Politik

Steuern senken? "Wachstumshoffnung ist unseriös"

Der Bund steuert auf Rekordschulden zu. Dennoch planen Union und FDP Steuersenkungen. "Diese Steuersenkungsvorschläge sind höchst problematisch hinsichtlich der Verschuldungssituation des Staates", sagt Giacomo Corneo von der FU Berlin im Gespräch mit n-tv.de. Ein dauerhaftes Wohlstandswachstum könne man so nicht erreichen. Der Experte für öffentliche Finanzen plädiert für eine Weiterführung der "Politik der ruhigen Hand".

Prof. Dr. Dr. Giacomo Corneo lehrt öffentliche Finanzen an der FU Berlin.

Prof. Dr. Dr. Giacomo Corneo lehrt öffentliche Finanzen an der FU Berlin.

n-tv.de: In Deutschland werden verschiedene konjunkturpolitische Vorschläge diskutiert. Was halten Sie von der Forderung, die Einkommenssteuer in Deutschland zu senken?

Giacomo Corneo: Zunächst einmal ist bereits eine Senkung der Einkommenssteuer von der alten Bundesregierung geplant. Das scheint mir auch eine sinnvolle Maßnahme, weil sie dazu beiträgt, dass die so genannte "kalte Progression" zumindest teilweise an die Bürger zurückgegeben wird. Das wird bedeuten, dass in den Jahren 2009 und 2010 Steuerentlastungen in Höhe von einigen Milliarden den Bürgern zugute kommen. Die verschlechtern natürlich die Haushaltsposition des Staates, aber das ist, glaube ich, für 2009 und 2010 durchaus hinnehmbar, da wir eben 2010 noch kein Wirtschaftswachstum haben werden und wahrscheinlich die Arbeitslosigkeit  höher sein wird als heute.

Und wie steht es mit der Forderung, die Mehrwertsteuer zu senken?

Diese Steuersenkungsvorschläge sind höchst problematisch hinsichtlich der Verschuldungssituation des Staates. Vor Ausbruch der Finanz- und Wirtschaftskrise hatten wir in Deutschland eine Schuldenstandsquote, die etwas höher als 60 Prozent lag. 60 Prozent ist das Kriterium, das durch den Maastricht-Vertrag festgelegt worden ist. Geplant war damals, dass die Schuldenstandsquote unter 60 Prozent fallen muss, und zwar ab dem Jahr 2010. Das war die Planung vor Ausbruch der Krise.

Heute haben wir eine Schuldenstandsquote, die weit über 70 Prozent ist, und aller Voraussicht nach werden wir ab 2011 eine Schuldenstandsquote zwischen 80 und 90 Prozent haben. Wenn Deutschland seinen Pflichten nachkommen möchte, und das sollte Deutschland tun, dann heißt es, dass die Schuldenstandsquote in den nächsten Jahren verringert werden muss. Das geht durch eine Politik der Steuersenkungen sicherlich nicht.

Union und FDP begründen die geplanten Steuersenkungen damit, dass sie das Wirtschaftswachstum beleben müssten. Richtig?

Steuersenkungen können eine niedrige Auswirkung auf das Wirtschaftswachstum haben, je nachdem, welche Steuern gesenkt werden. Im Allgemeinen kann die Schuldenstandsquote tatsächlich entweder durch ein höheres Wirtschaftswachstum oder höhere so genannte Primär-Überschüsse erreicht werden. In Bezug auf das Wirtschaftswachstum beobachten wir, dass seit der Wiedervereinigung die Bundesrepublik Deutschland eine sehr schlechte Wirtschaftswachstumsleistung erbracht hat. Das heißt, viele Länder, die hinter Deutschland lagen bei dem Bruttoinlandsprodukt pro Kopf, wie zum Beispiel die Niederlande, Österreich und Frankreich, haben Deutschland inzwischen überholt.

Die Wachstumsprognosen der internationalen Organisationen für Deutschland sind sehr düster. Das heißt, es ist nicht seriös, auf hohe Wirtschaftswachstumsraten zu pochen, um den Schuldenstand zu verringern.

