US-Regierung schreibt Wikileaks Woche der Peinlichkeiten droht
28.11.2010, 14:45 Uhr
Das ohnehin leicht unterkühlte Verhältnis zwischen Kanzlerin Merkel und Präsident Obama könnte durch die Wikileaks-Veröffentlichung noch etwas strapaziert werden.
(Foto: REUTERS)
Diese Wikileaks-Veröffentlichung wird sehr unangenehm für die USA. Zehntausende Mitteilungen von US-Botschaften aus aller Welt an das Außenministerium in Washington will die Enthüllungsplattform in Kürze veröffentlichen - scheibchenweise, die ganze Woche lang.
Das US-Außenministerium hat mit einem Brief an Wikileaks-Gründer Julian Assange die erwartete Massen-Veröffentlichung von Regierungsdokumenten zu verhindern versucht. Die geplante Offenlegung der vertraulichen und zum Teil als geheim eingestuften Berichte amerikanischer Botschaften "gefährdet das Leben zahlloser Personen", heißt es in einem Schreiben des Rechtsberaters des Ministeriums, Harold Hongju Koh.
Eine Veröffentlichung setzte Journalisten, Menschenrechtsaktivisten, Blogger, Soldaten und Informanten Risiken aus, schreibt Koh. Auf dem Spiel stünden außerdem laufende Operationen im Kampf gegen den Terror, Menschen- und Waffenschmuggel. Auch die Kooperation von Staaten werde gefährdet.
Die USA lehnten alle Verhandlungen über die Offenlegung weiterer Dokumente ab, heißt es weiter. Sollte Wikileaks tatsächlich daran interessiert sein, Schaden zu vermeiden, müssten die Veröffentlichungen unterbleiben und die Akten zurückgegeben werden.
Die US-Regierung hatte bereits bei früheren Veröffentlichungen zu den Kriegen in Afghanistan und im Irak erklärt, die Enthüllungs-Website gefährde Leben. Dass sie aber einen Brief an Assange an die Medien weitergibt, ist ungewöhnlich. Das Schreiben ist an eine Anwältin des Wikileaks-Gründers adressiert.
Nach US-Angaben hatte Assange sich am Freitag an das Außenministerium in Washington gewandt, um Informationen darüber zu erhalten, wer durch die Wikileaks-Enthüllungen gefährdet sein könnte. Koh verurteilte die angekündigte Veröffentlichung der Geheimdokumente scharf und warnte vor "schwerwiegenden Folgen". Damit dürfte er vor allem den Ruf der USA im Ausland gemeint haben.
Eine Woche der Enthüllungen
Nach Informationen des britischen "Sunday Telegraph" steht der amerikanischen Diplomatie eine ganze Woche der Enthüllungen durch Wikileaks bevor. Die Berichte der US-Botschaften würden ab Sonntagnacht nach thematischen Schwerpunkten geordnet veröffentlicht, berichtete die Zeitung unter Berufung auf britische Regierungskreise. Die Dokumente sollen aus der Zeit zwischen Januar 2009 und Juni 2010 stammen - den ersten eineinhalb Jahren der Amtszeit von US-Präsident Barack Obama.
Wikileaks hatte am Montag angekündigt, bis zu drei Millionen diplomatische Geheimberichte ins Netz zu stellen. Seit vergangener Woche bereiten US-Diplomaten deshalb verbündete Regierungen rund um die Welt auf potenziell heikle oder peinliche Inhalte der Berichte vor. Frühere Wikileaks-Enthüllungen waren zuvor an den "Spiegel", die "New York Times" und den britischen "Guardian" gegeben worden.
