US-Wahl

Die wundersame Wandlung des Präsidenten Der andere Obama

Präsident Obama griff seinen politischen Gegner in der zweiten TV-Debatte immer wieder an.

Präsident Obama griff seinen politischen Gegner in der zweiten TV-Debatte immer wieder an.

(Foto: picture alliance / dpa)

2008 trat Obama als Brückenbauer an: Er wollte die politische Spaltung überwinden. Vier Jahre später muss er um seine Wiederwahl kämpfen - und wechselt die Rollen. Aus dem sympathischen Neuling ist ein grimmiger Polit-Veteran geworden. Von seinen positiven Visionen ist dabei kaum noch die Rede. Dafür umso öfter von seinem neuen Feindbild.

Harvard Universität, 1990. Mit Barack Obama wird erstmals ein Afro-Amerikaner Präsident des anerkannten Jura-Magazins "Harvard Law Review". Ein neuer Umgangston zieht ein. Er ruht in sich, während um ihn herum gestritten wird. Er wägt seine Worte, statt Slogans zu brüllen. Er versucht, mit Argumenten zu überzeugen, wenn andere nur Dogmen verbreiten. Obama ist die dringend benötigte "Stimme des Ausgleiches", wie sein Biograf David Remnick später schreibt. Denn die Redaktion der "Law Review" ist ein streitbarer Schmelztiegel konkurrierender Ideen, traditionelle und liberale Rechtsauffassungen prallen hart aufeinander.

Dem jungen Mann aus Hawaii gelingt der Balanceakt auch deswegen, weil er sich selbst zurücknimmt. "Es gehörte nie zu Obamas Instinkten und Talenten, einem Gegner an die Kehle zu gehen", erinnert sich sein ehemaliger Mentor Laurence H. Tribe. "Er hat sich ganz gut zwischen den politischen und ideologischen Grabenkämpfen hindurch manövriert", urteilt die Harvard-Historikerin Eleanor Kerlow. Und wenn den blitzgescheiten Elite-Juristen dennoch die Pferde durchgingen, reißt Chefredakteur Obama nicht etwa an den Zügeln. "Leute, vergesst nicht, kein Mensch liest dieses Zeug."

Wandlung zum Kämpfer

Hofstra Universität, 2012. Die zweite Fernsehdebatte des Präsidentschaftswahlkampfes ist gerade vorbei und Obamas Team hat Grund zu jubeln. Zwei Wochen zuvor, bei der ersten Debatte, hatte Obama seinem Herausforderer Mitt Romney das Schlachtfeld noch fast widerstandslos überlassen. Nicht so in "Runde zwei": Er habe "den wahren Romney entlarvt", jubelt Kampagnensprecherin Stephanie Cutter. Die Medien stimmen zu. Obama sei "zurück in diesem Kampf", schreibt die "L.A. Times". "er habe "die Bedingungen der Debatte diktiert", so die "New York Times". Sogar das konservative "Wall Street Journal" ist beeindruckt: "Der Präsident hat gebrüllt." Obama ist ebenfalls sichtlich zufrieden: Dieses Mal ist er es, der noch lange nach der Debatte bleibt, um Hände zu schütteln und Fotos zu machen.

Doch würde der Obama von Harvard dem Obama von Hofstra auch gratulieren?

"Den Gegner hinwegfegen"

Wohl kaum. 22 Jahre liegen zwischen diesen beiden Campus-Auftritten. Zwei Jahrzehnte, die zeigen, wie sehr sich ein Mensch im politischen System der USA verändern kann. Der Obama von 1990 war die Inspiration für den späteren Wahlsieger von 2008. Vier Jahre später wäre er damit wohl chancenlos: Zu giftig, zu aggressiv ist die Stimmung zwischen den beiden großen Parteien geworden. Umgekehrt wäre der Obama von 2012 Anfang der 90er Jahre vermutlich ein wortgewaltiger Redner gewesen – aber niemals Präsident der "Law Review".

"Seine Persönlichkeit war immer eher nachdenklich," sagt der Chicagoer Pfarrer Alvin Love, den Obama während seiner Zeit als Sozialarbeiter kennengelernt hat. Diesen Eindruck vermittelte der Präsident dann auch in der ersten Debatte – und verlor. "Ich schätze die Erwartung war, dass er seinen Mitbewerber wegfegt", so Love. "Aber das gelang nicht."

