Oberste Richter im US-Wahlkampf Das Kreuzchen mit der Robe
24.06.2012, 18:35 Uhr
US-Verfassungshüter: die Richter des Obersten Gerichtshofes.
(Foto: REUTERS)
Urteile, die die Wahl beeinflussen werden: Der Oberste Gerichtshof der USA wird wohl noch im Juni drei kontroverse Fälle entscheiden. Vor allem die Republikaner haben Grund zur Freude, denn das wichtigste Gericht des Landes lehnt klar in ihre Richtung.
Ihre neun Stimmen sind bei der Präsidentschaftswahl nicht mehr wert als die ihrer Mitbürger, trotzdem könnten sie maßgeblich beeinflussen, wer im Weißen Haus sitzen wird: die Obersten Richter am US-amerikanischen Supreme Court, dem höchsten Gericht des Landes. Noch in diesem Monat werden drei Urteile erwartet, die den weiteren Verlauf des Wahlkampfes entscheidend beeinflussen könnten - und bei der aktuellen Zusammensetzung des Gerichtes hat vor allem Barack Obamas Rivale Mitt Romney Grund, optimistisch zu sein.
Drei grundsätzliche Fragen sollen durch die neun Richter geklärt werden: erstens, ob Obamas Gesundheitsversicherung verfassungswidrig ist; zweitens, welche Rolle Geld im US-amerikanischen Wahlkampf spielen darf; drittens, wie hart die USA mit ihren illegalen Einwanderern umspringen dürfen.
Rasterfahndung auf dem Prüfstand
Letzteres haben die Republikaner in Arizona so beantwortet: Wer aussieht wie ein Illegaler, darf auch so behandelt werden. Und so können Polizeibeamte in Arizona seit 2010 jeden anhalten und befragen, der ihnen "verdächtig" vorkommt. Gegner des Gesetzes halten das für rassistisch, da damit vor allem Menschen mexikanischer Herkunft Ziel von Kontrollen würden, unabhängig von ihrer Staatsbürgerschaft. Obama selbst nannte das Gesetz "fehlgeleitet", ultra-konservative Gruppen hingegen feiern es als Errungenschaft, die in möglichst vielen anderen Bundesstaaten eingeführt werden sollte. Entsprechende Gesetzesentwürfe liegen bereits in den Schubladen vieler Abgeordneter.
Nun müssen die Richter am Obersten Gerichtshof entscheiden, ob Arizonas Republikaner gegen die US-Verfassungs verstoßen haben. Romney hatte den harten Kurs von Arizonas Gouverneurin Jan Brewer stets unterstützt. Grünes Licht aus der Hauptstadt könnte eine regelrechte Welle an neuen, strikteren Einwanderungsgesetzen lostreten, und Romney hätte ein schlagendes Argument im Wahlkampf. Bei der stetig wachsenden Gruppe der Latino-Wähler hätte er jedoch keine Chance mehr, und traditionell konservative Staaten wie Arizona könnten im Herbst an Obama gehen, falls Latino-Amerikaner in großen Zahlen zur Wahl gehen.
Schatten-Dollars gegen Montana
Der Streit über Wahlkampffinanzierung hat spätestens seit dem Urteil im Fall "Citizens United" eine neue Dimension bekommen. 2010 entschied der Oberste Gerichtshof, dass die Einschränkung von Wahlkampfspenden von Firmen oder Organisationen unzulässig sind. Seitdem explodieren die Ausgaben von zumeist anonym finanzierten Akteuren, allen voran die sogenannten "Super Pacs": Sie schalten aggressive, oft irreführende Werbespots in Radio und Fernsehen, in denen die jeweils andere Seite angegriffen wird: Republikanische Gruppen wie "American Crossroads" hetzen gegen Obama, liberale Pacs wie "Priorities USA" attackieren Romney.
Im kleinen Montana an der US-amerikanisch-kanadischen Grenze wollen sie das nicht mehr mitmachen. Dort gilt bereits seit 1912 ein Anti-Korruptions-Gesetz, mit dem Konzernspenden in Wahlkämpfen dramatisch beschränkt werden. Nun hat eine konservative Polit-Organisation dagegen vor dem Obersten Gerichtshof geklagt - weil seit "Citizens United" eigentlich alle Spendenschranken gefallen sind.
