Vorsicht, Kanzlerkandidat an Bord! Steinbrück übernimmt das Kommando
10.08.2013, 07:47 Uhr
Kapitän Steinbrück - davon träumt die geschundene SPD.
(Foto: picture alliance / dpa)
Seinen Traum vom Kanzleramt hat er noch nicht aufgegeben. Tapfer tourt Peer Steinbrück durch das ganze Land und kämpft um jede Stimme. Auf einem Ausflugsschiff in Warnemünde entert der Kanzlerkandidat plötzlich die Kabine des Kapitäns.
Die MS Ostseebad Warnemünde legt gerade von der Alten Mole ab, da lehnt sich Peer Steinbrück gemütlich zurück. "Sie müssen doch ans Steuer", sagt die Frau, die ihm auf dem Mitteldeck gegenüber sitzt. "Später", erwidert er. Der 66-Jährige hat das volle Ausflugsschiff gerade als einer der Letzten betreten. Gleich am ersten Tisch, den er ansteuert, wird er herzlich empfangen. "Wir sind nur Ihretwegen hier. Für immer SPD", sagt ein Mann strahlend und klopft auf den Tisch. Da ist Steinbrück nun wirklich kurz baff: ein staunender, fast gerührter Kanzlerkandidat.
Es ist Balsam auf die Wunden des Geschundenen. Steinbrück führt einen verzweifelten Kampf. Die Umfragen sind seit Monaten miserabel, ein Aufschwung nicht in Sicht. Noch dazu rennt langsam die Zeit davon. Sechs Wochen vor der Wahl räumen inzwischen selbst die Genossen ein, dass die heiße Wahlkampfphase erreicht ist. Umso schwerer für den zurzeit wichtigsten Sozialdemokraten des Landes: Auf seiner Tour durch die Republik soll er Zuversicht und Optimismus ausstrahlen. So wirbt er nun auf allen Wegen um die Stimmen der Menschen; auf Marktplätzen, an Haustüren und notfalls auch an Bord. Um zu zeigen, dass er gar nicht so übel ist, wie viele denken.
Mit den 250 Passagieren schippert das Motorschiff aus dem Kanal hinaus in Richtung Ostsee und biegt dann ab in Richtung Rostocker Stadthafen. Kanzlerkandidat an Bord: Es dauert nicht lange, bis es sich herumspricht. Steinbrück sucht derweil Anschluss und setzt sich zu einer Gruppe von Urlaubern. Überraschte Gesichter, aber man kommt ins Gespräch. Woher kommen Sie? "Bonn? Aha, da kenn ich mich aus." Die Sonne steht jetzt senkrecht am Himmel. Einer von Steinbrücks Begleitern reicht eine Mütze. Aber der Kopf ist zu groß. Nächste Mütze, neues Glück - diesmal passt sie, zum Glück.
Hamburg, Norderney, Warnemünde – für Steinbrück ist das wie ein Heimspiel. Die ersten Stationen seiner Wahlkampfreise liegen wohl nicht zufällig im Norden. An der Küste fühlt er sich schließlich am wohlsten. Hier trifft er die Schnoddrigen und Kantigen, Menschen von seinem Schlag. Nirgends kann er besser die Kraft sammeln, die er in den kommenden Wochen noch brauchen wird. Für die zehrende Tour durch das Land, das er so gerne regieren würde.
Symbolpolitik mit Mikro
Er bahnt sich den Weg durch Fotografen und Autogrammjäger. Ein Mann im türkisen Polohemd nähert sich. Ein Fan, so viel ist schnell klar. Der Mann drückt sich kurzerhand dem verdutzten, weil in ein Gespräch vertieften Kandidaten an die Schulter, cheese, und fertig ist das Foto. Gesellige Stimmung jetzt: Steinbrück kommt gut an bei den Leuten, bringt sie zum Lachen. Politik ist in vielen Gesprächen Nebensache. Ein größeres Schiff fährt vorbei. Einige Passagiere schauen neugierig herüber. Es ist Wahlkampf, jetzt könnte er doch winken. Gerhard Schröder würde sich das wohl nicht entgehen lassen, Steinbrück schon.
In der Ferne ragen die Plattenbauten von Rostock-Lichtenhagen in den Himmel. Es geht vorbei an Kreuzfahrtschiffen und Yachten, die im Hafen liegen. Sonnenschein, blauer Himmel, schöne Ostsee - aber plötzlich ist Steinbrück richtig sauer. Ein Reporter ist seinem Tisch mit dem Mikrofon zu nah gekommen. "Ich will nicht, dass jedes Gespräch mit den Gästen aufgenommen wird", meckert er. Unter sich bleiben, in Zeiten von Tempora und Prism ist das nicht mehr selbstverständlich. Die Leute sind misstrauisch. "Wen Sie dann wählen, müssen Sie noch klären", rät Steinbrück zum Abschied und lacht vergnügt. Sobald er fort ist, berät sich der Tisch zur Kurzkritik. "Er hat’s ja auch schwer, gegen die Merkel muss man erst einmal gewinnen", sagt einer. "Ich werd’ ihn wohl wählen, auch wenn ich selbständig bin", sagt eine Frau.
