Politik

"Ich bin nicht Gerhard Schröder" Steinmeiers Dilemma

Bei einer Lesung seines Buches "Mein Deutschland" offenbart SPD-Kanzlerkandidat Frank-Walter Steinmeier, was er ist: Ein schnörkelloser, nicht unsympathischer aber doch irgendwie blasser Sozialdemokrat.

"Die Welt muss damit fertig werden, dass ich Frank Steinmeier bin".

"Die Welt muss damit fertig werden, dass ich Frank Steinmeier bin".

(Foto: dpa)

Ob er will oder nicht – auch an diesem Abend geht es wieder um die Frage nach dem Alphatier. „Die Welt muss damit fertig werden, dass ich Frank Steinmeier bin“. Der Kanzlerkandidat grinst, sichtlich erfreut über seinen gelungenen Scherz, und lehnt sich zurück. „Ich bin nicht Gerhard Schröder“, setzt er noch eins drauf und erntet wieder Lacher im Publikum.

Diese ewigen Unterstellungen, er sei kein Politiker, der in der ersten Reihe stehen will. Und diese ewigen Vergleiche mit Gerhard Schröder. Steinmeier ist das so was von Leid, heute aber ist er zu gut gelaunt, um pampig zu werden. Dabei muss man nur die Augen schließen, um sein politisches Über-Ich herauszuhören. Das wird Steinmeier nicht los, erst recht nicht bei seinem dröhnenden Schröder-Lachen nach den eigenen Witzen.

"Mein Deutschland"

Der Vizekanzler, Außenminister und Kanzlerkandidat der SPD sitzt auf der Bühne des Renaissance-Theaters im Westen Berlins, um sich und sein Buch vorzustellen. „Mein Deutschland“ heißt es, doch eigentlich geht es viel mehr um den Untertitel: „Wofür ich stehe“. Eine Mischung aus Biografie und politischem Programm, ein Selbsterklärungsversuch. Wie schon Kurt Beck vor ihm hat Steinmeier offenbar das Gefühl, als Person nicht verstanden oder verkannt zu werden. „Seit die SPD mich zu ihrem Kanzlerkandidaten bestimmt hat, verändern sich die Fragen an mich. Die Menschen wollen wissen: Woher kommt der? Was hat ihn geprägt“, beschreibt Steinmeier in seinem Vorwort, warum der das Buch geschrieben hat.

Geringes Interesse

"Wofür ich stehe": Steinmeier bei einer Lesung aus seinem Buch auf der Leipziger Buchmesse.

"Wofür ich stehe": Steinmeier bei einer Lesung aus seinem Buch auf der Leipziger Buchmesse.

(Foto: picture-alliance/ dpa)

So viele Leute wollen es dann aber doch nicht wissen. Das Parkett im Theater ist nur zur Hälfte gefüllt, auch die oberen Ränge bleiben übersichtlich besetzt. Viele geladene Gäste sind darunter, ein Publikum, das dem SPD-Politiker wohl gesonnen ist. Es ist „kein politischer, sondern ein persönlicher Abend“, wie der Moderator noch einmal betont. Deshalb ist es auch kein politischer Journalist, sondern der Chefredakteur der Frauenzeitschrift Brigitte, der Steinmeier an diesem Abend befragen darf.

Andreas Lebert darf ein Buch mitsamt seinem Autor vorstellen, das einen „nicht sehr prickelnden Titel“ trägt, wie er gleich zu Beginn bemerkt. Doch davon lässt sich Steinmeier, der eben hinterm Vorhang hervor gekommen ist, nicht die Laune verderben. Er quetscht sich auf den hölzernen Theater-Stuhl am etwas zu kleinen Tisch und nennt es grinsend einen „ganz hervorragenden Titel“ für ein Buch, das „ganz ordentlich gelungen“ sei.

