Kroatien im Schock Volksheld Gotovina verurteilt
15.04.2011, 15:53 UhrDas UN-Kriegsverbrechertribunal verurteilt den kroatischen Ex-General Ante Gotovina zu 24 Jahren Gefängnis. Er soll für die Bluttaten während der Balkan-Kriege 1995 büßen. Mit einer so langen Haftstrafe für den als Volkshelden verehrten Gotovina hat in Kroatien niemand auch nur im Entferntesten gerechnet. Die Menschen sind erschüttert.

Die Verurteilung von Ante Gotovina löst in seiner Heimat Kroatien Proteste aus.
(Foto: AP)
Die katholischen Bischöfe hatten für den Freispruch von General Ante Gotovina beten lassen. Regierungschefin Jadranka Kosoro konnte sich nichts Anderes als die Freilassung des Volkshelden vorstellen. Das Parlament beendete seine Sitzung am Freitag vorzeitig, damit alle Abgeordneten den erwarteten Freispruch verfolgen können. Es kam anders. Gotovina soll 24 Jahre in Haft.
Als auf dem Jelasic-Platz im Zentrum von Zagreb das harte Urteil über die Videowände flimmert, herrscht bei den mehreren tausend Demonstranten Fassungslosigkeit. "Schock, Aufschrei, Tränen", titelte die Zeitung "Danas". "Katastrophe, Trauer, Schande", wiederholen die Protestierenden immer wieder. Pfiffe überall.
"Kroatien noch einmal gekreuzigt"

Der kroatische Ex-General Ante Gotovina vor dem Internationalen Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien (ICTY) in Den Haag.
(Foto: REUTERS)
Die Behörden rufen zur Ruhe auf. Wegen befürchteter Ausschreitungen wurden in der Innenstadt Polizeikräfte zusammengezogen. "Wir erkennen das UN-Gericht nicht an", "Der Krieg geht weiter" und "Unser Verteidigungskrieg war gerecht", empören sich die Unzufriedenen im Zagreber Zentrum. "Kroatien wurde noch einmal gekreuzigt" oder "Damit wurden wir alle verurteilt" heißt es in Hunderten Kommentaren aufgebrachter Bürger in Internetmedien.
Das Staatsfernsehen versucht in einer Sondersendung, mit Rechtsexperten das Urteil zu analysieren. Die sind sich schnell einig, dass "das Gericht einseitig kein einziges Argument der Verteidigung hören wollte". "Die Urteilsverkündung war wie die Verlesung der Anklageschrift", wird kritisiert. Dass Gotovina und ein weiterer General verurteilt wurden, ein dritter aber freigesprochen wurde, sei inkonsequent und lasse auf einen besseren Ausgang der Berufungsverhandlung hoffen.
Mitkämpfer der drei Generäle melden sich unter Tränen und sagen trotzig: "Wir sind stolz auf unseren Kampf." Ihre jetzt verurteilten Befehlshaber seien schließlich "Verteidiger der Heimat" gewesen. "Wir alle haben heute verloren", sagten Veteranenvertreter. "Jetzt müssen wir standhaft sein, um den kroatischen Staat zu bewahren." "Mit diesem Richterspruch werden der Vaterländische Krieg und Kroatien verurteilt", zitiert die Zeitung "Jutarnji list" einen Kritiker.
Erschüttertes Selbstverständnis
In der Tat erschüttert das UN-Tribunal mit diesem Urteil das Selbstverständnis fast aller Kroaten in den Grundfesten. Allgemeingut ist, dass Kroatien 1991-1995 einen "gerechten Krieg" gegen seine serbische Minderheit geführt hat, die jahrelang ein Drittel des Landes "illegal okkupiert" hatte. Diese Lesart hatte Regierungschefin Kosor noch vor wenigen Tagen erneut klar gemacht.
Bei dieser "Rückeroberung des feindlich besetzten Territoriums" sei eben jedes Mittel Recht und erlaubt gewesen, so Volkes Meinung. "Das heißt, Kroatien basiert auf Verbrechen, der erste Präsident (der inzwischen gestorbene Franjo Tudjman) war der Führer dieses Verbrechens", zitierte die Zeitung "Jutarnji list" einen Parlamentsabgeordneten: "Im Urteil wird überhaupt nicht die Aggression der Serben erwähnt. Und was sollten wir machen, die Feinde küssen?".
Kroatien steht vor dem Abschluss der EU-Beitrittsverhandlungen. Doch die ohnehin skeptische Haltung der Bevölkerung, die über einen Beitritt zur Union abstimmen muss, dürfte mit diesem als ungerecht empfundenen Urteil nur noch verstärkt werden, hieß es in ersten Kommentaren. "Wir werden lieber in eine Union mit Russland gehen", sagt der Kriegsveteran Ivica Kapitanovic enttäuscht.
Quelle: ntv.de, Thomas Brey, dpa