Politik

Steuergeld für teure "Meads"? Von der Leyen verteidigt die Raketen

Meads soll sehr viel mehr können als das bewährtes System aus den USA: Bei Kahramanmaras verteidigen Bundeswehrsoldaten den Luftraum der Türkei mit ihren "Patriots" (Archivbild).

Meads soll sehr viel mehr können als das bewährtes System aus den USA: Bei Kahramanmaras verteidigen Bundeswehrsoldaten den Luftraum der Türkei mit ihren "Patriots" (Archivbild).

(Foto: picture alliance / dpa)

Tappt Deutschland mit der Entscheidung für ein neues Abwehrsystem in die nächste Kostenfalle? Interne Schätzungen gehen beim Projekt Meads angeblich von einem sehr viel höheren Aufwand aus. Und: Beamte sollen sich über Druck aus Bayern beklagt haben.

Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen hat die geplante Anschaffung des milliardenteuren Luftabwehrsystems Meads gerechtfertigt. Wenn man die Bundeswehr in Einsatzgebiete schicke, "dann müssen wir unsere Soldatinnen und Soldaten auch modern schützen können", sagte sie.

Schnelle Hilfe für die deutschen Soldaten im Ausland kann das auf etwa vier Milliarden Euro veranschlagte Rüstungsgroßprojekt allerdings nicht liefern. "Das Luftverteidigungssystem, über das wir heute entschieden haben, ist etwas, was in etwa zehn Jahren die Antwort gibt auf Bedrohungen, die aus der Luft kommen", erklärte die Ministerin.

Schutz für Feldlager und Großstädte

"Wir haben heute ein Luftverteidigungssystem, das gut funktioniert, aber wir wissen, dass es 2025 ausgelaufen ist", sagte von der Leyen weiter. Dann brauche man zum Beispiel zum Schutz von Soldaten in Feldlagern oder zum Schutz von Großstädten oder kritischer Infrastruktur ein neues System. Mit Meads werde ein System angeschafft, "das hochmodern ist, das eine offene Systemarchitektur hat, also uns ermöglicht, mit anderen Nationen zusammen zu arbeiten", führte die Ministerin aus.

Die CDU-Politikerin machte zudem deutlich, dass sie nicht von unkalkulierbaren Kostensteigerungen wie bei anderen Rüstungsprojekten ausgeht. Dagegen wurde nach ihrer Darstellung Vorsorge getroffen. "Das heißt, anders als in der Vergangenheit gehen wir nicht in ein großes Projekt rein und sehen am Ende, welche Risiken wir am Anfang nicht erkannt haben, sondern legen am Anfang heute die Risiken auf den Tisch."

"Wir haben vor allem schon angefangen ein Projektmanagement aufzusetzen, was von Tag eins an eisern und sehr sauber mitkontrolliert", sagte von der Leyen. Dabei seien "sogenannte Sollbruchstellen" eingebaut, "nämlich, dass wir gesagt haben, wir werden Meilensteine miteinander verabreden und wenn ein Meilenstein nicht erreicht wird, dann haben wir Möglichkeiten abzubiegen und einen anderen Weg einzuschlagen."

Alle Risiken auf dem Tisch?

In Fachkreisen stößt die demonstrative Zuversicht der Ministerin auf erhebliche Zweifel. Ein Experte der Hessischen Stiftung für Friedens- und Konfliktforschung (HSFK) zum Beispiel bezeichnete das Luftverteidigungssystem Mittlerer Reichweite ("Medium Extended Air Defense System", kurz: Meads) als grundlegend ungeeignet für seinen Hauptzweck, die Luftabwehr.

Die Entscheidung laufe zudem Gefahr, "finanziell zu einem Desaster zu werden", erklärte HSFK-Sprecher Bernd W. Kubbig. "Auf der Grundlage von vertraulichen Zahlen des Bundesverteidigungsministeriums könnte das erste Großvorhaben der Ministerin den Steuerzahler weit über fünf Milliarden Euro kosten", heißt es in einer Mitteilung der Friedens- und Konfliktforscher aus Hessen.

Bislang nur auf dem Papier

"Die Angaben des Ministeriums geben nur einen Teil der Kosten wieder, um das Projekt im Parlament politisch durchzusetzen", stellte Kubbig fest. Das neue System soll nicht nur Raketen mit einer Reichweite von bis zu 1000 Kilometern abwehren, sondern auch Marschflugkörper, Drohnen und Flugzeuge zuverlässig abfangen können - und damit sehr viel leistungsfähiger sein als das bei der Bundeswehr bisher im Einsatz befindliche Raketenabwehrsystem "Patriot". Die Fähigkeiten des Meads-Projekts, die bei der Bundeswehr die Patriots ersetzen sollen, stehen laut Kubbig bislang allerdings nur auf dem Papier.