"Auch Psychogramme einzelner Politiker"
Dem Blog Netzpolitik.org zufolge war ein "Spiegel"-Artikel bereits am Samstag kurz online verfügbar. (Einen mutmaßlichen Screenshot gibt es hier.) Darin heißt es, die Dokumente bestünden aus "insgesamt 251.287 sogenannten diplomatischen Kabeln, die US-Botschaften, -Konsulate und -Vertretungen aus aller Welt an das US-Außenministerium in Washington geschickt haben", sowie aus "mehr als 8000 Direktiven des US-Außenministeriums an die diplomatischen Vertretungen in aller Welt".
Neben den drei genannten Medien seien dieses Mal auch die französische Zeitung "Le Monde" und die spanische Zeitung "El País" an der Veröffentlichung beteiligt. Angeblich enthalten die Berichte "Einschätzungen der politischen Lage im jeweiligen Land, Gesprächsprotokolle, Hintergründe zu Personalentscheidungen und Ereignissen - oder auch Psychogramme einzelner Politiker".
Vieles sei in dem Glauben verfasst und übermittelt worden, dass die Telegramme 25 Jahre lang unter Verschluss bleiben würden. Die verwendete Sprache sei oft sehr direkt, auch Klatsch und Berichte vom Hörensagen würden an das Hauptquartier gemeldet. Oft seien auch Namen von Informanten erwähnt, weshalb der "Spiegel" die Dokumente nicht in der vollen Bandbreite zugänglich machen wolle.
"Es wird zumindest unangenehm sein"

Ein Sicherheitsbeamter vor der US-Botschaft in Berlin. Der Botschafter sagt, es werde "unangenehm".
(Foto: picture alliance / dpa)
Die Auswirkungen der Veröffentlichung lassen sich nach Ansicht des US-Botschafters in Deutschland, Philip Murphy, nur schwer absehen. "Es wird zumindest unangenehm sein - für meine Regierung, für diejenigen, die in unseren Berichten erwähnt werden, und für mich persönlich als amerikanischer Botschafter in Deutschland", sagte er der "Bild am Sonntag".
"Wir sprechen offen mit Kontakten, versuchen zu verstehen, was in unserem Gastland geschieht und berichten nach Hause, was wir hören und manchmal auch, was wir denken", beschreibt Murphy den Inhalt solcher Dossiers. Gefahr für das deutsch-amerikanische Verhältnis sieht er durch die Veröffentlichung nicht. "Ich bin sicher, dass die Freundschaft zwischen den Vereinigten Staaten und Deutschland diese Herausforderung überleben wird."
Vor allem in Finnland wird es peinlich
Weltweit spekulieren Medien über die möglichen Konsequenzen der peinlichen Veröffentlichung. Nach Informationen der russischen Zeitung "Kommersant" enthalten die Telegramme der US-Botschaft in "wenig schmeichelhafte Aussagen" über russische Führungspersönlichkeiten. Auch die Regierungen der Türkei und Italiens fürchten teils beschämende, teils explosive Enthüllungen.
Nach Angaben des finnischen Außenministeriums geht die US-Botschaft in Helsinki gar davon aus, dass die Veröffentlichung ihrer Dokumente "am schwerwiegendsten" sein werde.
Cameron bittet um Selbstzensur
Großbritannien befürchte, dass die engen Beziehungen des Landes zur USA etwa durch despektierliche Äußerungen über einstige britische Premiers beschädigt werden könnte, schreibt die dortige "Times". Regierungschef David Cameron habe die Chefredakteure der britischen Zeitungen mit einer sogenannten Defence Advisory (DA, Verteidigungswarnung) formal gebeten, die Regierung über geplante Veröffentlichungen zu dem Wikleaks-Material zu informieren - zum Schutz der Militäroperationen des Landes.
Die israelische Zeitung "Haaretz" zitierte einen hohen israelischen Regierungsvertreter mit der Aussage, die USA hätten Israel über drohende Unannehmlichkeiten im Zuge der Herausgabe gewarnt. Es gehe um Dokumente der US-Botschaft in Tel Aviv.
Quelle: ntv.de, hvo/ghö/dpa/AFP