Stand des Atomprogramms Wie nah ist der Iran an "der Bombe"?
09.01.2020, 18:17 Uhr
Spiegelung einer iranischen Sejjil-Rakete. sie hat eine Reichweite von schätzungsweise rund 2000 Kilometern.
(Foto: REUTERS)
Der Iran fühlt sich nicht mehr an den Atom-Deal gebunden. Konstruiert das Regime nun Atomwaffen? Und wie lange würde das dauern?
Es gab viele Spekulationen, wie der Iran auf die Tötung von Ghassem Soleimani reagieren würde. Dass die Regierung in Teheran ihr Atomprogramm wiederaufnehmen könne, war naheliegend. Es lag seit 2015 durch den Atom-Deal (JCPOA) auf Eis. Die USA waren bereits 2018 ausgetreten. Und nun kündigte Teheran am 5. Januar an, dass sich der Iran dem Abkommen nicht mehr verpflichtet fühlen wird. In der Vergangenheit hat das Land mehrfach behauptet, nur an einer zivilen Nutzung von Kernkraft interessiert zu sein. Doch die aktuelle Ankündigung wirft Fragen auf.
Das Regime gab bekannt, sich bezüglich des Atomprogramms nur noch an "technischen Notwendigkeiten" orientieren zu wollen. Sollte der Iran aber, wie er so oft beteuert hat, nur an einer friedlichen Nutzung interessiert sein, wären die "technischen Notwendigkeiten" eigentlich geklärt. Der Atom-Deal legt fest, dass das einzige Kernkraftwerk des Landes von Russland mit Uran versorgt wird. Zudem ist geregelt, dass der Iran Zugang zu höher angereichertem Brennstoff für einen Forschungsreaktor in Teheran bekommt. Aber möglicherweise hat die iranische Regierung ja andere Absichten. Wie weit aber ist das Land von "der Bombe" entfernt? Und wo könnte diese eingesetzt werden?
Der Rückzug aus dem Atom-Deal kommt nicht plötzlich. Schon im Mai kündigte Teheran an, seine Uranvorräte von 300 auf 357 Kilogramm zu erhöhen - ein klarer Verstoß gegen das Abkommen. Im Juli wurde die Urananreicherung auf 4,5 Prozent erhöht. Erlaubt sind 3,67 Prozent. Im September hieß es dann, der Iran setze sämtliche Verpflichtungen in den Bereichen Forschung und Ausbau der Nukleartechnologie aus. Und im November hat das Land nach eigenen Angaben 1044 Zentrifugen wieder in Betrieb genommen, mit denen Uran angereichert wird. Alle diese Schritte stehen im Widerspruch zu den Abmachungen des Atom-Deals. Der Iran nimmt sein Atomprogramm nicht plötzlich wieder auf. Damit hat Teheran längst begonnen.
Was fehlt, um einen Sprengkopf herzustellen?
Der Iran betreibt zwar seit 2011 in Buschher ein Kernkraftwerk. Sprengköpfe für Atomwaffen kann das Land nach offiziellen Angaben derzeit aber nicht herstellen. Dafür fehlt bisher vor allem eine entsprechende Menge hochangereicherten Urans. Der US-Rüstungsexperte Joseph Cirincione sagte dem Magazin "Foreign Policy", dass 1050 Kilogramm auf 20 Prozent angereichertes Uran für den Bau einer Bombe ausreichen würden - theoretisch jedenfalls. Ein damit konstruierter Sprengkörper wäre dann sehr groß und schwer und in der Praxis kaum einsetzbar. Für einen Sprengkopf, der mit einer Rakete ins Ziel gelenkt werden könnte, wären Cirincione zufolge 25 Kilogramm auf 90 Prozent angereichertes Uran notwendig.
Der Weg von einer 4,5-prozentigen zu einer 90-prozentigen Anreicherung ist weit, könnte man denken. Doch dieser Prozess verläuft nicht linear. Die Konzentration von Uran-235 liegt im Erz bei etwa 0,7 Prozent. Der "Guardian" rechnet in einem Artikel vor, dass für den Schritt von 0,7 auf 4 Prozent 5000 Zentrifugen benötigt werden. Danach geht es deutlich schneller. Für den Schritt von vier auf 20 Prozent sind es demnach noch 1500 Zentrifugen, von 20 auf 90 Prozent nur noch einige hundert der Anlagen notwendig. 20.000 Zentrifugen hatte der Iran vor Inkrafttreten des Atom-Deals. Dann wurden 14.000 davon der Kontrolle der Atomenergiebehörde IAEA übergeben. 6000 waren weiter im Betrieb. Im November hat der Iran nun angekündigt, 1044 weitere Zentrifugen wieder in Betrieb zu nehmen.
