiert sich selbst gern als Opfer "roter" Staatsanwälte, die ihn aus politischen Gründen verfolgen. So bezeichnet er sich "als die am meisten von der Justiz verfolgte Person aller Zeiten und in der ganzen Welt".
Weit über 400 Millionen Euro soll Berlusconi für Top-Anwälte ausgegeben haben. Eine Investition, die sich bezahlt gemacht hat. Berlusconi gelang es im mer wieder, den Fängen der Justiz zu entwischen - sei es durch Freisprüche, Amnestien oder Verjährungen. Prozesse dauern in Italien in der Regel mehrere Jahre. Oft laufen die ohnehin relativ kurzen Verjährungsfristen ab, bevor ein Urteil ergeht. Durch geschickte Verzögerungstaktiken schafften es Berlusconis Anwälte, die Prozesse immer wieder durch die Instanzen zu ziehen, bis sie vor einem endgültigen Urteil verjährt waren. Noch wirksamer aber war die ungenierte Änderung bestehender Gesetze an seine Eigeninteressen. Berlusconi sorgte durch zahlreiche Dekrete dafür, dass er alle Prozesse unbeschadet überstehen konnte. Zudem erschwerte er die Arbeit der Staatsanwälte und Richter, indem er das Budget für den Justizapparat innerhalb von zehn Jahren halbierte.
Auch die erste rechtskräftige Verurteilung Anfang August wird kaum unangenehme Folgen für den 76-jährigen Milliardär nach sich ziehen. Aufgrund seines Alters kann Berlusconi Haftverschonung beantragen. Seine einjährige Haftstrafe wird er deshalb wohl nicht in einem Gefängnis, sondern in einer seiner Luxusvillen absitzen.
Die Prozesse des Cavaliere:
1990, noch vor seiner ersten Amtszeit als Ministerpräsident, läuft das erste Verfahren gegen ihn. Er soll vor Gericht über seine Mitgliedschaft Propaganda Due gelogen haben. Nachdem ihm diese nachgewiesen werden konnte, wird er wegen Meineides verurteilt. Der rechts-konservative Geheimbund Propaganda Due soll zwischen 1970 und 1980 zahlreiche Bombenanschläge in Italien verübt haben. Das Urteil über den damaligen Parlamentarier wird wegen einer allgemeinen Amnestie aber nie vollstreckt.
1994, kurz nachdem Berlusconi erstmals Premierminister wurde, zitieren ihn die Richter erneut in den Gerichtssaal. Der Vorwurf der Bestechung von Finanzbeamten bestätigt sich. Berlusconi wird drei Jahre später in erster Instanz schuldig gesprochen und zu 33 Monaten Haft verurteilt. Doch seinen Anwälten gelingt es, den Prozess hinauszuzögern. Im Mai 2000 wird das Urteil wegen Verjährung der Taten aufgehoben. Italiens höchste Instanz, der Kassationsgerichtshof, spricht Berlusconi 2001 frei.
1995 starten wegen diverser Vergehen vier Verfahren gegen Berlusconi. In einem Prozess geht es um Bilanzfälschung. Mit Hilfe schwarzer Kassen soll er den Fußballer Gianluigi Lentini für seinen Klub AC Mailand eingekauft haben. Zur Anklage kommt es aber nicht. 2002 wandert der Fall wegen Verjährung in den Aktenschrank. Die Einstellung stützt sich unter anderem auf ein von Berlusconi im Parlament durchgebrachtes Gesetz, das Bilanzfälschung zum Teil entkriminalisiert.
Um schwarze Kassen geht es auch in einem anderen Verfahren aus dem Jahr 1995. Diesmal muss Berlusconi auf der Anklagebank Platz nehmen. 1997 wird der Medienzar in erster Instanz verurteilt und zu 16 Monaten Gefängnis verdonnert. Die Richter sehen es als erwiesen an, dass Berlusconi beim Kauf des Filmverleihs Medusa die Bilanzen fälschte. Berlusconis Anwälte legen Berufung ein und haben Erfolg. 2000 wird Berlusconi wegen Verjährung freigesprochen, ein Jahr später wird der Freispruch in der Revision bestätigt.
