Konto von Assange geschlossen Wikileaks veröffentlicht Terrorliste
06.12.2010, 18:34 Uhr
Auch auf Sylt wird die nationale Sicherheit der USA verteidigt.
(Foto: picture alliance / dpa)
Wikileaks veröffentlicht eine US-Liste, auf der Objekte vermerkt sind, die wichtig für die Sicherheit der USA sind. Auch Unternehmen und Orte in Deutschland gehören dazu. Wikileaks-Gründer Assange kündigt zudem Enthüllungen über Russland an. Derweil schließt eine Schweizer Bank sein Konto. Auch seine Verhaftung scheint bevor zu stehen.
Dänischer Insulin-Hersteller und deutsche Waffenmechanik: Wikileaks hat eine Liste mit Objekten weltweit ins Netz gestellt, die als wichtig für die nationale Sicherheit der USA erachtet werden. Von einer Aufzählung potenzieller "Terrorziele" sprach die britische Zeitung "The Times". Die umfangreiche Liste wurde auf der umstrittenen Enthüllungsplattform veröffentlicht. Laut einem britischen Medienbericht steht zudem di Verhaftung von Wikileaks-Gründer Julian Assange bevor.
In der Diplomaten-Depesche werden neben hunderten Pipelines und wichtigen Datenkabeln auf der ganzen Welt auch Firmen genannt, deren Produkte wichtig für die nationale Sicherheit der USA seien. Darunter sind auch mehr als ein Dutzend deutsche Unternehmen. Washington verurteilte die Veröffentlichung als "unverantwortlich".
BASF, Siemens, Junghans

Die Lübecker Drägerwerk AG (oben) und Siemens gelten offenbar als wichtig für die Sicherheit der USA.
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Laut dem veröffentlichten Dokument ist beispielsweise das BASF-Stammwerk in Ludwigshafen als "weltgrößter zusammenhängender Chemie-Komplex" von Bedeutung für die nationale Sicherheit der USA. Ferner werden Firmen wie Siemens als wichtiger Hersteller von Transformatoren und Turbinen zur Stromgewinnung aus Wasserkraft, die Lübecker Drägerwerk AG (Gasmesstechnik), Junghans Feinwerktechnik im baden-württembergischen Schramberg ("entscheidend bei der Herstellung von Minenwerfern") sowie diverse pharmazeutische Unternehmen in Deutschland genannt.
Auf der Liste stehen auch das ostfriesische Norden und die Nordseeinsel Sylt als Anlandepunkte für die transatlantischen Unterseekabel TAT-14 und AC-1 zur Datenübertragung zwischen Europa und den USA sowie die russische Ölpipeline "Freundschaft" nach Schwedt an der Oder.
Unternehmen sehen keinen Handlungsbedarf
Eine BASF-Sprecherin sagte auf Anfrage: "Es gibt keine Notwendigkeit, die Sicherheitsmaßnahmen in Ludwigshafen zu verändern." Das Unternehmen stehe mit den Behörden in Kontakt, sollten neue Erkenntnisse vorliegen. Ein Siemens-Sprecher lehnte einen Kommentar zu der Veröffentlichung ab. Über Sicherheitsaspekte werde grundsätzlich nicht in der Öffentlichkeit diskutiert. Ein Sprecher von Drägerwerk erklärte, man nehme die Hinweise sehr ernst und sei mit allen wichtigen Behörden in Verbindung. "Zurzeit sehen wir uns nicht veranlasst, unsere grundsätzlich sehr umfangreichen Sicherheitsstandards zu erhöhen."
Die US-Regierung verurteilte auch diese Wikileaks-Veröffentlichung scharf. "Julian Assange mag die Vereinigten Staaten zum Ziel haben, er bringt aber die Interessen vieler Länder und Regionen in Gefahr. Das ist unverantwortlich", sagte Außenamtssprecher Philip Crowley der "Times". Es gebe wichtige Gründe dafür, dass bestimmte Informationen vertraulich behandelt würden. "Dazu zählen auch wichtige Infrastruktur- und Schlüsselressourcen, die für die nationale und wirtschaftliche Sicherheit eines Landes lebenswichtig sind."
