Terrorjagd per Video? Verfassungsschutz späht 1000 Verdächtige aus
21.04.2013, 10:36 Uhr
Es waren Videoaufnahmen, mit denen die Polizei den mutmaßlichen Attentätern von Boston auf die Schliche kam.
(Foto: AP)
Das Bostoner-Attentat hat in Deutschland die Debatte über eine Ausweitung der Videoüberwachung neu befeuert. Innenminister Friedrich fordert eine Ausweitung, Bundeskriminalamtschef Ziercke glaubt, dass Videoüberwachungen "abschreckend wirken". Der Verfassungsschutz nahm einem Bericht zufolge seit den Terroranschlägen vom 11. September 2001 knapp 1000 Verdächtige ins Visier.
Das Bundesamt für Verfassungsschutz hat seit den Terroranschlägen vom 11. September 2001 insgesamt 962 Personen aus dem islamistischen Milieu per Video überwacht. Im Schnitt seien das 80 Überwachungen pro Jahr, berichtet das Nachrichtenmagazin "Der Spiegel".
Derzeit spähte das Amt 20 mutmaßliche Islamisten, aber auch Rechtsextremisten mittels Kamera-Equipment aus, schreibt das Ma gazin unter Berufung auf eine Antwort des Innenministeriums auf eine Kleine Anfrage der Linksfraktion im Bundestag. Das Bundeskriminalamt (BKA) ließ demnach in den vergangenen zwölf Jahren 84 Personen per Video überwachen, um terroristische Straftaten zu verhindern oder aufzudecken. Derzeit laufen laut BKA drei Videomaßnahmen.
Nach Angaben des Magazins bestreitet das Innenministerium, dass in seinem Zuständigkeitsbereich Verdächtige mit Anlagen überwacht werden, die biometrische Merkmale oder Verhaltensmuster von Menschen erfassen können. Doch der Antwort auf die Anfrage sei eine Liste beigefügt, aus der hervorgehe, dass Behörden, Unternehmen und Wissenschaftler an mindestens sechs Projekten zu Biometrie und Verhaltensmustererkennung forschen, die mit mehr als 13 Millionen Euro staatlich gefördert werden.
Debatte über verstärkte Überwachung
Nach dem Sprengstoffattentat in Boston ist in Deutschland die Debatte über eine Ausweitung der Videoüberwachung neu entbrannt. Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) forderte eine Ausweitung der Video-Überwachung von öffentlichen Plätzen. "Die Ereignisse in Boston zeigen erneut, wie wichtig die Überwachung des öffentlichen Raums durch Videokameras für die Aufklärung schwerster Straftaten ist", sagte Friedrich. "Deshalb arbeiten wir zum Beispiel mit der Bahn daran, die Videoüberwachung an den Bahnhöfen zu stärken." Auch BKA-Chef Jörg Ziercke betonte die Bedeutung der Videoüberwachung zur Abschreckung und Aufklärung von Anschlägen.
Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger wies die Forderungen zurück: "Der fürchterliche Anschlag von Boston sollte nicht für eine innenpolitische Debatte instrumentalisiert werden", sagte die FDP-Politikerin. Deutschland verfüge über ausreichende Sicherheitsgesetze.
Der Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Andreas Voßkuhle, warnte ebenfalls vor überzogenen Reaktionen: "Dass nach einem Ereignis wie in Boston sofort Forderungen formuliert werden, ist Teil des politischen Geschehens", sagte er der "Welt am Sonntag". "Bei der konkreten Umsetzung sollte dann aber wieder Besonnenheit einkehren."
Deutschland habe die Herausforderung nach den Terroranschlägen des 11. September 2001 insgesamt überzeugend bewältigt, betonte Voßkuhle. Jedenfalls sei dies "weniger hysterisch als in manchen anderen Ländern" geschehen. Auch seien die Bürger erstaunlich gelassen geblieben.
Quelle: ntv.de, dsi/dpa