 

"Das System muss erst einmal mit enormem Kostenaufwand zu Ende entwickelt werden, bevor es getestet und beschafft werden kann", betonte Kubbig. Dem wichtigsten Partner des einst trilateralen Projekts sei dies mit Blick auf die Kostenschätzungen zu riskant erschienen. Genau aus diesem Grund sei das Pentagon auch aus dem Meads-Projekt ausgestiegen. "Im nationalen Alleingang ist Meads zu vertretbaren Kosten nicht zu schultern", sagte der HFSK-Experte. "Es taugt deshalb nicht als Grundlage für eine deutsche Luft- und Raketenabwehr."

Druck aus Bayern?

Besonders bedenklich: Im Inneren des Verteidigungsministeriums hätten sich Spitzenbeamte im Fall Meads, so Kubbig, "über den großen Druck vor allem der bayerischen Rüstungsindustrie und ihrer Verbündeten im Deutschen Bundestag" beklagt. Sein Fazit lautet: "Es bleibt ein erheblicher Informations- und Klärungsbedarf vor allem für das Parlament als Kontrollorgan derartiger Großprojekte." Kubbig empfiehlt daher, "zur Beschlusslage von Verteidigungsminister de Mazière vom Oktober 2011 zurückzukehren und auf die Einführung von MEADS 'in Gänze' zu verzichten".

Auch aus den Reihen der Opposition wird die geplante Ausrüstung der Bundeswehr mit dem künftigen Raketenabwehrsystem Meads ebenfalls scharf kritisiert. "Das Rüstungsabenteuer Meads droht zum nächsten Milliardengrab zu werden", sagte die Grünen-Verteidigungsexpertin Agnieszka Brugger. "Statt eine kluge Sicherheitspolitik zu verfolgen, arbeitet Ursula von der Leyen lieber die Wunschzettel der Rüstungsindustrie ab."

"Wunschzettel der Rüstungsindustrie"

Der Linke-Verteidigungsexperte Alexander Neu forderte von der Leyen auf, zunächst ein Luftverteidigungskonzept vorzulegen. "Was soll Meads, wenn es ein solches Konzept noch nicht gibt?", sagte er. "Wir haben es mit einem System zu tun, dessen Leistungsmerkmale bislang nicht ausreichend vorhanden sind, und dessen Preis hoch ist."

Zu Wochenbeginn hatte das Verteidigungsministerium Fachpolitiker der Koalition darüber informiert, dass das unter deutscher Beteiligung entwickelte Mead-System für die Bundeswehr beschafft werden soll. Bis 2025 soll die neue Abwehrwaffe die bisher von der Bundeswehr genutzten "Patriot"-Einheiten des US-Herstellers Raytheon ablösen. Die Meads-Entwicklung hat bereits vier Milliarden Euro gekostet.

Weitere drei bis vier Milliarden werden den offiziellen Schätzungen zufolge noch mindestens fällig, bis die Bundeswehr die neuen Abwehrraketen einsetzen kann. Das neue Waffensystem soll Angriffe mit Flugzeugen und Raketen abwehren können. Zu einer Einheit gehören Gefechtsstände, ein 360-Grad-Aufklärungsradar, Feuerleitradare und mehrere Raketenabschussrampen.

Raytheon weiß von nichts

Der Rüstungskonzern Raytheon ist nach eigenen Angaben nicht über eine Entscheidung der Bundesregierung für das Meads-Abwehrsystem der Konkurrenten Lockheed Martin und MBDA informiert worden. Das Verteidigungsministerium habe keine derartige Entscheidung übermittelt, erklärte das US-Unternehmen.

Entsprechend werde man bis zur endgültigen Vergabe des Auftrags weiter sein Patriot-System als Alternative anbieten. Verteidigungsministerin von der Leyen hatte die Entscheidung für Meads am Dienstag bekanntgegeben. Für das Projekt bekommt ein Konsortium um den US-Konzern Lockheed und das europäische Unternehmen MBDA den Zuschlag. An MBDA sind Airbus, die britische BAE Systems und Finmeccanica aus Italien beteiligt. Das neue System soll ältere Patriot-Batterien von Raytheon ersetzen.

Befürworter des Mead-Systems verweisen auf einen großen Vorteil: Die Entscheidung für eine rein europäische Eigenentwicklung sichert den Nutzern volle Kontrolle über alle Komponenten zu. Im Fall einer Weiterentwicklung der Patriot-Raketen müssten Abnehmer wie etwa die Bundeswehr damit leben, keinen Einblick in zentrale Bauteile zu bekommen.

Der Grund: US-Rüstungsunternehmen halten zum Beispiel die Steuerungssoftware als militärische Verschlusssache geheim - selbst gegenüber engen Verbündeten und Nato-Partnern wie Deutschland. An dieser Frage war letztlich das Drohnengroßprojekt Eurohawk gescheitert.

Quelle: ntv.de, mmo/AFP/dpa/rts

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