Neue Verordnung wirft Fragen auf Söder sagt den Wölfen den Kampf an


Im Wildpark Poing bei München gibt es Wölfe - um ihre Artgenossen in freier Wildbahn ist jedoch in Bayern ein heftiger Streit entbrannt.
(Foto: Alexander Heinl/dpa/Symbolbild)
Im bayerischen Wahlkampf spielt auch der Wolf eine Rolle, er soll gejagt werden. Zu Beginn der Almsaison wird der Abschuss erleichtert, Ministerpräsident Söder schweben wolfsfreie Räume vor. Doch so leicht ist das nicht zu machen, es gibt scharfe Kritik und rechtliche Bedenken.
"Der Wolf gehört hier nicht her." Es ist eine klare Ansage von Bayerns Ministerpräsidenten Markus Söder, als er Ende April die Oberaudorfer Alm besucht. "Wenn wir nichts tun, stirbt hier die Almwirtschaft aus", fügt er an - und erntet Applaus von den Bauern vor Ort. Neben dem Bär ist der Wolf im bayerischen Wahljahr zum Thema geworden - und Söder hat ihm den Kampf angesagt.
Seit dem 1. Mai gilt im Freistaat eine neue Verordnung zum Wolf. Eilig hat die Landesregierung eine erleichterte Entnahme - was auch das Fangen, aber meist den Abschuss von Wölfen meint - beschlossen. Nach dem Willen der Regierung aus CSU und Freien Wählern soll damit das bürokratisch aufwändige Verfahren abgeschafft werden, mit dem ein Abschuss bereits davor möglich war - zum Schutz von Weidewirtschaft, Weidetieren und auch Menschen. Der Vorstoß erntet jedoch Kritik - von Natur- und Tierschutzverbänden wie von den oppositionellen Grünen. Der Grünen-Co-Fraktionschef im bayerischen Landtag, Ludwig Hartmann, sprach im Deutschlandfunk von einer "typischen Nebelkerze" Söders.
Neu sind solche Auseinandersetzungen um Wölfe nicht. Seit er sich um die Jahrtausendwende wieder in Deutschland angesiedelt hat, stehen sich Wolfsschützer und Wolfsgegner nahezu unversöhnlich gegenüber. Die einen wollen den EU-weiten, strengen Schutz der Tierart unbedingt aufrechterhalten. Die anderen fordern mit Blick auf gerissene Nutztiere und bürokratische Verfahren einen erleichterten Abschuss, manche sogar die erneute völlige Ausrottung. Ausgleichende Stimmen sind bei diesem Thema selten. Ein Kompromiss, der die Sorgen von Tierhaltern genauso ernst nimmt wie den nötigen Naturschutz, der bürokratische Hürden genauso verhindert wie den ungebremsten Abschuss, ist nicht in Sicht.
Diese Debatte hat zuletzt nicht nur den Bundestag beschäftigt, sie ist vor allem in Bayern voll entbrannt. Einerseits, weil es mehr Vorfälle wie Risse gibt, andererseits weil Spuren eines Bären die Diskussion um den Umgang mit Beutegreifern angefeuert haben - und Tirol die Entnahme von Wölfen bereits vor Bayern erleichtert hat. Nicht zuletzt aber, weil im Herbst ein neuer Landtag gewählt wird. Und Bauern und Weidetierhalter sind auch Wähler.
Am Ende dürften Gerichte entscheiden
Auch bisher war in Bayern der Abschuss bestimmter Wölfe möglich, allerdings unter hohen Auflagen, wenn etwa Wiederholungsgefahr besteht, dass sachgerecht geschützte Nutztiere gerissen werden oder sie Menschen gefährlich nahekamen. Die Wolfs-Verordnung schafft neue Voraussetzungen: "Jetzt ist es so, dass, wenn ein Nutztier gerissen wird, alle Wölfe in dieser Region zum Abschuss freigegeben werden können", erklärt Andreas von Lindeiner, Landesfachbeauftragter Naturschutz beim Landesbund für Vogel- und Naturschutz in Bayern (LBV) im Interview. Das komme der Ausweisung wolfsfreier Gebiete gleich, auch wenn diese laut Wolfs-Aktionsplan für Bayern rechtlich nicht zulässig seien.

Halter leiden, wenn sie Tiere verlieren - im hessischen Friedrichsthal untersucht eine Wolfsexpertin einen Schafskadaver.
(Foto: dpa)
"Ein Riss reicht", brachte Söder die neue Linie der Regierung auf den Punkt. Dass er die Wolfs-Verordnung ausgerechnet auf einer Alm verteidigte, hat seine Gründe: Die Saison beginnt gerade, auch deshalb wurde die Verordnung schnell durchs Kabinett gebracht. Weidetiere, oft in Kleinstherden, grasen hier den Sommer über, tage-, manchmal wochenlang ohne Aufsicht - typisch bayerische Weidewirtschaft. Ein Schutz vor Wölfen ist dabei äußerst schwierig, eine Einzäunung aufgrund der Topografie oder Bodenverhältnisse oftmals nicht möglich - was auch von Lindeiner anerkennt.
Der LBV-Vertreter kritisiert jedoch, dass mit der Verordnung weite Gebiete als nicht einzäunbar deklariert werden: "Das umfasst beispielsweise den gesamten Landkreis Berchtesgaden oder Zweidrittel des Landkreises Garmisch-Partenkirchen, die damit praktisch zu wolfsfreien Zonen erklärt werden." Wenn sich Wölfe mehrere Tage im Umkreis von weniger als 200 Metern um Ortschaften aufhalten, könnten lokale Behörden sie zum Abschuss freigeben.
