Politik

NSU-Spur in Berlin verschlampt Weiterer Behördenchef geht

Ausschnitt aus einem MAD-Protokoll zu Uwe Mundlos.

Ausschnitt aus einem MAD-Protokoll zu Uwe Mundlos.

(Foto: dpa)

Die Panne um eine MAD-Akte über den Rechtsterroristen Mundlos fordert einen Posten. Der Chef des Verfassungsschutzes von Sachsen-Anhalt, Limburg, tritt zurück. Der Untersuchungsausschuss macht derweil immer weitere Entdeckungen: So gab es 2002 in Berlin eine Spur zur NSU. Eine Person aus dem Dunstkreis der NSU soll zudem V-Mann gewesen sein.

Nach der weiteren Panne um die Geheimdienstakte des Neonazis Uwe Mundlos ist Sachsen-Anhalts Verfassungsschutzchef Volker Limburg zurückgetreten. Der Behördenleiter wurde auf eigenen Wunsch in den Ruhestand versetzt, wie Landesinnenminister Holger Stahlknecht mitteilte. Zuvor war eine Akte des Militärischen Abschirmdiensts (MAD) zu Mundlos, die als verschwunden gegolten hatte, in Sachsen-Anhalt wieder aufgetaucht.

Limburg zieht die Konsequenzen aus den Pannen um die MAD-Akte.

Limburg zieht die Konsequenzen aus den Pannen um die MAD-Akte.

(Foto: dapd)

Der Magdeburger Innenstaatssekretär Ulf Gundlach sagte, er gehe davon aus, dass die Vorgänge um die MAD-Akten mit ausschlaggebend für den Entschluss Limburgs waren, um die Versetzung in den Ruhestand zu bitten. Der 63-Jährige war seit 2000 im Amt. Limburg soll jedoch auch aus gesundheitlichen Gründen bereits über einen Rücktritt nachgedacht haben.

Stahlknecht hatte am Mittwoch mitgeteilt, dass die Sicherheitsbehörden in Sachsen-Anhalt doch noch eine Akte des MAD zur Vernehmung des NSU-Mitglieds Mundlos in ihren Archiven entdeckt hätten. Den Angaben zufolge war sie zunächst nicht entdeckt worden, weil der Verfassungsschutz nicht gezielt nach Mundlos, sondern nach dem "Nationalsozialistischen Untergrund" (NSU) und rechtsextremen Parteien gesucht hatte. Nach dem Hinweis des MAD war die Akte aus dem Jahr 1995 - in dem Jahr gab es die NSU noch nicht - dann aufgetaucht.

Wegen der Pannen bei den Ermittlungen waren zuvor bereits die Verfassungsschutzchefs von Sachsen und Thüringen, Reinhard Boos und Thomas Sippel, zurückgetreten. Auch der Chef des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Heinz Fromm, musste seinen Hut nehmen, nachdem bekannt geworden war, dass seine Behörde wichtige Akten vernichtet hatte. Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich beklagte derweil, dass die fehlende elektronische Speicherung von Akten die Aufklärung der NSU-Mordserie erschwere. Die meisten Behörden hätten elektronische Akten erst ab 2003 zur Verfügung, sagte Friedrich.

"Korrekt war hier nicht gut genug"

Der Ausschuss-Vorsitzende Edathy fordert weitere Informationen vom Verteidigungsministerium.

Der Ausschuss-Vorsitzende Edathy fordert weitere Informationen vom Verteidigungsministerium.

(Foto: dapd)

Der Vorsitzende des Bundestags-Untersuchungsausschusses zu den Neonazi-Morden, Sebastian Edathy von der SPD, forderte unterdessen vom Bundesverteidigungsministerium weitere Auskünfte über Kontakte des MAD zu Mundlos. "Das Thema ist für uns noch nicht erledigt." Der Ausschuss will im Oktober Zeugen zu dem Vorgang hören, eine Vernehmung von Verteidigungsminister Thomas de Maizière ist bislang aber nicht geplant. Ein Sprecher des Ministers hatte am Mittwoch eingeräumt, dass der CDU-Politiker frühzeitig über die MAD-Unterlagen zu Mundlos informiert war.

De Maizière selbst bedauerte die späte Entdeckung der MAD-Akte. "Der MAD hat sich korrekt verhalten, und das Verteidigungsministerium hat sich korrekt verhalten", sagte er beim Besuch der Luftfahrtmesse ILA. "Korrekt war hier nicht gut genug", fügte er hinzu. Gleichzeitig sagte der Minister aber, dass der Neonazi-Untersuchungsausschuss des Bundestages die Akte schon seit April "zur Verfügung gehabt" habe. Der Ausschuss sei aber nicht über deren mögliche Bedeutung informiert worden. "Das war unsensibel", sagte de Maizière. "Ich ärgere mich darüber am allermeisten."

Die Mordwaffe im Fall Kiesewetter.