"Informationen, an denen Terroristen interessiert sind"
Auch die britische Regierung kritisierte die Veröffentlichung als Gefährdung der genannten Länder. "Wir verurteilen die Herausgabe dieser geheimen Dokumente uneingeschränkt", sagte ein Sprecher in London. "Die Enthüllungen und ihre Veröffentlichung schaden der nationalen Sicherheit in den USA, Großbritannien und anderswo. Es ist unerlässlich für Regierungen, dass sie auf der Basis geheimer Informationen arbeiten können." Der frühere britische Außenminister Malcolm Rifkind sagte der Londoner "Times", die Enthüllungsseite sei allgemein unverantwortlich und an der Grenze zur Strafbarkeit. "Das sind die Informationen, an denen Terroristen interessiert sind." Zu den britischen Objekten auf der Liste gehören unter anderem wichtige Kabelverbindungen, Satelliten-Anlagen und Fabriken.
Nach Ansicht des britischen Senders BBC wird durch das Dokument erstmals deutlich, wie weitgehend die US-Regierung die Bedeutung ausländischer Objekte und Einrichtungen für die eigene Sicherheit interpretiert. Die US-Vertretungen in aller Welt seien im Februar vergangenen Jahres von Washington aufgefordert worden, Objekte aufzulisten, deren Verlust Einschränkungen für das Gesundheitswesen, die Wirtschaft und die nationale Sicherheit der USA zur Folge hätten. Einrichtungen wie Kasernen oder diplomatische Vertretungen sind in der Liste nicht aufgeführt.
Enthüllungen über Russland angekündigt
Assange kündigte zudem Enthüllungen über Russland an. Im Interview mit einem russischen Sender sagte er, die Devise von Wikileaks "ist die völlig freie Meinungsäußerung". Dies sei ein Test für die Staaten. "Viele haben es leider nicht geschafft, auch mein Geburtsland Australien nicht." In Europa könne er sich "ebenfalls nicht sicher fühlen", sagte Assange, hier müsse er "stets auf der Hut" sein. Es gebe aber noch viele Orte, an denen er sich sicher fühle.

Julian Assange kämpft derzeit vor allem gegen die USA. Sein Ziel ist "die völlig freie Meinungsäußerung".
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Medienberichten zufolge sind bei der britischen Polizei nun alle Dokumente eingegangen, die für eine Festnahme von Assange nötig sind. Scotland Yard habe alle Papiere zusammen und werde Assange womöglich in den kommenden 24 Stunden festnehmen, falls sein genauer Aufenthaltsort bekannt sein sollte, zitierte der britische Sender BBC nicht näher genannte Quellen. In diesem Fall würde Assange einem britischen Gericht vorgeführt, das über seine Auslieferung nach Schweden entscheiden könnte. Assange wird wegen Vergewaltigungsvorwürfen von der schwedischen Justiz gesucht. Der 39-Jährige soll sich in Südostengland aufhalten.
Konto von Assange geschlossen
Der Finanzdienstleister der Schweizer Post, PostFinance, hat derweil das Konto von Assange, über das bislang Spenden für die Enthüllungsplattform im Internet liefen, geschlossen. Grund sei, dass der Australier bei der Kontoeröffnung falsche Angaben zu seinem Wohnort gemacht habe, teilte das Unternehmen mit. Als seinen Wohnort habe Assange Genf angegeben, was sich bei einer Überprüfung der Daten aber als unwahr herausgestellt habe, hieß es weiter. PostFinance beende deshalb die Geschäftsbeziehung und habe das Konto geschlossen.
Man werde nun versuchen, mit Assange Kontakt aufzunehmen, um zu erfahren, auf welches Konto das Geld überwiesen werden könne, sagte ein PostFinance-Sprecher. Könne das Geld nicht transferiert werden, werde es auf ein Sperrkonto überwiesen, "bis jemand kommt, der darauf einen rechtlichen Anspruch hat". Am Wochenende hatte der Internet-Bezahldienst PayPal sein Wikileaks-Konto wegen angeblicher "Verletzung der Nutzungsbedingungen" gesperrt. Beobachter gehen davon aus, dass die Tochtergesellschaft des Internet-Auktionshauses eBay seine Geschäftsbeziehung zu Wikileaks auf Druck der USA hin beendet hat.
SPD-Fraktionschef und Ex-Außenminister Frank-Walter Steinmeier kritisierte sowohl Wikilieaks als auch die Debatte über die Enthüllungen. Die Diskussion über die Veröffentlichung zehntausender US-Botschaftsdepeschen befasse sich "nicht mit dem Hauptgegenstand". Anders als die Diskussionen nahelegten, sei es nicht entscheidend, "ob der ein oder andere Politiker da angemessen bewertet wird". Entscheidend sei vielmehr, dass "die Gründer von Wikileaks und diejenigen, die sich da um Transparenz angeblich bemühen, nicht wissen, was sie anrichten in schwierigen Krisen- und Konfliktregionen".
Quelle: ntv.de, dpa/rts/AFP