"Schnörkellos"

Ordentlich trifft es. Denn ordentlich ist Steinmeiers Buch, das ebenso gut „Mein Leben“ oder „Mein Weg“ hätte heißen können. Ordentlich ist auch sein Werdegang, den er im Buch beschreibt, die politisch korrekte Biografie eines Sozialdemokraten: Aufgewachsen in Brakelsiek bei Lippe, irgendwo zwischen Weserbergland und Teutoburger Wald. Der Vater ein Kind der „schnörkellosen und aufrichtigen“ Menschen dort, aus einer Familie von Landbauern, die Mutter eine Vertriebene. Eine Kindheit in der Provinz, gute Sozialdemokraten müssen anscheinend immer aus einfachen Verhältnissen in der Provinz kommen, mit Fußball und lippischem Platt, das bei Steinmeiers aber nicht mehr gesprochen wurde, damit die Mutter alles versteht.

Frank-Walter geht mit zehn Jahren als einziges Kind des Ortes aufs Gymnasium, macht Abitur, studiert Jura und Politikwissenschaft. Nebenbei wird er politisiert – durch die ersten Vorboten der Globalisierung, Armut, Willy Brandt und seine Studienzeit in Gießen. Nach dem Studium dann Promotion und Mitarbeit an der Uni, schließlich der Wechsel in die politische Verwaltung in die niedersächsische Staatskanzlei unter Gehard Schröder, der ihn auch mit nach Berlin nehmen wird.

Das alles beschreibt Steinmeier, im Buch wie auch auf der Theater-Bühne, nicht ohne Witz und Ironie, doch immer schnörkellos und mit einer gewissen Distanz, die sich wohl aus dem „Gencode“ seiner Heimat erklären lässt, wie er es nennt. Offen, nicht unsympathisch, erklärt er seinen Weg und wie er zu dem geworden ist, was er heute ist: Kanzlerkandidat der SPD.

Sozialdemokratischer Konsens

Doch überraschend ist bei all dem nichts. Vergeblich sucht man nach echtem Feuer, echter Leidenschaft in der Biografie des politischen Seiteneinsteigers. Nach Widerspruch, einem Standpunkt, an dem man sich reiben, abarbeiten kann. Vergeblich, da ist nicht viel mehr als sozialdemokratischer Konsens, politisch korrekte Selbstverständlichkeiten: Bildung verbessern; Chancen in der Krise nutzen, um den zügellosen Kapitalismus wieder einzufangen; den Zusammenhalt der Gesellschaft verbessern; die Wende in der Energiepolitik vorantreiben.

Steinmeiers "Empörung"

Frank-Walter Steinmeier: "Mein Deutschland - Wofür ich stehe", Verlag C. Bertelsmann, 240 Seiten, 19,95 Euro.

Frank-Walter Steinmeier: "Mein Deutschland - Wofür ich stehe", Verlag C. Bertelsmann, 240 Seiten, 19,95 Euro.

(Foto: picture-alliance/ dpa)

Von Chefredakteur Lebert nach seinem politischen Feuer gefragt, will Steinmeier das so nicht stehen lassen. Er sei nicht immer nur wohl temperiert gewesen: Als bei ihm im Ort etwa ein Maschinenbaubetrieb mutwillig geschlossen wurde, habe er „Empörung“ empfunden. Oder aktuell im Fall Opel, wo „wir verdammt nochmal die Pflicht haben, so ein Unternehmen zu retten.“ Da ist Steinmeier sogar der Ansicht, im Unterschied zu den Medien und anderen Parteien eine ungeliebte Minderheitenmeinung zu vertreten.

So ist er eben, oder will er sein, der Frank-Walter Steinmeier aus Brakelsiek. Letztlich erklärt er sich ziemlich gut, mit seinem Buch und an diesem Abend im Renaissance-Theater: Bodenständig und schnörkellos, nicht unsympathisch und teils witzig, ein überzeugter Sozialdemokrat. Andere Erwartungen kann und will er nicht erfüllen, er ist eben kein Schröder. Damit muss die Welt fertig werden. Steinmeier allerdings auch, falls das alles nicht reicht. Für ihn. Als Kanzler. Und nicht nur als Kandidat.

Quelle: ntv.de

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