Aktivistin berichtet über ihr Treffen mit Edward Snowden "Wie jung er doch aussieht"
13.07.2013, 15:44 Uhr
(Foto: AP)
Der NSA-Enthüller Snowden bestellt Vertreter von Menschenrechtsorganisationen zum Flughafen Scheremetjewo, um über seine verzwickte Lage zu sprechen. Die Aktivistin Tanya Lokshina ist dabei. Jetzt berichtet sie von einem ungewöhnlichen Tag mit dem "meistgesuchten Mann der Welt".
Tanya Lokshina konnte es nicht glauben, als sie am Donnerstag eine E-Mail von einem gewissen Edward Snowden in ihrem Postfach entdeckte. Der Computerexperte, der das Spähprogramm "Prism" des US-Geheimdienstes NSA enthüllt hat, bat sie um ein Treffen im Moskauer Flughafen Scheremetjewo. Warum sollte "der meistgesuchte Mann der Welt" ausgerechnet an ihr interessiert sein? "Das kann doch nur ein Scherz sein." Lokshina fühlte sich ein wenig, als wäre sie eine Figur in einem Spionage-Thriller aus Zeiten des Kalten Kriegs.
Selbst als die ersten Reporter die Mitarbeiterin der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch anriefen, zweifelte sie noch an der Echtheit des Schreibens. Das änderte sich erst, als ein Mitarbeiter des Sicherheitsdienstes des Flughafens sie anrief und nach der Nummer ihres Personalausweises fragte. "Das war der Moment, in dem es mir klar wurde: Das ist echt."
Snowden, der Mann, den die USA wegen Geheimnisverrats verfolgen und der seit fast drei Wochen ohne gültige Papiere im Transitbereich von Scheremetjewo festsitzt, hat Vertreter von internationalen Menschenrechtsorganisationen, Rechtsanwälte und russische Regierungsvertreter zu sich geladen, um über seine Lage zu sprechen. Neben Transparency und Amnesty International gehörte auch Human Rights Watch dazu und damit die Leiterin des Moskauer Büros, Lokshina. Unter dem Titel "Kein gewöhnlicher Tag in Moskau" veröffentlichte sie auf der Webseite ihrer Organisation nun einen äußerst persönlichen Erfahrungsbericht des Treffens.
Anruf aus der US-Botschaft
Kaum saß Lokshina am Freitagmittag im Expresszug zum Flughafen, klingelte ihr Telefon. Am Apparat war ausgerechnet ein Vertreter der amerikanischen Botschaft in Moskau. Verstehen Sie die Positionen der USA? Wissen Sie, dass die USA ihn nicht für einen Verteidiger der Menschenrechte halten? Man müsse ihn zur Rechenschaft ziehen, weil er Gesetze gebrochen habe. So lauteten laut Lokshina die Fragen. Der Botschaftsvertreter forderte sie auf, diese Argumentation auch Snowden mitzuteilen.
"Die Bitte überraschte mich, aber letztlich entschied ich mich ihr zu folgen", berichtet die Aktivistin. "Er erschien mir nur fair, Snowden von dem Anruf zu erzählen."
Journalisten, Kameras, Mikrofone – der Wahnsinn
Doch zunächst musste Lokshina zu Snowden gelangen. Vom Expresszug ging es in den Flughafen. Die Aktivistin spricht angesichts all der Journalisten, Kameras und Mikrofone vor Ort von "Wahnsinn". "Ich befürchtete, in diesem Rausch zerrissen zu werden."
Am Terminal F. konnte sie die Medien hinter sich lassen. Mit einem Bus ging es zu einem weiteren Eingang. Und dahinter wartete er dann.
"Das erste, was ich dachte, war, wie jung er doch aussieht - wie ein Schulkind." Noch bevor man den Aktivisten das Fotografieren verbieten konnte, knipste Lokshina zwei Schnappschüsse - einige der ersten öffentlichen Belege für Snowdens Aufenthalt in Scheremetjewo.
Die Nachricht des Tages
Snowden verlas ein Statement. Er bat die Aktivisten, die USA und Europa dazu aufzufordern, ihn nicht zu behindern. Kurz darauf lieferte er die Nachricht des Tages: Er bat nun doch um Asyl in Russland.
In Lokshinas Bericht heißt es: "Er sagte, an seinen Lebensumständen im Flughafen gebe es nichts zu kritisieren, er sei bei guter Gesundheit." Er könne aber nicht für immer dort bleiben. Und die einzige Möglichkeit, um in Russland sicher zu sein, sei ein Asylantrag. "Dennoch wolle er nach Südamerika weiterreisen", das hob er laut Lokshina immer wieder hervor. "Russland sei nur eine Zwischenstation." Und damit könne er Recht behalten.
Präsident Wladimir Putin hat Snowden schon Asyl angeboten - allerdings nur unter Auflagen. Er forderte, dass der Whistleblower Amerika nicht mehr schadet, solange er Schutz in Russland erfährt. Der Druck Washingtons wiegt selbst auf dem Kreml schwer. Noch am Freitagabend rief US-Präsident Obama Putin an und stellte klar, was Washington von ihm erwartet. Eine Auslieferung lehnt Putin zwar weiterhin ab. Dass er sich dagegen sperrt, Snowden nach kurzer Zeit als Flüchtling in Russland nach Venezuela weiterreisen zu lassen, ist aber unwahrscheinlich. Er dürfte froh sein, ihn los zu sein.
Lokshina dagegen macht nicht den Eindruck, als hätte sie schon genug von dem Computerexperten. Die Agenten-Thriller-Atmosphäre, der Medienzirkus - für die Menschenrechtsaktivisten war der Tag mit Snowden nicht nur ungewöhnlich, sondern vor allem aufregend. So aufregend sogar, dass sie selbst ihren knurrenden Magen überhörte. Der letzte Satz ihres Textes: "Es ist jetzt Mitternacht - und ich habe noch immer nicht gefrühstückt."
Quelle: ntv.de, ieh