Besonders die FDP plädiert dafür, den Kinderfreibetrag auf rund 8000 Euro anzuheben. Bislang ist offen, ob das Kindergeld mit angehoben wird. Was halten Sie davon?

Ich glaube nicht, dass diese Maßnahmen wirklich förderlich sind. Wenn die realwirtschaftlichen Folgen der Krise überwunden sind, das heißt wahrscheinlich 2011, sollte man eher versuchen, eine maßvolle Steuererhöhung herbeizuführen. Gleichzeitig sollte man versuchen, die Ausgabenquote in etwa konstant zu halten, dabei aber von unproduktiven zu produktiven Ausgaben umschichten.

Die vorschulische Bildung in Deutschland ist unterfinanziert.

Die vorschulische Bildung in Deutschland ist unterfinanziert.

(Foto: picture-alliance/ dpa)

Der Kinderfreibetrag ist ein Element der Familienpolitik, und die Familienpolitik kostet bereits heute sehr viel Geld. Dieses Geld wird oft falsch eingesetzt. Zum Beispiel könnte man mit den Mehrausgaben des Elterngeldes - in Höhe von jährlich mehr als drei Milliarden Euro im Vergleich zu dem verteilungspolitisch sinnvolleren Erziehungsgeld - etwa 100.000 Arbeitsplätze in Schulen, Krippen und Kindergärten finanzieren. Auch der Erhöhung des Kinderfreibetrags würde eine ökonomisch solide Rechtfertigung fehlen.

Die Erhöhung des Kinderfreibetrags würde nur besser Verdienenden zu Gute kommen …

Ja. Deswegen würde man sicherlich dagegen protestieren und es gäbe dann sicherlich die Forderung, dass das Kindergeld auch erhöht wird - und dann hätten wir ein noch höheres Defizit. Das Problem in Deutschland ist, das wir seit Jahren eine irrationale Haushaltsstruktur haben. Einerseits haben wir eine beträchtliche Unterfinanzierung in den Bereichen, die zentral für ein dauerhaftes Wohlstandswachstum in Deutschland sind. Das sind die Bereiche, wo öffentliche Ausgaben wirklich zum Wirtschaftswachstum beitragen können.

Welche Bereiche wären das?

Ich nenne drei solcher Bereiche. Einmal die Bildung - insbesondere vorschulische und universitäre Bildung. Wir haben zudem eine Unterfinanzierung im Bereich der Integrationspolitik und der Chancengleichheit für die Einwanderer. Drittens gibt es eine Unterfinanzierung im Bereich des Führungspersonals des Staates. Die Krise hat deutlich gemacht, dass wir nur durch eine erhöhte Kompetenz der Führungskräfte des Staates die komplizierten Probleme einer globalisierten Volkswirtschaft beherrschen können. Derzeit sind die Führungskräfte des Staates zu wenig bezahlt. Wir können der Konkurrenz mit den Banken, mit den Großunternehmen nicht standhalten. Sie sind zudem zu wenig ausgebildet. Und sie sind auch zahlenmäßig zu wenig.

Und andererseits?

Andererseits haben wir eine irrationale Haushaltsstruktur, weil wir durch ökonomisch ungerechtfertigte Subventionen und Steuervergünstigungen öffentliche Gelder in Milliardenhöhe verschwenden. Ich nenne erneut das Elterngeld, die teure Förderung der privaten Altersvorsorge, die unbegründete Ermäßigung bei der Umsatzsteuer für viele Güter und Dienstleistungen. Ich nenne die Befreiungen von der Ökosteuer für das produzierende Gewerbe. Ich nenne die unsinnige Pendlerpauschale und dann zahlreiche Subventionen im Umwelt- und Agrarbereich. Da ist ein erheblicher Spielraum für Einsparungen, der benutzt werden könnte, um sinnvolle Bereiche, die langfristig für das Wohlstandswachstum wichtig sind, zu finanzieren.

"Alle Länder der Welt, insbesondere alle Länder der EU, schauen auf die Steuerpolitik Deutschlands, insbesondere im Bereich der Unternehmenssteuer."

"Alle Länder der Welt, insbesondere alle Länder der EU, schauen auf die Steuerpolitik Deutschlands, insbesondere im Bereich der Unternehmenssteuer."