Rubygate-Prozess: Im Juni 2013 wurde Berlusconi zu einer Gefängnisstrafe von sieben Jahren verurteilt - wegen Sex mit einer Minderjährigen und Amtsmissbrauch. Das Urteil fiel allerdings in der ersten Instanz, in Italien bleiben diese Entscheidungen oft folgenlos.
Unipol-Prozess: Berlusconi soll Aufzeichnungen eines vertraulichen Telefongesprächs an weitergegeben haben, um dem Linkspolitiker Piero Fassino zu schaden. In erster Instanz wurde Berlusconi bereits zu einem Jahr Haft verurteilt.
Ermittlungen wegen Bestechung: Der ehemalige Senator Sergio De Gregorio soll gestanden haben, für seinen Wechsel ins Lager des früheren Oppositionspolitiker Berlusconi insgesamt drei Millionen Euro kassiert zu haben. De Gregorios Eintritt in Berlusconis Partei sorgte dafür, dass die Regierung unter Prodi zusammenbrach.
Ebenfalls 1995 sieht sich Berlusconi dem Vorwurf des Steuerbetruges ausgesetzt. Beim Kauf einer Luxusvilla in Macherio bei Mailand soll nicht alles mit rechten Dingen zugegangen sein. Berlusconi kommt wegen Verjährung ohne Strafe davon.
Auch ein Verfahren wegen illegaler Parteienfinanzierung beginnt im Jahr 1995. Über die Offshore-Firma All Iberia soll er die italienischen Sozialisten (PSI) finanziert haben. Im Juli 1998 wird er in erster Instanz zu 28 Monaten Haft verurteilt. Im Berufungsverfahren wird das Urteil im Oktober 1999 wegen Verjährung aufgehoben.
1996 wird wegen des Verdachts auf Bilanzfälschung ein weiteres Verfahren im Zusammenhang mit der All-Iberia-Affäre eröffnet. Im September 2005 wird Berlusconi freigesprochen, weil die Vorwürfe nach der Gesetzesänderung durch die Regierung Berlusconi kein Straftatbestand mehr sind.
Ebenfalls 1996 wird ein Verfahren wegen Richterbestechung beim Kauf des Verlagshauses Mondadori durch die Fininvest eröffnet. Wegen Verjährung wird Berlusconi im November 2001 freigesprochen.
1997 wird Berlusconi wegen Bilanzfälschung beim Erwerb der Filmverleihfirma Medusa in den 1980er Jahren in erster Instanz zu 16 Monaten Haft verurteilt. Wegen "erwiesener Unschuld" wird er 2000 freigesprochen.
1998 wird gegen Berlusconi ein weiteres Verfahren wegen Richterbestechung eröffnet. Der Milliardär soll Richtern in den achtziger Jahren Geld zugesteckt haben soll, um den Kauf eines halbstaatlichen Lebensmittelkonzerns durch den Erzrivalen Carlo De Benedetti zu verhindern. Italiens höchste Instanz stellt das Verfahren 2007 schließlich ein.
Ebenfalls 1998 muss er sich wegen illegaler Parteienfinanzierung vor Gericht verantworten. Berlusconi soll den früheren Sozialistenchef Bettino Craxi, der als Ministerpräsident mit neuen Gesetzen dafür sorgte, dass er seine drei Fernsehsender ungehindert aufbauen konnte, reichlich entlohnt haben. In erster Instanz wird er zu zwei Jahren und vier Monaten Haft verurteilt. Das Berufungsgericht hebt das Urteil auf - wieder einmal wegen Verjährung.

In der Bunga-Bunga-Affäre kommt ans Licht: Berlusconi soll Sexpartys mit jungen Frauen gefeiert haben. Auch die damals noch minderjährige Ruby Rubacuori war dabei.
