Ratlos im Balkan Wenn die EU zum Dialog rät
01.08.2011, 19:24 Uhr
Mit Baumstämmen, serbischer Flagge und Ikone: Serben im Dorf Zupce im Nordkosovo verbarrikadieren die Zufahrt.
(Foto: AP)
Im Konflikt zwischen Serbien und dem Kosovo weiß die EU nicht, was sie will. Angesichts ihrer Uneinigkeit hoffen die Europäer darauf, dass die Streithähne selbst das Problem wegdiskutieren. Aber diesen Gefallen tun sie der ratlosen EU nicht.
An der Grenze zwischen Serbien und dem Kosovo fallen Schüsse. Serben fackeln eine kosovarische Grenzstation ab, NATO-Soldaten drehen an serbischen Straßensperren im Kosovo wieder um. Und Catherine Ashton kommt wie auf Samtpfötchen daher: "Besorgt" sei sie, "bedauerlich" sei das, und "die Gewalt im Norden des Kosovos" werde von ihr "zutiefst verurteilt". Mehrfach mahnte sie Kosovaren und Serben zur "Rückkehr zum Dialog".
Deutlicher oder entschlossener ging es nicht. In kaum einer anderen außenpolitischen Frage ist die Europäische Union so zerstritten wie über den Umgang mit Serbien und dem Kosovo. "Dialog ist der kleinste gemeinsame Nenner", sagt ein EU-Diplomat in Brüssel. Nur 22 der 27 EU-Mitglieder haben das Kosovo, das sich im Februar 2008 für unabhängig erklärte, völkerrechtlich anerkannt. Die fünf anderen (Griechenland, Rumänien, Slowakei, Spanien, Zypern) verweigern das, sind aber gleichwohl zur Zusammenarbeit mit dem Kosovo bereit.
EU ohne Strategie
Auf eine langfristige Strategie in Sachen Kosovo hat sich die EU noch nicht einigen können. Auch gegenüber Serbien müssen die Außenminister der EU, wann immer das leidige Thema ansteht, nach der Quadratur des Kreises suchen. Deutsche, Briten und Niederländer sehen im Wunsch der Serben nach Beitrittsverhandlungen mit der EU vor allem die Möglichkeit, Druck auf Belgrad zu machen: Nicht nur für ein Arrangement in Sachen Kosovo, auch für mehr Rechtsstaatlichkeit in Serbien selbst. Österreicher und Slowaken wollen hingegen den Serben entgegenkommen, damit der wichtige Balkanstaat nicht wieder in die politische Isolation abdriftet.
Für die unterschiedlichen Positionen gibt es jeweils gute Gründe. Angesichts der Erfahrungen mit dem Beitritt Zyperns haben die meisten EU-Mitglieder panische Angst, sich bei der nächsten Erweiterung noch einmal offene Grenzfragen einzuhandeln. So musste Kroatien sich vor Ende der Verhandlungen mit Slowenien über den Grenzverlauf in der Adria einigen. Und Mazedoniens Weg in die EU ist bis auf weiteres blockiert, weil das Land sich mit Griechenland nicht über seinen Namen einigen kann.
Auch zeigt die Erfahrung, dass Serbien sehr wohl auf Druck der EU reagiert: Die Festnahmen der vom UN-Tribunal gesuchten mutmaßlichen Kriegsverbrecher Ratko Mladic und Goran Hadzic ist aus Sicht der EU nur der Drohung eines Stopps der Annäherung an die EU zu verdanken. Doch ist mit den Auslieferungen der mutmaßlichen Kriegsverbrecher auch der Druck auf die EU gestiegen: Wenn sie weiterhin die "europäische Perspektive" des West-Balkans als Anreiz für Reformen und demokratisches Verhalten nutzen will, muss sie auf Zeichen des guten Willens aus Serbien auch positiv reagieren.
Stillstand bei Verhandlungen
Auf der uneinigen EU lasten große Erwartungen, weil die Union im September 2010 mit einer Resolution des UN-Sicherheitsrates zum Vermittler zwischen Belgrad und Pristina gemacht wurde. Und Serbien hatte nach der serbischen Niederlage in einem Verfahren um die Unabhängigkeit des Kosovos vor dem internationalen Gerichtshof der UN-Resolution zugestimmt, weil es auf Entgegenkommen der EU hoffte. Die Verhandlungen über ein Mit- und Nebeneinander ohne Statusdebatte liegen erst einmal auf Eis.
Serbien wählt 2012 ein neues Parlament. Und Präsident Boris Tadic will spätestens in diesem Herbst den Bürgern greifbare Ergebnisse seines pro-europäischen Kurses vorlegen: unter anderem den offiziellen Kandidatenstatus für den EU-Beitritt. Das setzt nicht nur ihn unter Druck. Auch die EU hofft, dass Tadic weiterhin Serbien in die Union einzubinden versucht. Denn Umfragen zufolge wird der EU-Beitritt in Serbien immer unpopulärer. Ein Diplomat: "Unser Interesse kann nicht sein, dass Serbien sich von Europa abwendet."
Quelle: ntv.de, von Dieter Ebeling, dpa