US-Wahl

Obamas Auftritt in Charlotte Wir gegen die

Obama und seine beste Wahlkampfhelferin vor den Delegierten des Demokraten-Parteitags in North Carolina.

Obama und seine beste Wahlkampfhelferin vor den Delegierten des Demokraten-Parteitags in North Carolina.

(Foto: REUTERS)

Es ist nicht die beste Rede, die Barack Obama je gehalten hat. Sein Auftritt beim Parteitag der Demokraten in Charlotte gleicht vielmehr einer Ansprache auf dem Schlachtfeld: Obama, der einstige Hoffnungsträger, ist zum politischen Grabenkämpfer geworden.

Eine Liebeserklärung, ein Witz und eine schöne Erinnerung: Die ersten Minuten von Barack Obamas Parteitagsrede machen durchaus Hoffnung auf einen weiteren Glanzauftritt des "Erzählerpräsidenten". "Michelle, ich liebe dich", ruft er seiner Frau nach, die ihn auf der Bühne empfangen hatte. Seine beiden Töchter lässt Obama wissen, dass er stolz auf sie sei. "Trotzdem müsst ihr morgen früh in die Schule gehen." Und während das Publikum noch lacht, erinnert Obama an seinen ersten Parteitag 2004. Damals war Obama nicht der Kandidat, sondern ein unbekannter Nachwuchspolitiker aus Illinois, der sich um einen Sitz im US-Kongress bewarb. "Ich war ein jüngerer Mann", sagt der inzwischen ergraute Präsident, "und ich sprach über Hoffnung im Angesicht von Unsicherheit."

Heute, acht Jahre später, sei dieser Hoffnungsglaube auf die Probe gestellt worden, "durch Krieg, eine der schlimmsten Wirtschaftskrisen unserer Geschichte, und durch politischen Stillstand". Nun stehe das Land erneut vor einer Entscheidung, so Obama, vor der "Wahl zwischen "zwei fundamental unterschiedlichen Visionen der Zukunft". Spätestens da war klar: Der Obama von 2004 ist nicht der von 2012. Aus dem Mann, der einst von nationaler Einheit träumte, ist ein parteipolitischer Grabenkämpfer geworden.

Wahl der zwei Visionen

Wir gegen die, Demokraten gegen Republikaner. 2004 lehnte Obama solche Unterscheidungen noch ab, heute benutzt er sie selbst. Es ist eine Rede für seine Parteifreunde, deren Hilfe er nach einer hart umkämpften ersten Amtszeit mehr braucht als je zuvor. "Die Wahrheit wird unter einer Geldlawine begraben", beklagt Obama den aktuellen Wahlkampf. Das Rennen um Spendengelder hat er wohl verloren, nun können ihm nur noch eine motivierte Parteiorganisation und eine hohe Beteiligung seiner Stammwähler helfen. Mit Banalitäten werde im Wahlkampf von den wichtigen Themen abgelenkt. "Wenn ihr es leid seid, zu hören, wie ich diese Botschaften genehmige, glaubt mir - mir geht es genauso."

Obama ist noch immer cool - aber nicht mehr der Hoffnungsträger, der er vor vier Jahren war.

Obama ist noch immer cool - aber nicht mehr der Hoffnungsträger, der er vor vier Jahren war.

(Foto: REUTERS)

Zwei Pfade könne das Land in den kommenden Jahren beschreiten, sagt Obama. Entweder man orientiere sich an den Werten der Weltkriegsgeneration, die "die größte Mittelschicht und die stärkste Wirtschaft aufgebaut haben, die die Welt je gesehen hat". Oder eben an anderen Werten, denen seiner politischen Gegner, deren Rezept "seit dreißig Jahren dasselbe" sei: Steuersenkungen bei Haushaltsüberschüssen, Steuersenkungen bei Defiziten. Auch er habe die Steuern gesenkt, sagt Obama - "für die, die es brauchen, für Mittelschicht-Familien und kleine Unternehmen".

Keine Rede für das ganze Volk

Ob die Botschaft bei bisher noch unentschiedenen Wählern auch ankommt, ist allerdings fraglich. Doch an die richtet sich Obama an diesem Abend in Charlotte auch nicht. Er will stattdessen seine eigenen Leute daran erinnern, welches Gerechtigkeitsideal die Demokraten verfolgen: Wer mehr hat als andere, soll auch mehr zurückgeben an die Gesellschaft. Mitt Romneys Redenschreiber dürften sich in diesem Moment hingegen das Wort "Klassenkampf" in die Notizblöcke geschrieben haben.