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2006 ruft erneut das Mailänder Gericht. Berlusconi steht im Verdacht, den britischen Anwalt David Mills bestochen zu haben. 1998 soll er 600.000 US-Dollar bezahlt haben, damit Mills in Prozessen gegen seinen Medienkonzern Falschaussagen macht. Die Richter sprechen Mills im Jahr 2009 schuldig und verhängen eine Haftstr afe von vier Jahren und sechs Monaten. Ein Jahr später wird das Urteil gegen Mills überraschend gekippt, die Anklage gegen Berlusconi fallengelassen. Es ist sein bis dahin größter Coup: Berlusconis Regierung hatte ein Gesetz durchs Parlament gepeitscht, das alle politischen Spitzenämter - in erster Linie ihn selbst - gegen Strafverfolgung immunisierte.
2008 klagt ein spanischer Staatsanwalt gegen Berlusconi. Es geht um die Übernahme des spanischen Fernsehsenders Telecinco durch Berlusconis Medienkonzern Fininvest. Die Spanier ermittelten bereits seit 1997 in dem Fall wegen Kartellrechtsverletzungen und Steuerhinterziehung. Vergeblich. Das Gericht weist die Vorwürfe jedoch ab.
Im März 2013 wird Berlusconi im sogenannten Unipol-Prozess um abgehörte Telefongespräche zu einer einjährigen Haftstrafe verdonnert. Das Gericht verurteilt ihn wegen Beihilfe zur Veröffentlichung vertraulicher Informationen. Die Telefonate spielten im Zuge der Ermittlungen in einem Finanzskandal aus dem Jahre 2005 eine Rolle.
Im Juni 2013 wird das Urteil in Berlusconis schmutzigsten Skandal, der Bunga-Bunga-Affäre, gesprochen. Berlusconi soll Sexpartys mit jungen Frauen gefeiert haben. Eine davon war offenbar die minderjährige Prostituierte Karima el-Marough, genannt Ruby. Ruby und Berlusconi müssen vor Gericht aussagen. Beide streiten ab, dass es zu Sex gekommen ist. Berlusconi wird dennoch in erster Instanz wegen Begünstigung der Prostitution Minderjähriger und Amtsmissbrauchs zu sieben Jahren Haft verurteilt.
Seit 2003 ermittelt die Staatsanwaltschaft gegen Berlusconis Medienimperium Mediaset. Der Vorwurf lautet Steuerbetrug beim Kauf von Fernseh- und Filmrechten. Berlusconi soll Schmiergelder gezahlt und die Geschäfte über eine Scheinfirma abgewickelt haben. 2012 wird er in erster Instanz zu vier Jahren Gefängnis und fünf Jahren Amtsverbot verurteilt. Wegen einer allgemeinen Amnestie wird die Haftstrafe umgehend auf ein Jahr verkürzt. Im Berufungsprozess wird das Urteil bestätigt. Im August 2013 bestätigt auch die höchste Instanz die von den Vorinstanzen verhängte Haftstrafe. Die Frage, ob Berlusconi auch verboten wird, politische Ämter auszuüben, verweisen die Richter zurück in die zweite Instanz.
Dennoch ist das Urteil ein Novum. Noch nie zuvor war es den Staatsanwälten und Richtern gelungen, Berlusconi rechtskräftig zu verurteilen, auch wenn seine Schuld zweifelsfrei festgestellt worden war. Noch jedes Mal hatte in diesen Fällen die Verjährung gegriffen und dem angeklagten Milliardär den Kopf gerettet. So herb das Urteil für Berlusconi ist, so begrenzt sind seine Folgen. Das noch verbliebene Haftjahr wird er wohl aufgrund seines Alters im schlimmsten Fall im Hausarrest in einer seiner Luxusvillen abbüßen. Allein in Italien hätte er 20 verschiedene Wohnsitze zur Auswahl, darunter seine sardische Ferienvilla. Diese ist etwa so protzig ausgestattet wie einst Michael Jacksons "Neverland"-Ranch.
Quelle: ntv.de, mit AFP