Die Mordwaffe im Fall Kiesewetter.

(Foto: dpa)

Grünen-Chefin Claudia Roth forderte personelle Konsequenzen im Verteidigungsministerium. Der Vorgang habe eine "Tragweite, bei der es nicht genügt", wenn de Maizière von "bedauerlichen Versäumnissen" spreche, sagte sie der "Süddeutschen Zeitung". Roth forderte ebenso wie andere Grünen-Spitzenpolitiker die Auflösung des MAD. Die Behörde habe "ausgedient".

Weiterer NSU-Hinweis in Berlin aufgetaucht

Der Untersuchungsausschuss klagte derweil über eine weitere ihm offenbar vorenthaltene Akte. Beim Land Berlin habe sich ein Hinweis auf den Aufenthaltsort der drei NSU-Mitglieder aus dem Jahr 2002 gefunden, sagte der CDU-Abgeordnete Clemens Binninger. Ob der Hinweis, der auf einen namentlich nicht genannten Informanten zurückgehe, tatsächlich zu dem Trio geführt hätte, lasse sich noch nicht sagen. Der Grünen-Abgeordnete Wolfgang Wieland warf den Berliner Behörden vor, dem Ausschuss bislang keinerlei Unterlagen übermittelt zu haben.

Die mutmaßlichen Mitglieder der NSU (l.-r.): Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe.

Die mutmaßlichen Mitglieder der NSU (l.-r.): Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe.

(Foto: picture alliance / dpa)

Berlins Innensenator Frank Henkel von der CDU will nun prüfen, ob der Hinweis nicht weitergeleitet wurde. "Wir ermitteln das mit Hochdruck, sowohl beim Verfassungsschutz als auch beim polizeilichen Staatsschutz", sagte Henkel. Mehr könne er derzeit nicht dazu sagen. "Ich bin heute von diesem Verdacht genauso überrascht worden wie alle anderen", sagte der Senator. Dies sei ein sehr ernstes Thema. Bisher seien keine Verbindungen der Terrorzelle nach Berlin bekannt gewesen.

Edathy sagte weiter, dass ein Beschuldigter im Zusammenhang mit der NSU-Mordserie V-Mann des Landes Berlin gewesen sein soll. Der Untersuchungsausschuss sei über einen solchen Hinweis informiert worden, so Edathy. Einer der vom Generalbundesanwalt im Zusammenhang mit der Terrorzelle Beschuldigten soll demnach über mehrere Jahre als Informant für Berlin agiert haben. "Das werden wir zu klären haben", sagte Edathy und kündigte an, er werde mit dem Berliner Innensenator Henkel darüber sprechen.

Motiv für Kiesewetter-Mord weiter unklar

In der Sitzung des Untersuchungsausschusses wurde zudem bekannt, dass das Motiv für den Mord an der Polizistin Michèle Kiesewetter im Jahr 2007 in Heilbronn weiterhin ungeklärt ist. Dies sagte der Leiter der zuständigen Sonderkommission, Axel Mögelin. Der Mord soll auf das Konto der NSU gehen. Wenn es keine neuen Hinweise gebe, werde das Motiv wohl offen bleiben, so Mögelin. Er betonte, es habe keine Hinweise auf einen rechtsextremen Hintergrund gegeben. Die Ermittler hätten in verschiedene Richtung nachgeforscht und seien allen belastbaren Spuren nachgegangen.

Insgesamt wird der NSU für zehn Morde zwischen 2000 und 2007 verantwortlich gemacht. Der Fall in Heilbronn war nach bisherigen Erkenntnissen der letzte der Serie. Allerdings gibt er auch deshalb Rätsel auf, weil er aus dem Raster der übrigen Serie fällt, der neun türkisch- oder griechischstämmige Kleinunternehmer zum Opfer fielen. Bis zum Auffliegen der Terrorzelle im Herbst 2011 fanden die Ermittler keinen Hinweis auf einen terroristischen oder extremistischen Zusammenhang der Morde.

Die Mordserie war aufgedeckt worden, nachdem zwei mutmaßliche Mitglieder - Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos - nach einem Banküberfall tot in einem Wohnmobil gefunden worden waren. Bei den Leichen wurden auch die Dienstwaffen von Kieswetter und ihres schwer verletzten Kollegen gefunden. Das mutmaßliche dritte NSU-Mitglied ist Beate Zschäpe. Wie der Bundesgerichtshof nun entschied, muss sie weiterhin in Untersuchungshaft bleiben. Da in den kommenden drei Monaten eine Anklage der Bundesanwaltschaft gegen sie erwartet werde, sei die Fortdauer der Untersuchungshaft gerechtfertigt, teilte der BGH in Karlsruhe mit. Zudem führte er die Schwere der Taten sowie den dringenden Tatverdacht als Begründung an.

Quelle: ntv.de, dpa/AFP/rts

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