Experten wie Cirincione gehen davon aus, dass der Iran etwa ein Jahr benötigen würde, um die erforderliche Menge zu produzieren. Ein weiteres halbes Jahr würde demnach die Konstruktion der Bombe in Anspruch nehmen. Die Tatsache, dass die Uran-Vorräte bereits auf 357 Kilogramm erhöht wurden, hat auf diesen Zeitplan demnach keinen signifikanten Einfluss. Schneller könnte es vermutlich gehen, wenn der Iran sich komplett aus dem Atom-Deal verabschiedet. Das scheint aktuell zumindest wahrscheinlicher als je zuvor.
Was fehlt, um eine mögliche Atomwaffe ins Ziel zu bringen?
Dass der Iran funktionierende ballistische Raketen besitzt, hat er beim Angriff auf amerikanische Militärbasen im Irak in der Nacht zum 8. Januar bewiesen. Allein auf der von der Anti-IS-Koalition genutzten Luftwaffenbasis Ain al-Assad sollen mehr als ein Dutzend Geschosse eingeschlagen sein. Die Präzision war gering, mehrere Raketen sind weitab der US-Einrichtungen eingeschlagen. Die Frage ist aber, ob sie absichtlich fehlgelenkt wurden. Manche Beobachter spekulieren, dass Teheran nur einen symbolischen Angriff wollte, um innenpolitisch ein Signal der Stärke zu senden. Dieser sollte aber keinen zu großen Schaden verursachen, der einen Krieg mit den USA auslösen könnte. Dazu passt die iranische Propaganda: Demnach seien bei dem Angriff 80 US-Soldaten getötet worden, wohingegen es nach US-Angaben nicht einmal Verletzte gab.
Aber können iranische Raketen auch einen nuklearen Sprengkopf ins Ziel befördern? Der Angriff auf eine Raffinerie in Saudi-Arabien im September vergangenen Jahres legt zumindest den Verdacht nahe, dass die Technologie zu deutlich mehr Präzision in der Lage ist. Damals schlugen mehrere Geschosse in der Anlage ein, die die saudi-arabische Luftabwehr nicht stoppen konnte. Nach Angaben aus Riad verfehlten nur zwei von 19 Drohnen beziehungsweise Marschflugkörpern ihr Ziel. Zu dem Angriff bekannte sich die Huthi-Miliz im Jemen, die der Iran militärisch unterstützt und ihnen möglicherweise die Raketen geliefert hat. Die USA verdächtigen jedoch den Iran selbst.
Die "Washington Post" zitierte einen namentlich ungenannten Vertreter aus dem US-Verteidigungsministerium, der sagte, seine Behörde beobachte "eine beständige Erhöhung der Genauigkeit iranischer Raketen". Insbesondere die Geschosse vom Typ Qiam und Fateh, die auch beim Angriff auf US-Basen im Irak zum Einsatz kamen, seien erheblich verbessert worden. In dem Blatt kommt in dem Zusammenhang auch Ex-US-General Joseph Votel zu Wort, der sagte, es sei "beunruhigend, wie schnell die Iraner lernen". Der ehemalige Kommandeur des Central Command, zuständig für den Nahen Osten sagte weiter: "Ihre Lernkurve ist deutlich steiler als unsere."
Zumindest mit der Qiam-Rakete können der US-Denkfabrik Center for Strategic and International Studies (CSIS) zufolge auch Atomsprengköpfe transportiert werden. Mehrere US-Einrichtungen, etwa im Irak, den Vereinigten Arabischen Emiraten oder Kuwait liegen innerhalb der Reichweite von maximal 800 Kilometern - ebenso die Hauptstadt von Erzfeind Saudi-Arabien. Möglicherweise kann die Rakete aber auch weiter fliegen. Die "New York Times" berichtete nach dem Angriff auf US-Basen vorgestern unter Berufung auf Militärkreise, die iranischen Raketen seien "mehr als 600 Meilen" geflogen, was mindestens 965 Kilometern entspricht. Sollte die Rakete dazu in der Lage sein, wäre auch israelisches Territorium in Reichweite.
CSIS zufolge verfügt der Iran aber auch über Raketen, die deutlich weiter fliegen können. Möglicherweise wurde auch deren Einsatzfähigkeit bereits im vergangenen Jahr unter realen Bedingungen getestet. Denn nach wie vor ist unklar, welche Art von Marschflugkörpern bei dem Angriff auf die saudische Raffinerie im September zum Einsatz kamen. Zwei Modelle kommen in Frage: der Quds-1-Marschflugkörper der Huthi-Rebellen oder die iranische Soumar. Letztere ist CSIS zufolge in der Lage, Atomsprengköpfe zu tragen, und hat eine Reichweite von bis zu 3000 Kilometern - also bis tief nach Asien, Afrika und Europa.
Quelle: ntv.de