EU uneins beim Klimapaket Verhärtete Fronten
20.10.2008, 15:52 UhrDie Finanzmarktkrise hat den Streit um Europas milliardenschweres Klimaschutzpaket verschärft. Der amtierende EU-Ratsvorsitzende, Frankreichs Umweltminister Jean-Louis Borloo, wies in Luxemburg Forderungen aus Italien und Polen zurück, einen Beschluss über die ambitionierten Klimaziele aufzuschieben. "Wir haben kein Mandat bekommen, das Paket zu verschieben", sagte Borloo nach Beratungen mit seinen europäischen Amtskollegen. "Unsere Vorgaben stammen vom EU-Gipfel vergangene Woche."
Einem Bericht der Umweltstiftung WWF zufolge kommt der Klimawandel schneller und mit dramatischeren Folgen als bisher angenommen. Demnach halten es Wissenschaftler für möglich, dass das sommerliche Packeis der Arktis bis 2040 völlig abschmilzt. Der Meeresspiegel könne statt der bisher geschätzten maximal 60 Zentimeter sogar um mehr als 120 Zentimeter steigen. Die Folgen für Europas Küstenregionen wären katastrophal. Für Deutschland wird eine Zunahme der sturmbedingten Schäden um bis zu 37 Prozent erwartet.
Gabriel enttäuscht
Die Staats- und Regierungschefs hatten sich darauf geeinigt, das Klimaschutzpaket im Dezember endgültig unter Dach und Fach zu bringen. "Ich möchte Klartext sprechen: Die Finanzkrise stellt sich dem Klimawandel nicht in den Weg", sagte Borloo. Paris leitet bis Ende des Jahres turnusgemäß die Verhandlungen der EU-Minister.
Bundesumweltminister Sigmar Gabriel zeigte sich von den Gesprächen enttäuscht. Es seien "lediglich die bekannten Standpunkte" ausgetauscht worden, sagte Gabriel. Ebenso wie Borloo wies er Forderungen zurück, die Bankenmisere zu berücksichtigen. "Ich halte die Finanzkrise für eine Ausrede", sagte er. "Wir können uns eine Verschiebung nicht leisten", fügte er hinzu. "Der Rest der Welt wird auf Europa schauen und ob es uns gelingt, wirtschaftliche und umweltpolitische Interessen unter einen Hut zu bringen."
Mit dem Klimaschutzpaket wollen sich die 27 EU-Staaten auf ehrgeizige Ziele verpflichten. Der Kohlendioxid (CO2)-Ausstoß soll bis 2020 um ein Fünftel gesenkt werden. Zudem sollen mehr erneuerbare Energien wie Biosprit oder Windkraft zum Einsatz kommen. Die Regierungen und das Europaparlament streiten über die Lastenteilung.
Deutschland fordert Ausnahmen
Im Dezember finden im polnischen Posen (Poznan) internationale Verhandlungen für ein neues Weltklimaabkommen statt. Europa will feste Vorhaben in die Waagschale werfen können, um bedeutende Luftverschmutzer wie die USA und China ins Boot zu holen. "Das Paket zeigt, dass Europa im Kampf gegen die Erderwärmung an der Spitze steht", sagte EU-Umweltkommissar Stavros Dimas. "Die Billigung wird unsere Position in den internationalen Verhandlungen stärken."
Deutschland fordert Ausnahmen für Industriesektoren wie Stahl oder Zement mit hohem Energieverbrauch, die sich einem harten globalen Wettbewerb ausgesetzt sehen. Hier liegen die EU-Kommission und Berlin offensichtlich weiter über Kreuz. Brüssel will erst nach Abschluss eines neuen Weltklimaabkommens, also im Jahr 2010 oder 2011, die betroffenen Sektoren festklopfen. "Das halte ich für inakzeptabel", sagte Gabriel.
Borloo stellte sich hinter die deutschen Forderungen. Dimas bekräftigte lediglich, dass es eine Lösung für die betroffenen Sektoren geben soll. "Wir wollen nicht, dass einige Industrien abwandern in Staaten, wo es keine Kohlenstoff-Auflagen gibt und dort munter weiter verschmutzen", sagte er.
Ausgleich für Osteuropa
EU-Diplomaten zufolge pocht Polen weiter auf eine Lösung des Problems, dass es mehr als 90 Prozent seines Stroms aus - CO2-intensiver - Kohle beziehe. Warschau will mit einer Gruppe weiterer mittel- und osteuropäischer Länder zudem seinen wirtschaftlichen Aufholbedarf geltend machen. "Natürlich werden wir für die Osteuropäer einen Ausgleich finden", sagte Gabriel. Dies könne etwa finanziell geschehen. Es dürfe aber nicht die "Integrität" des Klimapakets infrage gestellt werden. "Dazu müssen wir sehr schnell zu Vorschlägen kommen."
Gabriel machte auch klar, dass Deutschland für den Stromsektor von 2013 an eine vollständige Versteigerung der Verschmutzungsrechte fordert. Die Einnahmen müssten aber für Klimaschutzprojekte verwendet werden. Einige seiner Kabinettskollegen, darunter Finanzminister Peer Steinbrück, hätten hier "eine größere Fantasie".
Angesichts der unterschiedlichen Forderungen der einzelnen EU-Staaten muss Europa nach Worten des Ministers zeigen, dass es zu einem Interessenausgleich in der Lage ist. "Wir sind ja ein bisschen ein Brennglas: Wir haben reiche und weniger reiche Mitgliedstaaten, und genau so ist es weltweit", sagte der Minister. "Wenn wir das nicht schaffen, dann bekämen die Skeptiker Oberwasser und der internationale Klimaprozess würde dramatisch geschädigt. Dann könnten wir Poznan eigentlich absagen."
Quelle: ntv.de