"Kinderdiebstahl" im Tschad Steine gegen Ausländer
29.10.2007, 19:03 UhrNach dem gescheiterten Versuch, 103 angebliche Darfur-Waisen aus dem Tschad nach Frankreich zu bringen, haben Einheimische in Abeche an der Grenze zum Sudan Europäer angegriffen. Vor allem Franzosen würden mit Steinen beworfen und beschimpft, berichtete der britische Rundfunksender BBC. Mitarbeiter der französischen Hilfsorganisation "Archede Zo" waren vor vier Tagen beim Versuch festgenommen worden, 103 Kinder nach Frankreich auszufliegen. Die Bevölkerung vor Ort fühle sich durch die Weißen betrogen, sagte Annette Rehrl vom UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR.
Hohe Haftstrafen drohen
Die sechs Mitarbeiter von "Arche de Zo" sollten wegen des Verdachts auf Kindesentführung einem Richter vorgeführt werden, sagte der tschadische Innenminister Ahmat Mahamat Bachir der BBC. "Sie könnten für mehrere Jahre ins Gefängnis kommen." Justizminister Albert Padacke erklärte, bei den Kindern handele es sich nicht um Waisen, sie seien auch nicht in einer hoffnungslosen Lage. Der tschadische Präsident Idriss Dby sprach von "Kinderdiebstahl". Auch Hilfsorganisationen wie das Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen (UNICEF) kritisierten den Verband. Die Affäre könnte dem Ruf von Hilfsorganisationen schaden. Der französische Präsident Nicolas Sarkozy bezeichnete die Aktion als "illegal und inakzeptabel".
Insgesamt 17 Europäer waren am vergangenen Donnerstag in dem zentralafrikanischen Land im Zusammenhang mit der Aktion festgenommen worden. Unter den Festgenommen sind auch sieben Mitarbeiter der spanischen Fluggesellschaft Girjet, die den Flug begleiten sollten, sowie drei Journalisten.
Kinder traumatisiert
Helfer berichteten jetzt, die Kinder, deren Identität unklar ist, seien traumatisiert und litten unter Alpträumen. Der ständige Zustrom von Politikern und Journalisten verunsichere die Kinder zunehmend. Viele der überwiegend drei bis fünf Jahre alten Kinder seien zu jung, um zu verstehen, was mit ihnen passiere. Ein zehnjähriger Junge hatte dem BBC-Bericht zufolge erzählt, sein Vater habe ihn mit den Franzosen gehen lassen, da ihm ein Schulbesuch versprochen worden sei. Andere Kinder berichteten, ihre Eltern seien noch am Leben und sie seien mit Süßigkeiten oder Geschenken in die Fahrzeuge der "Arche de Zo"-Helfer gelockt worden. Helfer warnten allerdings, alle Berichte der verunsicherten Kinder unbesehen zu glauben.
"Arche de Zo" weist Vorwürfe zurück
Die Hilfsorganisation "Arche de Zo" wies den Verdacht des Kinderhandels zurück. Es sei auch nicht um Adoption gegangen. Zudem sei der Plan von Anfang an der Öffentlichkeit bekannt gemacht worden. Die Kinder sollten in französischen und belgischen Familien unterkommen. Die Gastfamilien sollen bis zu 6.000 Euro pro Kind gezahlt haben.
"Arche de Zo" warf der tschadischen Regierung ein politisches Manöver vor. "Die Vorwürfe wurden übertrieben, weil die Regierung bei den Verhandlungen über die Stationierung der EU-Truppe im Tschad davon profitieren will", sagte der Anwalt der Organisation, Gilbert Collard, dem französischen Sender France Info. Der Tschad wolle den Truppeneinsatz verhindern und nutze deswegen die Gelegenheit aus, fügte er hinzu.
Collard bekräftigte, dass die Organisation lediglich das Beste für die Kinder gewollt habe. "Die Familien, die die Kinder aufnehmen wollten, sind keine Pädophilen oder Organhändler", sagte er. Die Polizei hatte am Montag die Büroräume der Organisation durchsucht.
Frankreich gewährt Rechtsschutz
Unterdessen sprach Außen-Staatssekretärin Rama Yade in Paris mit mehreren Hilfsorganisationen über die Konsequenzen der Affäre für die Arbeit der Hilfsorganisationen in Darfur. "Humanitäre Arbeit erfordert eine gewisse Seriosität und Zurückhaltung. Man darf sich nicht zu solchen Aktionen versteigen, auch wenn sie noch so gut gemeint sind", sagte Yade dem Radiosender Europe 1.
"Arche de Zo" war während der Tsunami-Katastrophe von Feuerwehrleuten und anderen Helfern gegründet worden und hat ihre Tätigkeit nach Afrika verlagert. Das Pariser Außenministerium erklärte, über die "Ziele" der Organisation informiert gewesen zu ein, allerdings nur "vage". "Außerdem haben wir gegenüber den Mitgliedern dieser Organisation diesbezüglich stets große Vorbehalte geäußert", hieß es in einer Stellungnahme.
Die französische Regierung will den betroffenen Landsleuten aber Rechtsschutz gewähren. Außen-Staatssekretärin Yade, die einem eigens gegründeten Krisenstab vorsitzt, betonte, die Mitarbeiter des Verbands würden "trotz ihrer Fehler" von Frankreich "bestmöglich geschützt". Spanien, das im Tschad keine diplomatische Vertretung hat, schickte einen Konsul aus Kamerun in den Wüstenstaat, um die Freilassung der Spanier zu erreichen. Die Organisation "Reporter ohne Grenzen" forderte die sofortige Freilassung der Journalisten. Sie hätten nur ihre Arbeit getan und seien keine Komplizen gewesen.
Affäre als Hebel gegen EU-Mission
In Frankreich warnten mehrere Beobachter, der Regierung des Tschad dürfe keine Gelegenheit gegeben werden, die Affäre als Hebel im Fall der geplanten EU-Schutztruppe zu nutzen. Der sozialistische Oppositionsführer Franois Hollande sagte France Info, Frankreich hätte die Operation von "Arche de Zo" von Anfang an verhindern müssen. Präsident Idriss Dby dürfe nun aber keine Gelegenheit erhalten, die "inakzeptable Situation zu instrumentalisieren".
Der UN-Sicherheitsrat hatte das Mandat für eine EU-Mission im Tschad und der Zentralafrikanischen Republik Ende September verabschiedet. Die von Frankreich initiierte und geführte Operation soll etwa 4.000 Mann umfassen. Im Darfur haben Rebellen und Milizen seit 2003 mindestens 200.000 Menschen getötet. Etwa 2,5 Millionen wurden zu Flüchtlingen. Tschad und Sudan haben eine etwa 1.300 Kilometer lange Grenze, entlang derer Hunderttausende in zahlreichen Lagern Zuflucht gesucht haben.
Quelle: ntv.de