Obama verspricht, das "grundsätzliche Versprechen Amerikas" einzulösen: dass "harte Arbeit sich lohnt, dass Verantwortungsbewusstsein belohnt wird, dass jeder eine Chance hat, jeder seinen Teil tut und jeder nach denselben Regeln spielt". Es ist eine Formel, die er so schon häufig benutzt hat, nicht erst in diesem Wahlkampf, sondern auch im vorherigen. Doch damals, vor vier Jahren, musste er sich nicht verteidigen. Heute klingt sein Plädoyer für strengere Bankenaufsicht und Steuererhöhungen für Besserverdiener wie eine Kampfansage. Er wolle ja mit den Republikanern zusammenarbeiten. "Aber Gouverneur Romney und seine Freunde im Kongress sagen uns, dass man das Staatsdefizit nur senken kann, wenn man Billionen Dollar für Steuererleichterungen für Reiche ausgibt", erklärt Obama, und bedient sich bei der umjubelten Rede von Bill Clinton am Vorabend. "Rechnet ihr euch das mal aus."

"Ich kann nicht anders"

Es ist keine Motivationsansprache an das Volk, die Obama da hält. Eher eine Mischung aus Eigenlob und Rechtfertigung: Lob für die teure Rettung der Autoindustrie, die Tötung Osama bin Ladens, die Beendigung des Irakkrieges, die Entwicklung eines umweltverträglicheren Energiesektors, die Abschaffung überteuerter Studienkredite. Obama räumt ein, dass nicht jede Entscheidung der vergangenen Jahre richtig gewesen sei. Er wisse genau, was sein Vorbild und Vorgänger Abraham Lincoln gemeint habe, als er sagte: "Ich wurde viele Male auf die Knie gezwungen durch die überwältigende Erkenntnis, dass ich nirgends sonst hingehen konnte."

Doch er sei noch lange nicht fertig, verspricht Obama. Mehr Wind- und Solarkraftwerke will er bauen, mehr Lehrer einstellen, den Afghanistan-Feldzug beenden, die Krankenversicherung vor der Privatisierung durch die Republikaner bewahren. Über seinen bisher größten Erfolg, die Reform des Gesundheitswesens, sagt Obama hingegen fast nichts. Über das Rivalen-Duo Romney und Ryan hingegen schon.

Spott für Romney und Ryan

"Neulinge" seien die beiden in Sachen Außenpolitik, spottet der Mann, der bei seiner ersten Präsidentschaftswahl ebenfalls als zu unerfahren für das Amt bezeichnet wurde. Die Munition für diesen Angriff hatte Romney freilich selbst geliefert: Mit der Aussage, Russland sei die größte Gefahr für die USA, und seinem verpatzten Besuch in London. Früher wollte Obama über solchen Gehässigkeiten stehen. Doch das hat er längst aufgegeben.

"Ich bin nicht mehr nur der Kandidat", sagt Obama, "ich bin der Präsident". Welche Auswirkungen das auf ihn hat, zeigt sein Auftritt bei diesem Parteitag. Vier Jahre im Weißen aus haben ihre Spuren hinterlassen. Aus dem hoffnungsfrohen Motivator ist ein abgehärteter Schlachtenlenker geworden. Vielen seiner Parteifreunde wird das gefallen: Zu oft musste sich Obama den Vorwurf gefallen lassen, er sei mit den aggressiven Republikanern zu sanft umgegangen, habe zu viele Kompromisse gemacht.

Dass das nun vorbei ist, hat Obama in Charlotte mehr als deutlich gemacht. Kollektiver Aufschwung und faire Lastenverteilung gegen Ego-Gesellschaft und Bereicherungsmentalität, diesen ideologischen Rahmen hat Obama seiner Wiederwahl am Donnerstag verpasst. Es sagt viel aus über den erstarkten Kampfgeist des 44. US-Präsidenten.

Und über den Zustand der USA im vierten Jahr nach "Yes We Can".

Quelle: ntv.de

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