So bitter es auch ist für die Genossen: 2013 ist nicht 2005. Die schwarz-gelbe Bundesregierung ist heute zwar nicht beliebter als damals Rot-Grün. Trotzdem ist das Land offenbar nicht bereit für den Wechsel. Ob die ständigen Streits in der Koalition, die Euro-Hawk- oder die NSA-Spähaffäre, die nun sogar zu Ungunsten der SPD umzukippen droht: Angela Merkel thront scheinbar unbeeindruckt über allem. Könnten die Menschen den Kanzler direkt wählen: 55 Prozent würden sich für sie entscheiden, nur 21 für ihn. Und das, obwohl die SPD aus Sicht Vieler das attraktivere Programm hat. Die Deutschen sind schon komisch.
Als der Herausforderer das Oberdeck betritt, ergreift Toby die Chance und tippt ihn an. Steinbrück wird schnell zahm angesichts des kleinen Kerls. Was der denn in seinen Ferien so treibe, fragt er und gibt die Antwort selbst: "Sandburgen bauen? Das habe ich früher auch gemacht." Die Mutter ist stolz, jetzt wird das also doch noch was mit dem Foto. Steinbrück hat gerade am nächsten Tisch Platz genommen, da setzt sich der Herr mit dem türkisen Polohemd neben ihn. Er kommt aus Güstrow, erzählt er. Wo denn hier die schönste Badestelle sei, will Steinbrück wissen. Ob er wohl eine Badehose dabei hat? Der Mann deutet mit seinem Arm zu einem Ufer am Horizont.
Überall stehen Fettnäpfchen
So schnell lässt sich der Mann nicht abwimmeln. Er und der Kanzlerkandidat. Da kann er seinen Kollegen was erzählen. Andy Warhol, 15 Minuten Ruhm – so muss sich das wohl anfühlen. Wieder fährt ein Schiff vorbei, auf beiden Seiten wird, das ist doch selbstverständlich, fleißig gewunken. Bis auf Steinbrück. "Das muss doch anstrengend für Sie sein, jeden Tag von morgens bis abends", sagt eine Frau. Er sagt nichts.
Der Mann mit dem blauen Hemd und der beigefarbenen Mütze: So wie er da sitzt, könnte man Steinbrück auch für einen normalen Ostseeurlauber halten. Wenn da nicht der Tross wäre, den er hinter sich herzieht. Sicherheitsleute, Journalisten, Trubel: Seine Welt ist das nicht. Die letzten Wochen haben Spuren hinterlassen bei dem 66-Jährigen. Ständig erinnert man ihn an seine vermeintlichen Fehler. Jeder Nebensatz kann zum Fallstrick werden. Zuletzt gab es wieder Unruhe, als er der Kanzlerin wegen ihrer DDR-Vergangenheit mangelnde Begeisterung für Europa vorwarf. "Nebensächlichkeiten verursachen oft einen Wind, dem viele Menschen gar keine Bedeutung beimessen, die haben ganz andere Probleme", sagt Steinbrück.
Der Leuchtturm von Warnemünde ist wieder in Sicht, es bleibt nicht mehr viel Zeit. Plötzlich läuft Steinbrück die Treppe hinunter zum Mitteldeck und schnurstracks hinein in die Kabine des Kapitäns. Was hat er vor? "Hier spricht Peer Steinbrück, ich übernehme jetzt die Kommandogewalt, um Sie am 22. September in die Wahlkabine zu bringen", dröhnt es aus den Lautsprechern. Gelächter an Bord. Natürlich ist der Auftritt abgesprochen. Vom Steuerruder hält sich der Wahlkämpfer fern. Nur eine kurze Ansprache, er will ja nicht langweilen. Sein Eindruck sei: Das Land solle nicht nur verwaltet, sondern auch gestaltet werden. Ach ja: "Schönen Urlaub noch."
Es wird kurz hektisch: Kameras umringen den Politiker. "Mütze ab", deutet sein Sprecher forsch. Was die Menschen bewegt, will ein Reporter wissen. Steinbrück, jetzt viel grimmiger, diktiert ins Mikrofon: "Es wächst langsam die Vorstellung, dass am 22. September eine Wahl ist." Die ersten Fahrgäste steigen aus. Aber einer drängelt sich durch, um sich persönlich zu verabschieden. "Ich wünsche Ihnen, dass sie Bundeskanzler werden", sagt der Herr aus Güstrow. Steinbrück schlägt ihm freundschaftlich mit der Faust gegen die Schulter. Es braucht ein kleines Wunder, um diese Wahl zu gewinnen, das weiß er. Der Kanzlerkandidat ist fast weg, da dreht er sich noch einmal zu dem Mann um: "Man kann übrigens auf dem Wasser laufen", sagt er. "Wenn es gefroren ist."
Quelle: ntv.de