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Wildtierexperte im Interview Was tun, wenn man einem Bären begegnet?

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In der Regel wollen Braunbären nichts mit dem Menschen zu tun haben.

In der Regel wollen Braunbären nichts mit dem Menschen zu tun haben.

(Foto: picture alliance / empics)

Braunbären sind grundsätzlich scheue Tiere und meiden Menschen. Dennoch kam es in Italien, in der Trentiner Gemeinde Caldes, kürzlich zu einem Bärenangriff, bei dem ein Jogger getötet wurde. Tierfilmer Andreas Kieling hatte vergangene Woche in den Karpaten mehr Glück, als er von einem Bären attackiert worden ist. Auch durch Süddeutschland streifen immer mehr der Raubtiere. So riss im oberbayerischen Rosenheim ein Braunbär Schafe auf einer Alm. Und auch in Tirol wurden Bärenspuren im Schnee gesichtet. Warum es wieder mehr Bären in der Bundesrepublik gibt, wie gefährlich eine Begegnung ist und wie man sich am besten verhalten sollte, erklärt Wildtierexperte Klaus Hackländer im Interview mit ntv.de.

ntv.de: Herr Hackländer, wie kommt es, dass wieder Bären durch die Wälder streifen?

Klaus Hackländer: Die Bären, die jetzt im Alpenraum auftauchen, sind vor allem Tiere, die aus dem Trentino-Wiederansiedlungsprojekt stammen. 1999 hat man Bären aus Bergregionen Sloweniens und Kroatiens gefangen und in Italien wieder ausgewildert. Diese Wiederansiedlung war sehr erfolgreich. Die Tiere sind im Trentino geblieben und haben sich fortgepflanzt. Mittlerweile leben dort rund 130 Bären.

Wie kommen einzelne Bären nach Deutschland?

Bären müssen spätestens ab dem dritten Lebensjahr ihre angestammten Gebiete verlassen. Die Mutter hat bereits erneut Nachwuchs und die Jungtiere des letzten Wurfs sind müssen alleine zurechtkommen. Diese wandern dann bis zu 80 Kilometer weit, um ein neues Territorium zu finden. Die jungen Bären suchen dabei nicht nur nach einem neuen Lebensraum, sondern auch einen Paarungspartner. Und wenn sie keinen in der Nähe ihres Geburtsortes finden, ziehen sie weiter. So kam auch der Bär, der jetzt in Bayern Schafe gerissen hat, nach Deutschland.

Wie sollte man sich verhalten, wenn man einem Bären begegnet?

Bären stehen an der Spitze der Nahrungskette. Sie kann man nicht beeindrucken wie etwa einen Wolf, indem man sich groß macht, schreit oder einen Stock in die Hand nimmt, um zu zeigen, dass man wehrhaft ist. Jedoch sollte man auch auf keinen Fall wegrennen, da man so suggeriert, dass man Beute ist. Die beste Strategie ist, zu versuchen, sich langsam zurückzuziehen. Dabei sollte man Geräusche von sich geben, zum Beispiel singen. Der Bär sieht sehr schlecht, hört aber ganz gut. Daher sollte man ihm ein akustisches Signal geben, damit er weiß, wo man ist und dass man sich auch wieder wegbewegt. Dann ist der Bär in der Regel zufrieden und sieht in dem Menschen auch keine unmittelbare Gefahr.

Klaus Hackländer ist Professor für Wildtierbiologie und Jagdwirtschaft an der Universität für Bodenkultur Wien (BOKU). Seit 2021 ist er Vorstand der Deutschen Wildtier Stiftung.

Klaus Hackländer ist Professor für Wildtierbiologie und Jagdwirtschaft an der Universität für Bodenkultur Wien (BOKU). Seit 2021 ist er Vorstand der Deutschen Wildtier Stiftung.

(Foto: Deutsche Wildtier Stiftung)

Das funktioniert tatsächlich?

