Massaker am Vorabend des Ramadan Syrische Armee stürmt Hama
31.07.2011, 20:17 UhrÜber Wochen können sich Syriens Regimegegner in Hama gegen die Truppen behaupten. Nun lässt kurz vor Beginn des Fastenmonats Präsident Assad seine Panzer in das Zentrum der Opposition einrücken und seine Soldaten wüten. Sie "schießen auf alles, was sich bewegt", schildert ein Aktivist die dramatische Lage. Mindestens 100 Menschen sterben. UNO, EU und US-Präsident Obama fordern den sofortigen Stopp der Offensive.
Das Regime von Präsident Baschar al-Assad hat nach wochenlanger Belagerung mit Panzern die Widerstandshochburg Hama erobert. Mindestens 100 Menschen wurden nach Oppositionsangaben bei der am Morgen begonnenen Militäroffensive gegen die viertgrößte Stadt des Landes getötet. Über 100 weitere erlitten Verletzungen, berichteten syrische Aktivisten in Beirut. Landesweit kamen am Wochenende nach unbestätigten Angaben der Regierungsgegner mindestens 136 Menschen ums Leben. Die EU droht dem Assad-Regime mit weiteren Sanktionen.
Auch in anderen Landesteilen ließ das Regime die Waffen sprechen. Gepanzerte Armeeverbände rückten in die Ortschaft Harak in der südlichen Provinz Daraa, in die nordöstliche Stadt Deir al-Zor und in den Vorort Al-Moadamija bei Damaskus ein.
"Sie schießen auf alles, was sich bewegt"
In Hama drangen die Truppen im Morgengrauen ein. Zuvor hatten Spezialisten die Strom- und Wasserversorgung gekappt. Panzer sollen in Wohngebiete gefeuert, Scharfschützen auf Hausdächern Stellung bezogen haben. Die Panzer überrollten Hunderte Barrikaden, die die Bewohner der Stadt in den vergangenen Wochen errichtet hatten, wie Augenzeugen berichteten.
"Es regnete Granaten über die Stadt, die Soldaten schossen auf alles, was sich bewegte", schilderte einer der Aktivisten die dramatische Lage. "Die Opferzahl steigt von Minute zu Minute." Die Truppen würden inzwischen das Krankenhaus umstellen und die Menschen daran hindern, ihre Verwundeten dorthin zu bringen.
Die Berichte konnten von unabhängiger Seite nicht überprüft werden. Vor dem Hintergrund ihrer bisherigen Tätigkeit können diese Quellen jedoch als glaubwürdig betrachtet werden. Das Regime in Damaskus lässt ausländische Journalisten praktisch nicht im Land arbeiten.
Ban: Regime kann zur Rechenschaft gezogen werden
UN-Generalsekretär Ban Ki Moon verurteilte die Gewalt gegen friedliche Demonstranten scharf und forderte den sofortigen Stopp des Militäreinsatzes gegen die Zivilisten. Die syrischen Behörden hätten die Pflicht, die Menschenrechte zu achten - auch das Recht auf friedliche Versammlung und Meinungsfreiheit. Ban verlangte vom Regime, auf die Sorgen seines Volkes zu hören. "Die syrischen Behörden sind verantwortlich für ihr Handeln und können nach internationalem Recht für alle Gewaltakte gegen ihr Volk zur Rechenschaft gezogen werden", sagte Ban.
US-Präsident Barack Obama zeigte sich "entsetzt" über "die Gewalt und die Brutalität" in Hama und lobte die "mutigen" Demonstranten. Nach einem demokratischen Übergang werde Syrien "ein besserer Ort" sein, erklärte Obama in Washington.
EU will Sanktionen ausweiten
Die EU plane angesichts des neuerlichen Blutvergießens, die Strafmaßnahmen gegen die syrische Führung erneut auszuweiten, erklärte Außenminister Guido Westerwelle in Berlin. Die EU hat bislang 30 Vertreter des Regimes mit einem Einreiseverbot belegt, darunter Machthaber Baschar al-Assad selbst. Zudem wurden deren Vermögenswerte eingefroren.
Ebenso reagierten die Außenminister Frankreichs, Großbritanniens und Italiens, Alain Juppé, William Hague und Franco Frattini. Das gewaltsame Vorgehen der syrischen Staatsmacht führe lediglich zu noch mehr Instabilität und Gewalt im Land, sagte Juppé. Eines Tages werde die syrische Regierung für ihre Taten "zur Rechenschaft gezogen". Juppé forderte den UN-Sicherheitsrat auf, sich seiner Verantwortung in Sachen Syrien zu stellen. Eine Resolution war zuletzt unter anderem am Widerstand der Vetomacht Russland gescheitert.
Hague sagte, er sei "bestürzt" über die Erstürmung von Hama. Für das Vorgehen der Armee gebe es "keine Rechtfertigung". Frattini sprach nach dem Einmarsch in Hama von einer weiteren "entsetzlichen Tat" bei der Niederschlagung der Proteste.
Aus Hama hatten sich Assads Sicherheitskräfte vor mehreren Wochen völlig zurückgezogen. Seitdem fanden dort regelmäßig stark besuchte Demonstrationen gegen das Assad-Regime statt. Im Jahre 1982 war die Stadt Schauplatz der grausamen Unterdrückung einer Islamistenrevolte durch Assads Vater Hafis gewesen. Dabei waren je nach Schätzung 10.000 bis 30.000 Bewohner getötet worden.
Ramadan beginnt
Am Montag beginnt in den meisten arabischen Ländern, so auch in Syrien, der Fastenmonat Ramadan. Syrische Aktivisten hatten für den heiligen Monat tägliche Proteste gegen das Assad-Regime angekündigt. Bisher fanden diese vor allem freitags statt. Im Ramadan besuchen die Gläubigen oft jeden Abend ihre Moscheen. In Syrien sind diese häufig Ausgangspunkte der Proteste.
Trotz seines immer wieder brutalen Vorgehens vermochte das Regime in Damaskus die seit viereinhalb Monaten aktive Demokratiebewegung nicht zu unterdrücken. Nach dem Blutbad in Hama riefen syrische Aktivisten zu neuen landesweiten Demonstrationen nach dem Nachtgebet auf, das in der Nacht zum Montag den Ramadan einleitet.
Die Forderungen der Demonstranten hatten sich anfangs auf grundlegende politische Reformen in dem vom Assad-Clan autoritär gelenkten Staat gerichtet. Als sich die Führung dagegen taub stellte und mit brutaler Gewalt gegen die Kundgebungen der Bürger vorging, zielten die Proteste zunehmend auf einen Abgang des Regimes ab. Zuletzt waren am Freitag im ganzen Land Hunderttausende Syrer mit dieser Forderung auf die Straße gegangen.
Nach Angaben von Menschenrechtsgruppen wurden rund 1600 Zivilisten und 350 Angehörige der Sicherheitskräfte getötet. 26.000 Menschen wurden festgenommen und in vielen Fällen gefoltert. Über 12.000 seien immer noch in Haft.
Quelle: ntv.de, dpa/AFP