Kompromiss gefunden Stammzellengesetz gelockert
11.04.2008, 14:24 UhrIn Deutschland dürfen Wissenschaftler künftig mit jüngeren embryonalen Stammzellen aus dem Ausland forschen. Der Bundestag beschloss in Berlin mit klarer Mehrheit eine Verschiebung des Stichtags auf den 1. Mai 2007. Bislang durften die Forscher nur Stammzellen verwenden, die vor dem 1. Januar 2002 im Ausland gewonnen wurden.
Für die Stichtagsverschiebung stimmten 346 von 580 anwesenden Abgeordneten. 228 stimmten mit Nein, sechs enthielten sich. Das von der katholischen Kirche geforderte komplette Verbot der embryonalen Stammzell-Forschung wurde eindeutig abgelehnt. Gegen diesen Antrag, der einen Importstopp solcher Zellen vorsieht, stimmten 442 Abgeordnete, dafür waren 118. Auch eine völlige Freigabe der Forschung ist gescheitert. Die Abgeordneten unterlagen keinem Fraktionszwang - die Fronten gehen in dieser ethischen Frage quer durch die Parteien – und votierten allein nach ihrem Gewissen.
Mit dem angenommenen Antrag, der auf eine Initiative der Abgeordneten Ren Röspel (SPD) und Ilse Aigner (CSU) zurückgeht, wurde auch klargestellt, dass deutsche Wissenschaftler sich nicht mehr strafbar machen, wenn sie sich an internationalen Stammzellen-Forschungsprojekten beteiligen. Mit der Ausweitung des Stichtags auf den 1. Mai 2007 stehen deutschen Forschern in Zukunft nach Angaben von Röspel nun statt 21 etwa 500 Zelllinien zur Verfügung.
"Kleinstmögliche Veränderungen"
Bundesforschungsministerin Annette Schavan (CDU) wertete die Entscheidung als gutes Signal für den Lebensschutz auch in Zukunft". Zugleich sei sie auch "ein gutes Signal in das Vertrauen der Wissenschaft", so Schavan bei n-tv. "Wir haben einen Weg gefunden, kleinstmögliche Veränderungen des Gesetzes, der dem einen und dem anderen dient."
Nach ihrer Auffassung werde man in einigen Jahren vielleicht weniger über den Verbrauch humaner Embryonen für die Forschung sprechen als heute. "Meine Prognose ist, dass die ethisch unbedenklichen Alternativen starken Fortschritt machen und dass wir dann nicht über mehr Embryonenverbrauch sprechen, sondern darüber, dass das nicht mehr die einzige Quelle ist, sondern zum Beispiel die Rückentwicklung somatischer Körperzellen zu guten Erfolgen führt."
Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) hatte vehement die Lockerung des Gesetzes gefordert. Mit den älteren menschlichen embryonalen Stammzellen sei Spitzenforschung nicht mehr möglich. Für den neuen Stichtag hatten sich auch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Schavan eingesetzt. Die Katholische Kirche hatte vor einer Veränderung des Stichtags gewarnt.
Schavan sagte in der zweistündigen Debatte, die Ausweitung sei verantwortbar, um Wissenschaftlern in einem schmalen Korridor die Forschung mit jüngeren, embryonalen Stammzellen zu ermöglichen. Der neue Stichtag ist nach Ansicht von Justizministerin Brigitte Zypries (SPD) mit der Verfassung vereinbar. Der Staat habe zwar die Pflicht, menschliches Leben zu schützen. Genauso müsse er aber darauf achten, dass die Freiheit der Forschung nicht eingeschränkt werde, sagte Zypries.
"Keine Therapien zu erwarten"
Die Gegner der Stammzellenforschung argumentierten, die von den Wissenschaftlern geweckten Heilserwartungen hätten sich nicht erfüllt. "Kein Mensch ist mit embryonalen Stammzellen geheilt worden", sagte der CDU-Abgeordnete Hubert Hüppe. Auch nach Auffassung des SPD-Politikers Wolfgang Wodarg, studierter Mediziner und Mitglied im Gesundheitsausschuss des Bundestags, sind von der Forschung mit embryonalen Stammzellen "keine Therapien zu erwarten": "Wir brauchen diese embryonalen Stammzellen nicht", sagte Wodarg bei n-tv. "Wir müssen den Menschen vor der Vernutzung schützen."
"Heilung ermöglichen"
Dagegen befürwortete die CDU-Politikerin Katherina Reiche bei n-tv die Forschung an embryonalen Stammzellen: "Um die Regenerative Medizin weiter voranzubringen, brauchen wir das Verständnis der Entwicklung von Stammzellen." Die stellvertretende Unionsfraktionsvorsitzende sagte weiter: "Ich argumentiere als Christin, als Mutter, aber auch als Naturwissenschaftlerin. Ich bin davon überzeugt, dass wir als Christen auch die Pflicht haben, all unsere Möglichkeiten des Wissens auszuschöpfen, um Heilung und Leidminderung zu ermöglichen."
"Nicht töten um zu helfen"
Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Robert Zollitsch, hatte ein völliges Verbot der embryonalen Stammzellenforschung verlangt. "Ich kann nicht Menschen töten, um anderen Menschen zu helfen", sagte der Erzbischof im Deutschlandfunk. Auch der Kölner Kardinal Joachim Meisner hatte die Abgeordneten gewarnt: "Es geht nicht um eine Spezialistenfrage, sondern es geht um die Grundlage des christlichen Menschenbildes und um die Werte unserer freiheitlich-demokratischen Verfassung", sagte Meisner dem domradio.
Quelle: ntv.de