"Ohrfeige für ehrliche Steuerzahler" Steinbrück zerpflückt Abkommen
21.09.2011, 16:30 Uhr
Vor dem Kanzleramt protestierten Demonstranten gegen die Nachsicht mit Steuersündern.
(Foto: dpa)
Die Bundesregierung verabschiedet nach hartem Ringen ein Steuerabkommen mit der Schweiz, das den Streit um Steuersünder und Schwarzgeld beilegen soll. Allerdings droht dem Gesetz das Aus im Bundesrat, denn die Opposition hält nichts von der Regelung. "Rechtlich dubios, lückenhaft und nachlässig", lautet das Urteil von Ex-Finanzminister Steinbrück.
Das mühsam ausgehandelte Schwarzgeld-Abkommen mit der Schweiz steht schon wieder auf der Kippe. Die SPD will gegen das heute vom Kabinett gebilligte Doppelbesteuerungsabkommen Front machen. Damit könnte das Gesetz am Ende im Bundesrat scheitern, wo Union und FDP über keine Mehrheit mehr verfügen.
Die Opposition und Steuerexperten sprechen mit Blick auf die anonyme und einmalige Nachbesteuerung von Altvermögen von "Ablasshandel" und einer "Ohrfeige für alle ehrlichen Steuerzahler". Ex-Bundesfinanzminister Peer Steinbrück ließ kein gutes Haar an dem Vertrag, der "rechtlich dubios, lückenhaft und nachlässig" sei. Unerklärlich sei, dass der Fiskus künftig auf den Kauf von CDs mit Daten deutscher Steuerbetrüger verzichte.
Steinbrücks Kavallerie
Steinbrück hatte vor drei Jahren den Druck auf Steueroasen erhöht - schließlich geht es um viel Geld: Alleine in der Schweiz haben die Deutschen Schätzungen zufolge mindestens 130 bis 200 Milliarden Euro gebunkert. Anfang 2009 platzte dem SPD-Politiker deshalb der Kragen: "Die Kavallerie in Fort Yuma muss nicht immer ausreiten, manchmal reicht es, wenn die Indianer wissen, dass sie da ist", sagte Steinbrück. In der Schweiz wurde das als grobe Drohung des größeren Nachbarn verstanden.
Nach dem Regierungswechsel wurden dann im Januar 2011 Verhandlungen über ein neues Doppelbesteuerungsabkommen aufgenommen - streng geheim und unter Wahrung diplomatischer Etikette. Das Ergebnis liegt nun vor: Vermögen auf Schweizer Konten wird pauschal nachbesteuert. Der Satz liegt zwischen 19 und 34 Prozent und richtet sich nach der Dauer und der Gewinnentwicklung. Ab 2013 werden künftige Kapitalerträge mit dem deutschen Abgeltungssteuersatz von 26 Prozent belastet. Im Gegenzug sichert die Schweiz ihr Bankgeheimnis, zudem wird der Marktzugang Schweizer Banken in Deutschland erleichtert.
Schäuble sieht "völlige Gleichbehandlung"
Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble sprach von einem Riesenschritt. Steuerflüchtlinge könnten sich nicht mehr hinter dem Bankgeheimnis verstecken. "Wir erreichen eine völlige Gleichbehandlung bei den Steuerpflichtigen für die Zukunft und eine pauschale Lösung für die Vergangenheit", sagte er der "Berliner Zeitung". Die Mechanismen garantierten, "dass sich keiner der Besteuerung entzieht". Er sei zuversichtlich, dass Bundestag und Bundesrat den Vertrag ratifizieren würden. FDP-Fraktionschef Rainer Brüderle sagte, das Abkommen sei eine "gut vertretbare Lösung." Die Vorgängerregierung habe lediglich mit der Kavallerie gedroht, aber "keine Brötchen gebacken".
Ganz anders fällt das Urteil Steinbrücks aus. In einem mit "Sattelt die Pferde!" überschriebenen Beitrag für die "Zeit" kritisierte er, die Deutschen stellten sich viel schlechter als die USA, die die Kavallerie 2009 auch hätten ausreiten lassen und den Schweizer Banken mit Geschäftsverboten gedroht hätten. Den Banken warf er "vorsätzlichen Steuerbetrug" vor ("Sie kennen alle Tricks und verschlungenen Pfade"). Gemessen am Auftreten der USA und anderer Länder sei das Abkommen ein "politisches Fiasko", das inakzeptable Zustände fortschreibe.
Der Vertrag laufe auf eine Strafbefreiung für diejenigen hinaus, die vor seiner Unterzeichnung eine Straftat begangen hätten. "Hardcore"-Steuerbetrüger würden damit besser gestellt als solche, die eine Selbstanzeige gestellt hätten. Zudem verzichte der Fiskus künftig auf den Ankauf von Daten-CDs deutscher Steuerbetrüger. Auch gebe es keine Meldepflicht, wenn Banken deutsches Vermögen aus der EU herausschafften. "Lieber kein neues Doppelbesteuerungsabkommen mit der Schweiz als diesen Entwurf", lautete das Fazit des SPD-Politikers.
Im Bundesrat droht das Aus
Die Einwände sind gewichtig, denn ohne die SPD dürfte der Vertrag im Bundesrat scheitern. "Gegen dieses Abkommen werden wir politisch Front machen", kündigte der Parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Fraktion, Thomas Oppermann, an. "Das wird ein großer Punkt der Auseinandersetzung mit der Bundesregierung werden."
Kritik kam aber auch von den anderen Oppositionsparteien. Der Grünen-Vorsitzende Cem Özdemir monierte: "Schwarz-Gelb verhindert Steuergerechtigkeit und breitet schützend den Deckmantel der Anonymität über Steuerflüchtlinge aus." Schweizer Banken würden für ihre Anleitung zum Steuerbetrug für deutsche Kunden im Nachhinein durch eine Amnestie belohnt, während jeder ehrliche Steuerzahler jeden Eurocent versteuern müssen.
Linken-Chefin Gesine Lötzsch kritisierte: "Jetzt wird den Steuerbetrügern von der Bundesregierung ein goldener Teppich ausgerollt." Die Nachsichtigkeit der Bundesregierung gegenüber Steuerbetrügern könne nur als Klientelpflege verstanden werden.
Schäuble will das neue Abkommen am Nachmittag mit seiner Schweizer Kollegin Eveline Widmer-Schlumpf unterzeichnen. Es soll Anfang 2013 in Kraft treten. Von den erhofften Milliarden-Einnahmen erhält der Bund weniger als die Hälfte, der Rest geht an Länder und Kommunen. Der deutsche Fiskus hatte bisher kaum Möglichkeiten, Steuerbetrüger zu belangen. Die Schweiz wiederum pocht auf das Bankgeheimnis.
Quelle: ntv.de, dpa/rts