Erdogan besucht Deutschland "Wer Beitritt fordert, ist ein Narr"
27.10.2012, 12:53 Uhr
Beim Thema Visafreiheit zeigte die EU zuletzt vages Entgegenkommen. Die Beitrittsverhandlungen stocken dagegen.
(Foto: picture alliance / dpa)
Kurz vor dem Besuch des Ministerpräsidenten der Türkei, Erdogan, bringen sich Gegner und Befürworter eines Beitritts des Landes am Bosporus in Stellung. Manch einer reagiert dabei allerdings fast schon resigniert. Die Beitrittsverhandlungen laufen seit 1987.
Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan hat noch nicht einmal deutschen Boden betreten, doch schon positionieren sich die Lager der Gegner und Befürworter eines Beitritts des Türkei zur EU. Kurz vor Erdogans Ankunft in Berlin und einem Treffen mit Kanzlerin Angela Merkel (CDU) am Dienstag warb EU-Erweiterungskommissar Stefan Füle dafür, den Beitrittsverhandlungen mit der Türkei neuen Schwung zu geben. Unions-Innenexperte Hans-Peter Uhl plädierte derweil nicht nur gegen einen Beitritt. Der CSU-Politiker sprach sich auch gegen die visafreie Einreise von Türken in die EU aus.
Türkei wichtig für Außenpolitik und Energiesicherheit

Auftritte des türkischen Ministerpräsidenten in Deutschland waren stets umstritten. Kritiker warfen Erdogan vor, sich bei seinen Reden vor Deutsch-Türken in einem zu großen Maße in deutsche Zuwanderungspolitik eingemischt zu haben.
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Die Entwicklungen etwa in Syrien zeigten "die wichtige Rolle der Türkei für die europäische Außenpolitik und die Energiesicherheit", schreibt Füle in einem Beitrag für die Berliner "tageszeitung". Die EU müsse der Maßstab für den Reformprozess in der Türkei bleiben. "Es ist im Interesse der Türkei und der EU, dass die Beitrittsverhandlungen neuen Schwung bekommen - um die Türkei auf dem Weg zu einem modernen, säkularen Staat zu unterstützen, der sich für Demokratie, europäische Werte und Menschenrechte einsetzt", so Füle.
Türkei ist ein Transitland
Uhl sagte dagegen: "Die EU hat für die nächsten Jahre genug Probleme für sich selbst zu lösen. Wer da die rasche Aufnahme der Türkei fordert, ist ein Narr." Längst würden auch in der Türkei Stimmen lauter, dass die Zukunft des Landes nicht in der EU liege.
Der Innenexperte fügte hinzu: "Die Türkei ist ein Transitland für Drittstaaten." Wenn eine weitgehend unkontrollierte Einreiseerlaubnis gelte, könnten in großer Zahl Menschen aus Drittstaaten nach Deutschland kommen und hier Asyl beantragen. Außerdem bestehe die Gefahr, dass die deutschen Sozialsysteme zu stark in Anspruch genommen würden. Visaerleichterungen - etwa für Geschäftsleute - seien vernünftig, nicht aber komplette Visafreiheit.
Das lange Werben um die Mitgliedschaft
Schon 1987 hatte die Türkei einen Beitrittsantrag bei der EU gestellt, 2005 begannen schließlich die Verhandlungen. Sie befinden sich derzeit aber in einer Sackgasse. Gebremst wird der Prozess durch den Zypern-Konflikt. Außerdem gibt es Kritik an rechtsstaatlichen Mängeln und am Minderheitenschutz in der Türkei.
Beim Thema Visafreiheit hatte die Europäische Union der Türkei zuletzt vage ein Entgegenkommen in Aussicht gestellt, ohne aber einen Zeitplan zu nennen.
Der Grünen-Vorsitzende Cem Özdemir warf Kanzlerin Merkel und Außenminister Guido Westerwelle (FDP) vor, "mit ihrer Verzögerungstaktik zum Stocken der offiziellen Beitrittsverhandlungen beigetragen" zu haben. Die Eurokrise und die Spannungen im Nahen Osten zeigten aber, dass eine demokratische, wirtschaftlich aufstrebende Türkei mit einer europäisch ausgerichteten Außen- und Sicherheitspolitik ein wertvolles Mitglied der EU sein könne.
Kanzlei der türkischen Botschaft wird eröffnet
Offizieller Anlass von Erdogans zweitägigem Besuch ist die Eröffnung des neuen Kanzleigebäudes der türkischen Botschaft. Begleitet wird er unter anderem von Außenminister Ahmet Davutoglu.
Die Beitrittsverhandlungen und die langjährige Forderung der Türkei nach Visafreiheit dürfte dennoch ein bestimmendes Thema sein.
Quelle: ntv.de, dpa