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"Krieg ist nie gesund" Freiwillige in der Ukraine: Gefahr für sich und andere

Ukrainische Einsatzkräfte in einem zerstörten Einkaufszentrum in Kiew.

Ukrainische Einsatzkräfte in einem zerstörten Einkaufszentrum in Kiew.

(Foto: picture alliance/dpa/AP)

Wenige Tage nach dem Überfall Russlands gründet die Ukraine eine internationale Legion. Dort kämpfen Ex-Militärs und Zivilisten aus vielen Nationen, insgesamt sollen es 20.000 Personen sein. Dabei ist das nicht unbedingt eine gute Idee.

Online-Foren gibt es bekanntlich für alles Mögliche - auch für Menschen, die bereit sind, ihr Leben für die Ukraine zu riskieren. Dort suchen Leute nach Mitfahrgelegenheiten ins Kriegsgebiet, nach Equipment und Ratschlägen. Unter den mehr als 40.000 Mitgliedern eines Forums der Plattform Reddit gibt es aber auch welche, die die Euphorie bremsen. Jemand, der angeblich fast ein Jahrzehnt für die Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen in Krisengebieten unterwegs war, mahnt: "90 Prozent derer, die hier ihre Hand heben, haben keinerlei Erfahrung." Er führt eine 50-Punkte-Liste auf, die nur eine grundlegende Vorbereitung beinhalte. Sie fängt damit an, sich einen Pass zu besorgen, und endet damit, sich psychologische Betreuung für die Zeit danach zu suchen. Er hält nichts davon, überstürzt in den Krieg zu ziehen.

Und dennoch: Insgesamt folgten ukrainischen Angaben zufolge etwa 20.000 ausländische Freiwillige dem Aufruf von Präsident Wolodymyr Selenskyj. Er hatte wenige Tage nach Kriegsbeginn eine internationale Legion gegründet und appelliert, "Seite an Seite mit den Ukrainern gegen die russischen Kriegsverbrecher" zu kämpfen. Es gibt keine genauen Zahlen, wie viele ausländische Freiwillige das Land wirklich unterstützen.

"Menschen leiden und sterben ohne Grund"

Erste Erfahrungsberichte lassen jedoch erahnen, welche Motivation die Freiwilligen haben. Der Schwede Jesper Söder erzählte der "New York Times", er verspüre denselben Antrieb wie vor einigen Jahren. Damals habe er an der Seite der Kurden gegen die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) gekämpft. "Menschen leiden und sterben ohne Grund. Es gibt keinen Respekt für die Zivilisten. Ich kann den Krieg nicht verändern, aber beim Verteidigen helfen."

Es gibt viele solcher Geschichten. Etwa drei US-Veteranen aus dem Irak und Afghanistan sagten CNN, sie würden Lehrer und Busfahrer an der Waffe ausbilden. Einer von ihnen ist mit einer Ukrainerin verheiratet. Der "Guardian" berichtet von einem Briten mit ukrainischen Wurzeln. "Mein ukrainischer Großvater hat im Zweiten Weltkrieg gegen die Rote Armee und die Nazis gekämpft. Nun bin ich an der Reihe, zu helfen", so Igor Gavrylko. Er habe die Flucht seiner Familie aus dem Land organisiert und sei inzwischen selbst von London nach Lwiw im Westen der Ukraine gereist.

Ein anderer Brite berichtete dem Sender Sky News, dass er nicht einmal seiner Frau und seinem Sohn davon erzählt habe, dass er in die Ukraine fahren würde. Er hatte keine Kampferfahrung und saß tagelang mit vier britischen Ex-Soldaten in einem Unterschlupf im Westen des Landes. Nach und nach stellte sich für ihn heraus, dass die Aktion ein "absoluter Albtraum" war. Nachdem er von ukrainischen Spezialkräften durchsucht worden und an einem Checkpoint auf zwei tote russische Soldaten gestoßen war, die als Abschreckung für Putins Truppen dienen sollten, entschloss er sich, die Ukraine wieder zu verlassen.