Von Lindeiner bemängelt dabei, dass der Entnahme nicht wie bisher eine Einzelfallentscheidung und eine fachliche Einschätzung durch Wildbiologen oder Experten für Beutegreifer vorausgehe - die Entscheidung liege nun bei den unteren Naturschutzbehörden, also den Landräten. "Die Verordnung wurde im Rahmen des bevorstehenden Wahlkampfes erlassen und sorgt bei den Weidetierhaltern für Zufriedenheit. Fachlich und rechtlich sind daraus folgende Entscheidungen zum Abschuss aber nicht haltbar." Am Ende dürften also langwierige Gerichtsverfahren stehen. Der LBV ist mit anderen Naturschutzverbänden in Kontakt, die bereits Klagen angekündigt haben, wenn die bayerische Wolfs-Verordnung in die Tat umgesetzt wird. Auch mit der EU-Kommission sei man im Gespräch, um ein klares Statement und damit Rechtssicherheit zu erlangen.
Es werden sich weitere Wölfe ansiedeln
Unbestritten ist, dass sich der Wolf in Deutschland in den vergangenen zwei Jahrzehnten weit ausgebreitet hat. Die Population aus Rudeln, Paaren und Einzeltieren - insgesamt sind es mehr als 220 Territorien - ist stark gewachsen, vor allem in Norddeutschland. In Bayern sieht das noch anders aus. Bei der Dokumentations- und Beratungsstelle des Bundes wurden 2021/22 in Bayern drei Rudel, ein Paar und zwei Einzeltiere verzeichnet - weniger als 2020/21. Tiere, die kurzzeitig Bayern durchqueren und wieder verlassen, zählen nicht mit.
"Wir müssen davon ausgehen, dass bei derzeit 23 ortsansässigen Wölfen in Bayern noch viel Platz für weitere Rudel ist", sagt von Lindeiner. Der Erhaltungszustand der polnisch-mitteldeutschen Population, zu der auch Bayern zählt, sei zwar insgesamt gut, aber eben nicht im Freistaat allein. Aufgrund der zentraleuropäischen Lage gibt es hier viele Durchzügler, nicht nur aus Nord- und Mitteldeutschland, sondern auch aus den Alpen oder den Karpaten. "Bayern ist ein Knotenpunkt verschiedener Migrationsrouten. Es wird sich gar nicht vermeiden lassen, dass sich hier weiter Wölfe ansiedeln", sagt der LBV-Experte.
Das heißt auch, dass es weiterhin Konflikte mit Bauern und Weidetierhaltern geben wird. Diese leiden, auch wenn es staatliche Entschädigungen gibt, unter dem Riss ihrer Tiere. Entsprechend vehement fordern Interessenvertreter mehr Schutz. "Niemand von uns hat den Wunsch, den Wolf auszurotten", sagte Bayerns Agrarministerin Michaela Kaniber von der CSU jüngst bei einer Veranstaltung des Bauernverbands in Berlin. Allerdings falle die tägliche Bilanz "mittlerweile dramatisch" aus, das Risiko sei vor allem auf bayerischen Weiden am Hang hoch. Der Politik wirft der Bauernverband in Sachen Wolf "Verharmlosung, Realitätsverweigerung, romantische Verklärung und organisierte Schönfärberei" vor.
Wie lässt sich dieser Konflikt lösen? In Bayern gibt es ein Wolfsmanagement, genannt Aktionsplan (hier als PDF). Laut von Lindeiner wurde dieser gemeinsam erarbeitet, von Naturschutzverbänden, Tierhaltern, Bauernverband, Jägerschaft, kommunalen Vertretern. Er lässt, wie auch in anderen Bundesländern, die Entnahme von Wölfen zu. Zudem regelt er die Förderung von Herdenschutz durch Zäune und Hirtenhunde oder die Umstellung des Weidemanagements - etwa die Zusammenlegung von Kleinstherden. Die neue Verordnung der Landesregierung hebelt ihn aber aus, was von Lindeiner kritisiert: "Sobald es einen Vorfall mit Wölfen gibt, wird nach Verschärfungen gerufen, ohne dass die bereits verfügbaren Maßnahmen erst mal umgesetzt werden können." Es sei enttäuschend, dass dem Wolfmanagement keine Möglichkeit gegeben werde, sich zu bewähren oder verbessert zu werden.
Bayern setzt im Umgang mit dem Wolf auf einen radikalen Weg. Dabei ist völlig unklar, ob die Wolfs-Verordnung in dieser Form bestehen bleiben kann. Die Landesregierung könnte den Befürwortern dieses Kurses einen Bärendienst erwiesen haben, wenn die Regelung gerichtlich gekippt werden sollte. Denn die Abkehr von der Einzelfallentscheidung, die nur den tatsächlichen Verursacher von Rissen entnimmt, ist rechtlich umstritten. Dass nun nicht mehr Experten und Bezirksregierungen als Aufsichtsbehörden, sondern Landratsämter mit gewählten Landräten über Entnahmen verfügen können, setzt den Wolf zudem politisch getriebenen Entscheidungen aus - die dann von Landkreis zu Landkreis variieren können. Nicht zuletzt bezweifeln Experten, dass Abschüsse die Population tatsächlich verringern können. "Für jeden abgeschossenen Wolf kommen zwei neue nach", sagten Vertreter von Naturschutzverbänden dem Bayerischen Rundfunk. Das Problem wird also nicht verschwinden, auch nicht, wenn der Wahlkampf vorbei ist.
Quelle: ntv.de