Moskau, Milizen und Sanktionen Wirtschaft warnt vor "riskantem Spiel"
08.03.2014, 12:34 Uhr
Bewaffnete Männer patrouillieren in den Straßen von Sewastopol.
(Foto: Reuters)
In der Krim-Krise stellt sich wieder einmal die Frage: Bringen Sanktionen etwas oder schaden sie mehr der eigenen Wirtschaft? Die deutsche Wirtschaft fürchtet im schlimmsten Fall Enteignungen. CDU-Politiker denken indes auch über eine Neuvergabe der Fußball-WM nach.
Die EU-Sanktionen gegen Russland im Konflikt mit der Ukraine stoßen in Deutschland auf heftige Kritik. "Wladimir Putin ist äußerst machtbewusst, der lässt sich mit Sanktionen nicht an den Verhandlungstisch zwingen", sagte der deutsche Präsident des EU-Parlaments, Martin Schulz, der "Wirtschaftswoche" zur Wirkung solcher Maßnahmen auf den russischen Präsidenten.
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Auch der Vorsitzende des Ostausschusses der deutschen Wirtschaft, Eckhard Cordes, riet im "Focus" von wirtschaftlichen Sanktionen ab: "Die Verflechtungen zwischen der EU und Russland sind so groß, dass beiden Seiten schwere Schäden drohen."
"Wirtschaftssanktionen sind ein riskantes Spiel, bei dem auch Deutschland viel zu verlieren hat", sagte der Außenhandelschef beim Deutschen Industrie- und Handelskammertag (DIHK), Volker Treier, dem "Focus". "Im schlimmsten Fall könnte es zu Enteignungen deutscher Firmen in Russland kommen."
Der Direktor des Institutes der deutschen Wirtschaft, Michael Hüther, sagte dem "Kölner Stadt-Anzeiger": "Sanktionen sind selten ein überzeugendes Instrument der Auseinandersetzung." Hüther betonte, Russland sei mindestens so angewiesen auf Geldflüsse von den westlichen Nachbarn wie diese auf russisches Gas. Wirkung könnten Sanktionen daher schon entfalten - jedoch mit dem Nachteil negativer Auswirkungen auf beiden Seiten.
Oettinger: Moskau kappt Gaslieferung nicht
EU-Energiekommissar Günther Oettinger warnte ebenfalls in der "Wirtschaftswoche" davor, dass "die zarte Erholung der europäischen Wirtschaft beeinträchtigt wird". Zugleich erwartet er keine Kappung der russischen Gaslieferung nach Europa. "Ich gehe nicht davon aus, dass die Russen ein Interesse daran haben", sagte der CDU-Politiker. "Gazprom ist an täglichen Verkaufsverlösen interessiert", sagte er mit Blick auf den staatlich kontrollierten Monopol-Konzern. Russland brauche nicht nur die Erlöse, sondern auch Investitionen aus der EU.
Die EU hatte am Donnerstag erstmals seit Ende des Kalten Krieges einen mehrstufigen Sanktionsplan gegen Moskau beschlossen. Sollte sich die Krim an Russland anschließen, will Brüssel Wirtschaftssanktionen gegen Russland verhängen.
Diskussion über neue Vergabe der Fußball-WM
In der Debatte über Sanktionen gegen Russland sollte nach Ansicht des CDU-Abgeordneten Michael Fuchs auch über die Vergabe der Fußballweltmeisterschaft 2018 an das Land neu nachgedacht werden. "Ob es vor dem Hintergrund der aktuellen Ereignisse wirklich angemessen ist, in vier Jahren eine Fußballweltmeisterschaft in Russland auszurichten, das kann man durchaus in Frage stellen", sagte der Vize-Vorsitzende der Unionsfraktion der "Frankfurter Allgemeine Zeitung".