(Foto: AP)

Der dritte Aspekt der irrationalen Haushaltsstruktur ist, dass wir ein inakzeptables Steuerprivileg für Vermögende in Deutschland haben. Wir haben eine Freistellung des Betriebsvermögens bei der Erbschaftssteuer, die gegen jegliche Vorstellung von Gerechtigkeit und Chancengleichheit geht. Dasselbe gilt für die Abgeltungsteuer auf Kapitalerträge und die Steuerhinterziehung über Steueroasen. Diese ganzen Steuerprivilegien für genau diejenigen, die von der Finanzkrise profitiert haben, gehören abgeschafft!

Ist es klüger, den Eingangssteuersatz für Niedrigeinkommen weiter zu senken?

Wir sollten auf jeden Fall insgesamt die Auswirkungen der so genannten "kalten Progression" verringern. Das bedeutet, dass wir immer wieder, da wir keine automatische Inflationierung des Steuertarifes haben, den Steuertarif senken müssen. Das muss man als ganzheitliche Aufgabe sehen. Dazu gehört eine Erhöhung des Steuerfreibetrages; ferner sollten alle Eckwerte des Steuertarifs mit der Inflationsrate erhöht werden. Für dieses und die nächsten zwei Jahre ist die Inflation kein Problem, das heißt da ist kein wirklicher Handlungsbedarf.

Könnte die Regierung einen positiven Effekt auslösen, wenn sie Unternehmen entlastete?

Zunächst einmal muss man klarstellen: Steuerentlastungen heute bedeuten Steuererhöhungen morgen. Das ist das eiserne Gesetz der Aufrechterhaltung der Zahlungsfähigkeit des Staates. Ich glaube nicht, dass man durch eine Entlastung der Unternehmen wirkliche ausreichende Wachstumsimpulse erzeugen kann, die eine solche Maßnahme rechtfertigen. Insbesondere auch, weil Deutschland eine Musterfunktion erfüllt. Deutschland ist kein kleines Land. Alle Länder der Welt, insbesondere alle Länder der EU, schauen auf die Steuerpolitik Deutschlands, insbesondere im Bereich der Unternehmenssteuer.

Worauf wollen Sie hinaus?

Wir müssen davon ausgehen, wenn Deutschland zum Beispiel die Körperschaftssteuer weiter senken würde, oder wenn gewisse Steuervergünstigungen für Unternehmen eingeführt werden, oder wenn Investitionszuschüsse beschlossen werden, dass diese Maßnahmen sehr rapide nachgemacht werden von anderen EU-Ländern, so dass die so erreichten Standortattraktivitätsverbesserungen innerhalb sehr kurzer Zeit wieder wettgemacht würden. Das einzige Ergebnis solcher Politik ist, dass Deutschland und die anderen Staaten dann weniger Einnahmen aus der Unternehmensbesteuerung haben werden, die am anderen Platz kompensiert werden müssen - zum Beispiel durch Kürzung von Sozialleistungen.

Was würden Sie denn der neuen Regierung konkret raten?

Ich glaube, dass es im Bereich der Finanzpolitik sinnvoll ist, die "Politik der ruhigen Hand", die Frau Merkel propagiert, weiterzuführen. Das heißt tatsächlich, die Bürger so zu entlasten, wie es schon vor der Bundestagswahl geplant war, und dann keine dramatischen Züge zu machen, weder dramatische Steuersenkungen, wie von der FDP verlangt, noch Steuererhöhungen wie von einigen Experten vorgeschlagen im Bereich der Mehrwertsteuer. Davon würde ich abraten.

Die Bundesregierung sollte abwarten. Wir müssen schauen, wie sich das Wirtschaftswachstum entwickelt, welche Konsequenzen aus dem Rettungspaket für Banken für den Haushalt resultieren werden. Da ist ein riesiges Damoklesschwert. Werden es Peanuts sein oder womöglich doch große Brocken? Wir wissen es noch nicht. Zunächst einmal sollte die neue Regierung ruhig handeln, keine drastischen Veränderungen herbeiführen.

Mit Giacomo Corneo sprach Diana Sierpinski

Quelle: ntv.de

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