Hätte es aber, denn politischer Erfolg in den heutigen USA wird fast ausschließlich in sogenannten "Zingers" gemessen, in verbalen Breitseiten gegen die jeweils andere Seite. Von denen feuerte Obama in der zweiten Debatte mehr ab als sein Kontrahent. Von Romneys Bankrotterklärung für die Autoindustrie bis zur Reaktion auf die Anschläge in Libyen: Obama teilte aus, wieder und wieder.

Feindbild asozialer Finanzhai

So kritisierte er Romney für dessen Investitionen in chinesische Firmen, während in den USA Jobs verloren gingen. Ob er sich mal seinen eigenen Rentenfonds angeschaut habe, entgegnete Romney. "Tue ich nicht, aber meine Rente ist auch nicht so groß wie ihre", schoss Obama zurück. Dass die meisten US-Amerikaner im Vergleich zu beiden Männern eine vergleichsweise bescheidene Altersvorsorge haben, blieb unerwähnt.

Stattdessen verbrachte vor allem Obama viel Zeit damit, Romney der Lüge zu bezichtigen. "Das ist nicht wahr", unterbrach Obama immer wieder. Nicht ganz zu Unrecht. Schließlich wuselt sich Romney noch immer mit bemerkenswert großen Versprechungen ("12 Millionen Jobs") und erschreckend wenigen Details (Steuerpolitik) durch den Wahlkampf. Doch auch der Präsident selbst gab den Faktenprüfern an diesem Abend wieder mehr als genug zu tun. Vor allem sein großer Wirkungstreffer, die Kritik an Romneys überhasteter Reaktion auf den Anschlag in Bengasi, war eigentlich gemogelt. Denn natürlich hatte Obamas Regierung sehr wohl viel zu lange von wütenden Protesten gegen das Mohammed-Video gesprochen, nicht von einem Terrorangriff.

Hoffen auf die 47-Prozent-Keule

"Ich übernehme die Verantwortung", sagte Obama noch vollmundig. Die Frage aus dem Publikum, warum nicht für mehr Sicherheit in den Botschaften gesorgt wurde, beantwortete der "Commander in chief" aber gar nicht. Doch das fiel am Ende nur noch den Experten auf.

Den härtesten Schlag aber hatte sich Obama für den Schluss aufgehoben. Romneys Aussage vor Spendern, 47 Prozent der Wähler seien Sozialschmarotzer und selbst ernannte "Opfer", hatte er in der ersten Debatte mit keinem Wort erwähnt. Danach schäumten seine Anhänger vor Wut. Nicht so dieses Mal. "Denkt darüber nach, wen er gemeint hat", rief er dem Publikum zu, und zählte dann selber auf: hart arbeitende Sozialhilfeempfänger, edle Veteranen, hoffnungsvolle Studenten. Darauf konnte Romney nichts mehr erwidern, der Präsident hatte das letzte Wort.

Wut statt Visionen

Was er selbst für diese 47 Prozent tun wolle, erklärte Obama nur am Rande. Vier Jahre im Weißen Haus haben aus dem bescheidenen Visionär einen grimmigen Verteidiger der eigenen Sache gemacht. Der Mann, der einst nichts wissen wollte von den "roten und blauen" USA, spricht inzwischen nur noch selten über die Zukunft des Landes. Stattdessen geht es immer öfter um sein republikanisches Feindbild.

Die eigene Partei wird das freuen, und auch die meisten Stammwähler leben inzwischen sehr komfortabel mit ihrem Hass auf Romney. Dessen Partei zelebriert ihre Abneigung gegen Obama schließlich schon seit dessen Amtseinführung. All ihre Energie, so die republikanische Führung im Winter 2009, wolle man auf Obamas Abwahl verwenden. Der Präsident kann sich also frohen Mutes in die ideologische Abwehrschlacht stürzen: Die Gegenseite erwartet ihn mit offenen Armen.

Es bleibt nur die kleine Hoffnung, dass sich Obama nach einem Wahlsieg daran erinnert, was ihn einst zum Präsidenten machte: die Hoffnung, dass er Menschen mit unterschiedlichen Ansichten zusammenzubringen kann. In seiner ersten Amtszeit gab er die schnell auf, um zu tun, was er politisch für notwendig hielt. Die nächste Amtszeit befreit ihn vom Druck der Wiederwahl. Es wäre die Chance, wieder als der Mann aufzutreten, der er einst in Harvard war: ein Anführer, der von seinen Ideen lebt. Nicht von seinen Feindbildern.

Quelle: ntv.de

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