Linke Gruppen sehen im "Montana-Fall" ihre beste Chance, die umstrittene Spendenentscheidung von 2010 neu aufzurollen. Republikaner, die einen sehr viel besseren Draht zu spendenfreudigen Konzernen haben, hoffen hingegen auf eine Bestätigung von "Citizens United", wonach eine Firma das gleiche Recht auf freie Meinungsäußerung hat wie ein Bürger. Obama könnte den Fall als Ausgangspunkt für neue Angriffe auf Romney nutzen. Denn der hatte sich im Wahlkampf mit dem Satz "Firmen sind auch Menschen" klar positioniert.
Kampf gegen Obamas größten Erfolg

Links gegen Rechts: Aktivisten für Obamas Reform treffen auf die ultra-konservative Tea Party.
(Foto: REUTERS)
Zweifellos die wichtigste Entscheidung betrifft das zentrale Projekt in Obamas erster Amtszeit: die Reform des Gesundheitswesens. Befürworter nennen das Paket von Maßnahmen das "Bezahlbare-Pflege-Gesetz", Gegner schimpfen es schlicht "Obama-Pflege". Die Richter sollen nun entscheiden, ob einige Teile davon gegen die Verfassungs verstoßen, allen voran die neu eingeführte Versicherungspflicht für alle US-Amerikaner.
Dabei muss sich das Weiße Haus wohl auf eine herbe Niederlage einstellen. Bereits in den mündlichen Anhörungen im März ließen vor allem die konservativen Richter durchblicken, dass sie das Gesetz in seiner jetzigen Form für nicht tragbar halten. Obama betont im Wahlkampf seither unermüdlich die Errungenschaften der Reform: Einsparungen für Familien und Rentner, Hilfe für Millionen zuvor unversicherte US-Amerikaner, das Verbot, kranken Menschen eine Versicherung zu verweigern.
Und seine republikanischen Gegner rüsten sich bereits für den zweiten Schlag: Sollten die Richter die strittigen Punkte der Reform für verfassungswidrig erklären, wollen sie im Kongress das gesamte Gesetz kippen. Was ihnen gefällt, wollen sie dann kurz darauf als einzelne Gesetze neu beschließen lassen, doch vor allem die allgemeine Versicherungspflicht wäre dann endgültig vom Tisch.
Richterlicher Rechtsdrall
Neun Menschen, die innerhalb weniger Tage die gesamte Wahlkampfdynamik verändern können - und beim Blick auf die Richterbank hat vor allem der Republikaner Mitt Romney Grund zur Freude. Denn die Konservativen am Gericht haben die Mehrheit: John G. Roberts, Antonin Scalia, Clarence Thomas Anthony Kennedy und Samuel Alito stehen Ruth Bader Ginsburg, Stephen Breyer, Sonia Sotomayor und Elena Kagan gegenüber. Oder anders ausgedrückt: George W. Bush, Ronald Reagan und George H. W. Bush gegen Bill Clinton und Barack Obama.
Denn diese Präsidenten haben die aktuellen Richter berufen, die damit auch die tiefe Spaltung des ganzen Landes repräsentieren. Politisch unabhängig ist der Oberste Gerichtshof nämlich nur in der Theorie: Tatsächlich steht jeder von ihnen für eine bestimmte ideologische Linie.
Und zur Zeit lehnt das Gericht klar nach rechts. Vor allem der Vorsitzende, Richter Roberts, gilt als politisch geschickter Stratege. Wie der Rechtsexperte des Magazins "The New Yorker", Jeffrey Toobin, kürzlich aufdeckte, war es vor allem ihm zu verdanken, dass aus einem relativ marginalen Rechtsstreit über Wahlkampffinanzierung die monumentale Entscheidung von "Citizens United" wurde.
Vor- oder Nachteil für Obama?
Für den Präsidenten bedeutet das ein Kampf an gleich zwei Fronten: Er muss nicht nur gegen den Widerstand der Republikaner im Kongress anregieren, sondern auch gegen die Spitze der Judikative. Allerdings bergen deren Urteile auch jede Menge Stoff für Populismus. Möglich, dass eine Reihe von negativen Entscheidungen Obama zu alter rhetorischer Stärke zurückkehren lässt. Die nämlich hat er im bisherigen Wahlkampf noch vermissen lassen.
Argumente hätte er vermutlich genug: Obama hat Verfassungsrecht studiert und in Chicago gelehrt.
Quelle: ntv.de