In Kanada empfiehlt man in manchen Regionen Wanderern sogar, ein Glöckchen zu tragen, damit der Bär sie früh genug hört und sich zurückziehen kann. Dass das funktioniert, haben auch unsere Experimente in Schweden bei einem dortigen Bärenprojekt gezeigt. Wir haben Studenten in die Richtung eines besenderten Bären losgeschickt. Wenn dieser einen Studenten früh genug wahrgenommen hatte - durch beispielsweise Geräusche - ist er von seinem Lager aufgestanden und hat sich von der Person wegbewegt. War die Versuchsperson weg, kam der Bär wieder zurück. Bären wollen mit dem Menschen in der Regel nichts zu tun haben. Wenn der Wind allerdings ungünstig steht und der Bär den Menschen nicht früh genug riechen kann, dieser auch noch leise unterwegs ist und den Bären überrascht, kann es sein, dass das Tier sich instinktiv verteidigen will.

Und was macht man, wenn der Bär einen angreift, wie auch im Fall des Joggers im Trentino?

Der Jogger hat durch sein Rennen im Gebirge womöglich unabsichtlich ein potenzielles Beutetier simuliert. Und ist dann vielleicht sogar noch weitergerannt, als der Bär sich ihm näherte. Übrigens ist es unmöglich, vor einem Bären wegzulaufen. Auf kurzer Strecke kann er nämlich mehr als 50 Kilometer pro Stunde erreichen. Bären sind zwar Allesfresser, Menschen sind jedoch grundsätzlich nicht seine natürliche Beute. Daher ist die beste Taktik, sich tot zu stellen: auf den Boden legen, Buckel machen, Hände in den Nacken - und hoffen, dass der Bär dann weiterzieht. In solch einer Situation ist es sicherlich schwierig, nicht in Panik zu geraten. Aber laut den empirischen Belegen aus Bärengebieten haben Menschen, die einen Bärenangriff überlebt haben, meistens diese Strategie angewandt.

Sind Braunbären also prinzipiell gefährlich?

Ungefährlich ist eine Begegnung mit einem Bären nicht. Aber das Problem in Trentino war auch, dass damals eine wenig scheue Bärin aus Slowenien dort angesiedelt worden ist: Jurka. Sie ist die Mutter von Gaia, der Bärin, die den Jogger getötet hat, und auch von "Problembär" Bruno, der schon 2006 für Schlagzeilen in Deutschland sorgte. Insgesamt hatte Jurka fünf Nachkommen, die alle sogenannte Problembären oder sogar Risikobären waren. Die sind bereits alle tot oder in Gefangenschaft, wie jetzt auch Gaia. Denn Jurka hatte ihren Jungen offenbar beigebracht, dass sie keine Angst vor Menschen haben müssen. Die Bärenfamilie verband mit dem Menschen sogar Futter. Es war sicherlich ein Fehler, Jurka im Trentino anzusiedeln. Denn ebenso wie ihre Mutter hat auch Gaia im Menschen keine Gefahr gesehen. Und das hatte jetzt tragische Folgen.

Was passiert jetzt mit Gaia?

Das ist noch nicht geklärt. Entweder wird Gaia getötet oder in einen Bärenpark gebracht. Ein Bärenpark aus der Steiermark hat bereits angeboten, sie aufzunehmen. Bären sind nach EU-Richtlinien streng geschützt. Es gibt jedoch Ausnahmen, wenn beispielsweise ein Bär einen ernsthaften wirtschaftlichen Schaden anrichtet oder sogar einen Menschen angreift. Dann kann man diesen Bären entnehmen, was aber nicht automatisch töten heißt. Man kann ihn auch woanders hinbringen oder in Gefangenschaft nehmen. Das Erschreckende im Trentino ist allerdings, dass Gaia schon einmal gefangen worden ist. Sie hatte 2020 zwei Menschen angegriffen und verletzt. Die lokale Regierung wollte Gaia damals töten. Doch es gab Einspruch von Tierrechtlern. Schließlich wurde sie wieder ausgesetzt.