"Krieg ist nie gesund"

Ein ukrainischer Soldat sagte der "New York Times", er halte es für unwahrscheinlich, dass die vielen Freiwilligen einen entscheidenden Einfluss auf das Kriegsgeschehen nähmen. Aber die Gefühle der Solidarität und der Anteilnahme seien unglaublich, auch wenn nicht alle Freiwilligen die gleiche militärische Ausbildung mitbrächten. Es gebe eine Einteilung, so der ukrainische Koordinator: Die Erfahrenen gingen zum Militär, die ohne Vorkenntnisse würden abseits der Front bei der humanitären Arbeit helfen.

Zwei Deutsche, die nun in einem Vorort von Kiew kämpfen, sprachen über ihre Geschichte mit der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" (FAZ). Sie sollen bei der Bundeswehr tätig sein. Der Zeitung berichteten sie von ersten Gefechten, bei denen sie einen russischen Konvoi angegriffen hatten. "Man ist froh, es überstanden zu haben. Später setzte bei dem einen oder anderen das Denken ein, und manche haben sich auch übergeben oder haben gezittert", schrieb einer der beiden der FAZ.

Zudem stellten sich für sie moralische Fragen. Ob sie nun Mörder oder Retter seien, wenn sie russische Soldaten töten. "Krieg ist nie gesund, und für den Kopf ist es erst recht nicht gesund", schrieb der andere. Medienberichten zufolge sind sie nicht die einzigen Deutschen, die in der Ukraine gegen die russischen Invasoren kämpfen. Insgesamt sollen sich etwa 1000 Menschen aus der Bundesrepublik der internationalen Legion angeschlossen haben. Die Zahl konnte das Innenministerium bisher nicht bestätigen.

Auch Russland ist nicht entgangen, dass die Ukraine Unterstützung von Freiwilligen aus dem Rest der Welt erhält. Am 13. März traf ein Luftangriff die Militärbasis Jaworiw im Westen der Ukraine. Dort wurden laut "New York Times" seit Wochen ausländische Kämpfer für die internationale Legion trainiert. Bei dem Angriff wurden nach Angaben aus Kiew 35 Menschen getötet und 134 verletzt. Wie der britische "Telegraph" berichtet, waren darunter auch drei Briten.

"Siebenmal darüber nachdenken, bevor sie abreisen"

Erst die Anwesenheit der britischen Freiwilligen scheint das russische Bombardement ausgelöst zu haben. Nach "Telegraph"-Informationen waren Stunden, bevor die Raketen die Basis zerstörten, Dutzende Telefonnummern mit der britischen Vorwahl +44 in der Region sichtbar. Russland habe Zugang zu einer riesigen Zahl an Telefonnummern, die in Verbindung mit britischen Eliteeinheiten stünden, heißt es in dem Bericht. Die eingereisten Briten hätten den Kreml dazu veranlasst, die Raketen abzufeuern. Mit Blick auf diese Meldung wies Militärexperte Carlo Masala darauf hin, dass es niemandem helfe, wenn ungeübte Kämpfer in den Krieg ziehen.

Die Freiwilligen gefährden so nicht nur sich selbst, sondern auch andere. Das eigene Risiko ist auch im Fall einer Gefangennahme höher: Normalerweise genießen Kriegsgefangene einen besonderen Status. Ihnen dürfen weder Folter noch Vergeltungsmaßnahmen angedroht werden.

Dagegen hat Russland bereits deutlich gemacht, dass es die ausländischen Kämpfer nicht als normale Soldaten, sondern als Söldner betrachtet. Ein Sprecher des russischen Verteidigungsministeriums kündigte an, dass die Freiwilligen "strafrechtlich zur Verantwortung" gezogen würden, "sollten sie aufgegriffen werden". Sie sollen "siebenmal darüber nachdenken, bevor sie abreisen". Bei Söldnern, die auch Russland in der Ukraine einsetzt, greife das internationale Recht nicht, schreibt der Politloge David Malet in der Zeitschrift "Foreign Policy". Sie würden nicht als Kriegsgefangene gelten, Regierungen dürften sie so behandeln, wie sie es für richtig hielten.

Quelle: ntv.de

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