Göring-Eckardt reist in Ukraine "Taurus muss geliefert werden"


Göring-Eckart im Gespräch mit ntv-Reporterin Kavita Sharma in Kiew.
Katrin Göring-Eckardt, Vizepräsidentin des Bundestags, ist für einen einwöchigen Ukraine-Besuch in Kiew angekommen. Im Gespräch mit ntv.de bekräftigt die Grünen-Politikerin die Forderung ihrer Partei, den Marschflugkörper Taurus zu liefern. Göring-Eckardt macht sich auf die Flucht in Schutzräume gefasst.
Wenige Tage vor dem zweiten Jahrestag der russischen Großinvasion besucht Bundestagsvizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt die angegriffene Ukraine. Die Grünen-Politikerin reiste per Nachtzug über Warschau nach Kyiv und traf dort am Mittag ein. "Wir wissen aus vielen Berichten, dass die Stimmung an der Front und im Land gerade sehr schwierig ist", sagte Göring-Eckardt ntv.de. "Menschen sind deprimiert, und das hat viel damit zu tun, dass nicht genug Munition da ist."
Daher liegen die Themen ihrer Reise aus Sicht der Politikerin "auf der Hand". Es werde "um Munitions- und Waffenlieferungen gehen, um die Frage: Was ist mit Taurus? Es wird gehen müssen um die Frage: Was passiert angesichts der Zurückhaltung der Vereinigten Staaten?" Diese Fragen wird die deutsche Vizeparlamentspräsidentin unter anderem mit dem Vorsitzenden des ukrainischen Parlaments, Ruslan Stefantschuk, besprechen.
Grüne und FDP für Taurus-Lieferung
Obwohl ein Antrag der Union auf Lieferung des deutschen Marschflugkörpers Taurus im Januar keine Mehrheit im Bundestag erhielt, unterstützen auch viele Abgeordnete aus den Regierungsfraktionen Forderungen von Sicherheitsexperten, der Ukraine Taurus zur Verfügung zu stellen. "Die Grünen- und die FDP-Fraktion sprechen sich in ihrer Gesamtheit für eine Lieferung aus", so Göring-Eckardt. Deswegen sei "die Diskussion nicht zu Ende".
Bundeskanzler Olaf Scholz blockt beim Thema Taurus weiterhin ab, umso deutlicher fordert die Vizepräsidentin des Parlaments, die reichweitenstarke Präzisionswaffe schnellstmöglich der Ukraine zu senden. "Wir haben nicht alles vorrätig, was wir gern schicken würden. Umso klarer muss es sein, dass wir hier entschieden sind: Taurus muss geliefert werden."
Schuldenbremse für Ukraine-Hilfen aussetzen
Doch der Marschflugkörper kann nicht das Problem der Munitionsknappheit an der Front lösen, das umso dringender besteht, da die ukrainische Armee zugleich mehr Kämpfer für das Gefechtsfeld gewinnen muss. "Neue Soldaten zu rekrutieren, wenn noch nicht mal genügend Munition vorhanden ist, das ist ein großes Problem", sagte Göring-Eckardt. Sie sieht Deutschland in der Verantwortung zu helfen, auch historisch. Zum anderen verteidige die Ukraine nicht nur Deutschlands Werte, sondern auch seine Sicherheit. "Wer Putin kennt, weiß, dass dem so ist."
Mit einer Steigerung der Produktion in Deutschland "werden wir aber nicht ganz schnell ganz viel liefern können", darum müsse man Munition einkaufen oder der Ukraine Geld zur Verfügung stellen. "Ich bin bei allen, die sagen: Lasst uns endlich klarstellen, dass wir die Schuldenbremse in dieser Situation nicht einhalten können. Es gibt viele gute Gründe dafür, sie jetzt nicht einzuhalten. Dieses ist aber einer, der für die Ukraine - mithin auch für uns - existenziell ist."
19.000 Kinder entführt
Neben Waffen und Munition für Kiew wird Göring-Eckardt sich thematisch auch der Frage nach dem Wiederaufbau des angegriffenen Landes widmen. In mehreren Dörfern nördlich der Hauptstadt und in der Region um Tschernihiw will sie sich über den aktuellen Stand informieren. Da Russlands Angriffe vielfach darauf abzielen, zivile Infrastruktur wie Krankenhäuser und Versorgungsstationen zu zerstören, kommt dem Wiederaufbau aus Sicht der Deutschen eine zentrale Bedeutung zu. Auch symbolisch: "Wir unterstützen die Ukraine dabei zu Recht, denn jedes zerstörte Haus, das wieder errichtet wird, ist ein klares Signal an Putin, dass die Ukraine nicht aufgibt, und dass wir sie nicht aufgeben."
Auch eine Initiative der ukrainischen First Lady Olena Selenska will Göring-Eckardt vor Ort unterstützen. Die Gattin des ukrainischen Präsidenten kämpft für die Befreiung der rund 19.000 Kinder, die seit Februar 2022 von den Russen aus besetzten Gebieten der Ukraine entführt worden sind. Größtenteils wurden Kinder verschleppt, die zuvor in ukrainischen Heimen lebten, doch auch aus Familien wurden Söhne und Töchter direkt entführt.
Mit den Verschleppungen zielt Russlands Präsident Wladimir Putin darauf ab, die ukrainischen Kinder zu "russifizieren", Göring-Eckardt sieht darin, wie auch Juristen und Menschenrechtsexperten, einen zusätzlichen Angriff auf die ukrainische Identität. "Da geht es schlicht und ergreifend auch um die Frage: Wie wird das eigentlich bestraft? Diese Entführungen sind Kriegsverbrechen, und die müssen geahndet werden."
Traumatisierte Heimkehrer
Durch zähe Verhandlungen zwischen Kiewer und Moskauer Seite, über deren Inhalt nichts nach außen dringt, ist es inzwischen gelungen, etwa 300 der verschleppten Kinder aus russischer Gewalt zu befreien. Viele der Entführungsopfer leiden unter schweren Traumata. "In aller Zurückhaltung werden wir uns mit einigen Kindern, die entführt worden waren, und ihren Eltern unterhalten, sowie mit einem Verein, der ihnen hilft."
Bis Ende der Woche will Göring-Eckardt in der Ukraine bleiben, auch ein Besuch in Odessa steht auf ihrem Programm. "Wir stellen uns darauf ein, dass wir Schutzräume benutzen müssen. Momentan werden in jeder Nacht Angriffe geflogen, auch auf Kyiv und andere Regionen der Ukraine." Es werde, so die Politikerin, "keine ruhige Dienstreise".
Quelle: ntv.de