In Deutschland gab es 2006 einen großen Aufschrei unter Tierfreunden und Tierschützern, als "Problembär" Bruno erschossen wurde. Ist es wirklich nötig, einen Bären zu töten, der nur seinem natürlichen Instinkt nachgeht?

Es ist eine schwierige ethische Frage, was man mit einem Schad- oder Risikobären macht, wenn man ihn nicht töten möchte. Ist die Gefangenschaft tatsächlich eine humane Alternative? Ist eine artgerechte Tierhaltung tatsächlich möglich? Falls nicht, leidet der Bär, der aus freier Wildbahn kommt, wenn er seiner Freiheit beraubt wird. Daher gibt es auch viele, die sagen, für den Bären wäre es eigentlich besser, er wäre tot. Eine lebenslange Gefangenschaft ist schließlich nicht immer die bessere Alternative.

Hinzu kommt: Gaia ist nicht die einzige "Problembärin", die im Trentino unterwegs ist. Das heißt, wir werden noch einige Fälle erleben, in denen es diese Diskussion geben wird. Irgendwann sind die ganzen Bärenparks voll. Wenn Trentino von den 130 Bären 70 entnehmen möchte, können die nicht alle in Gefangenschaft kommen. Viele davon wird man töten müssen.

Was ist mit dem Bären, der kürzlich durch Bayern streifte? Könnte der auch zu einem Problem werden?

Nein, der ist einer, den man sich als Artenschützer nur wünschen kann. Denn er ist sehr unauffällig und meidet den Kontakt mit Menschen. Der Bär in Bayern hat zwar Schafe gerissen, allerdings in der Nacht. Das hat niemand sofort mitbekommen. Er ist also kein "Problembär", wie man in Bayern gerne sagt. Er ist maximal ein sogenannter Schadbär, der wirtschaftliche Schäden hervorbringt. Aber keiner, der ein Risiko darstellt. Zudem ist er nach neuesten Erkenntnissen inzwischen in Tirol. Es kann zwar sein, dass er wieder nach Bayern zurückkommt. Aber solange es in Bayern kein Weibchen gibt, das auf ihn wartet, wird er wahrscheinlich auch nicht lange dort bleiben.

Kann es passieren, dass Bären wieder öfter nach Deutschland kommen?

Wir müssen uns grundsätzlich entscheiden, ob wir glauben, dass der Bär in Deutschland noch einen Platz hat. Heute sind Bären dort unterwegs, wo es wenig Menschen gibt. Solche Flecken in Deutschland zu finden, ist jedoch schwierig. Diese müssen zusätzlich auch noch bewaldet sein, damit der Bär sich zurückziehen kann. Es ist zwar bedauerlich und traurig, aber ich gehe davon aus, dass wir in Deutschland nicht so schnell eine Bärenpopulation aufbauen können, da einfach der Platz fehlt.

Wie sollten wir mit Bären umgehen, die sich dann doch mal nach Deutschland verirren?

Die Frage ist natürlich: Was mache ich, wenn ein Bär kommt? Wie weit lasse ich ihn in die Konflikte hineinstolpern? Denn der arme Bär, der durch Deutschland streift, wird immer wieder auf menschliche Siedlungen treffen. Damit sind Konflikte vorprogrammiert. Wenn mal ein Bär einwandert und keine Gefahr mit sich bringt, sollte man ihn ziehen lassen. Weiter in den Norden wird er höchstwahrscheinlich nicht gehen, denn dort gibt es weit und breit keine Bärenpopulation. Die nächste kommt erst wieder in Skandinavien.

Mit Klaus Hackländer sprach Hedviga Nyarsik.

Das Interview wurde erstmals am 29. April 2023 auf ntv.de veröffentlicht.

Quelle: ntv.de

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