Solche "weichen Sanktionen" müssten allerdings Teil eines breiter angelegten Vorgehens sein. Dazu gehöre, die Abhängigkeit von Öl- und Gaslieferungen aus Russland zu überdenken. "Ich halte es für angebracht, das sich die deutsche Wirtschaft mehr um alternative Bezugsquellen für Gas- und Öl kümmert", sagte Fuchs der Zeitung. Damit würden Deutschland und Europa weniger erpressbar.
Politiker von SPD und Linken kritisierten die Äußerungen Fuchs'. "Im Augenblick der besorgniserregenden Krise um die Ukraine und die Krim ist die Stunde der besonnenen Diplomatie und der abwägenden Vernunft", sagte der SPD-Bundesvize Ralf Stegner dem"Handelsblatt". Die Eskalation der "verbalradikalen Interviews und Sanktionsforderungen" nutze niemandem und beeindrucke sicher auch weder die Machthaber in Moskau noch die in Kiew.
Der Vorsitzende der Linkspartei, Bernd Riexinger, sagte ebenfalls dem "Handelsblatt", Boykott sei Unfug. "Die Logik der Eskalation führt unweigerlich in Konfrontation." Fußball dagegen baue Brücken.
Peking unterstützt Moskau
Während der Westen noch über Sanktionen debattiert, gibt China Russland politische Schützenhilfe. Außenminister Wang Yi rief alle Seiten zur Mäßigung auf. "Es ist bedauerlich, dass es zu der heutigen Situation in der Ukraine gekommen ist, doch ist es kein Zufall, dass dieser Punkt erreicht wurde", sagte der Außenminister. Die Krise sei "kompliziert". "Vorrang hat jetzt, dass Gelassenheit und Zurückhaltung geübt und verhindert wird, dass die Situation weiter eskaliert."
Wang Yi beschrieb die Beziehungen zwischen China und Russland als "in der besten Phase ihrer Geschichte". Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping und Russlands Präsident Wladimir Putin hätten eine "tiefe Freundschaft" entwickelt. Am Vortag hatte das Außenministerium auf Fragen nach den Sanktionsdrohungen der USA und der EU schon Chinas grundsätzliche Ablehnung solcher Strafmaßnahmen in internationalen Beziehungen bekräftigt.
Lawrow wehrt sich
Der russische Außenminister Sergej Lawrow forderte den Westen zu einem "Dialog ohne Beschuldigungen" auf. "Wir sind zu partnerschaftlichen Gesprächen bereit - allerdings akzeptieren wir Versuche nicht, uns als einen Beteiligten des Konflikts in der Ukraine hinzustellen", sagte er. Lawrow warf der neuen Führung in Kiew erneut vor, mit dem Umsturz nicht legitim an die Macht gelangt zu sein. Direkte bilaterale Gespräche mit dem Nachbarland seien schwierig, da die ukrainische Regierung von radikalen Nationalisten beeinflusst werde, kritisierte Lawrow.
Nach ukrainischen Angaben kam es indes auf der Krim erneut zu einem Zwischenfall mit russischen Soldaten. Ukrainische Grenzschützer seien aus einem Außenposten im Osten der Halbinsel vertrieben worden, teilten die Grenztruppen in Kiew mit. Sie hätten samt Familien ihre Wohnungen mitten in der Nacht verlassen müssen. Die Russen seien dabei rabiat vorgegangen und hätten einen Offizier geschlagen sowie ein Waffenlager konfisziert.
Die Lage auf der Krim ist seit Tagen gespannt. Nach dem Umsturz in Kiew übernahm Russland faktisch die Kontrolle über die Halbinsel, die Stützpunkt der russische Schwarzmeerflotte ist. Russische Sicherheitskräfte in Uniformen ohne Abzeichen haben die Kasernen des ukrainischen Militärs auf der Halbinsel umstellt. Die Regionalregierung will sich Russland anschließen und hat die ukrainischen Soldaten aufgefordert, ihre Stützpunkte den Russen zu übergeben.
Quelle: ntv.de, ghö/dpa/AFP/rts