Künast kapituliert in Berlin Wowereit auf Kuschel-Tour
15.09.2011, 12:54 Uhr
Auf Kuschelkurs: Wowereit geht im Wahlkampf auf Tuchfühlung.
(Foto: REUTERS)
Die Grünen stürzen ab in Berlin: Renate Künast mit ihrem "Da müssen wir ran"-Wahlkampf scheitert am Wohlfühl-Wowereit. Sie zieht im Wahlkampfendspurt die Notbremse und erklärt ihre Kapitulation. Am Ende scheint Wowereit Berlin doch besser zu verstehen.
Heute ist der Wedding dran. Ziemlich pünktlich um kurz nach drei rauscht die Limousine mitsamt Begleitfahrzeug heran und Klaus Wowereit entsteigt dem dunklen Wagen. Leicht gebräunt, frisch frisiert und von einem Tross aus Medien und Mitarbeitern umschwärmt, betritt der Berliner Bürgermeister den grauen Asphalt dieser Berliner Durchschnittsstraße: ein paar Bäume, keine hippen Straßencafés, ein hoher Anteil an Zuwanderern, keine Touristen, dafür bezahlbarer Wohnraum, den sich auch Menschen mit kleinem Geldbeutel noch leisten können. Der Wedding war mal ein Westberliner Arbeiterbezirk, SPD-Kernland. Einfache Leute wohnen hier immer noch, aber auch viele sozial Schwächere, und etwa 70 Prozent der Menschen haben einen Migrationshintergrund.
Der Wedding soll sozialdemokratisches Kernland bleiben, deshalb sitzt Wowereit jetzt im Jugendtreff "Time Out". Mit ihm am Tisch gut ein Dutzend Jugendlicher, die aus dem Multikulti-Traum eines Integrationspolitikers zu kommen scheinen: Katrina, Yildiz, Ahmed und die anderen organisieren Hausaufgabenhilfen, Sportkurse und Museumsbesuche für Kinder im Kiez. Das ist leicht zu verstehen, Wowereit schlüpft in die Rolle des besorgten Landesvaters, fragt, an welchen Stellen es hakt und umschifft mit einem Witz noch schnell die Untiefen der Integrationsdebatte. "Dafür braucht man kein Buch", frotzelt der Bürgermeister und dann ist die Zeit auch um und es geht wieder raus – Rosen verteilen im Wedding. Vorher unterschreibt er noch ein paar Autogrammkarten und macht ein Foto mit den Jugendlichen.
Draußen wird Wowereit schon erwartet. "Keine Rosen ohne Dornen – Schokoladen bleibt" haben eine Handvoll Demonstranten auf ein Transparent geschrieben. Der Schokoladen ist ein alternatives Kulturprojekt, das von der Schließung bedroht ist. "Uns läuft die Zeit davon", sagt eine Demonstrantin. "Das wäre echt schade", sagt Wowereit, er wolle helfen. Und dann noch, halb im Weggehen, "toi, toi, toi". Die Demonstranten lächeln und bedanken sich.
Künast verliert Stimmen
Es ist Endspurt im Berliner Wahlkampf, am Sonntag wählt die Hauptstadt einen neuen Bürgermeister, der allen Umfragen zufolge der alte sein wird. Seit über zehn Jahren regiert Wowereit Berlin, und noch vor einem Jahr sah es so aus, als habe seine Zeit im Roten Rathaus bald ein Ende. Der Regierende wirkte ein wenig amtsmüde, lustlos und uninspiriert, die ohnehin starken Berliner Grünen waren im Umfragen-Höhenrausch, es roch nach Machtwechsel an der Spree. Am 5. November verkündete Grünen-Fraktionschefin Renate Künast ihre Spitzenkandidatur für Berlin. Seitdem ist Wowereit aufgewacht und für die Grünen ging es wieder bergab.
Das ist schwer zu verstehen, vor allem für die Grünen, gilt die Hauptstadt doch als Hort ihrer Klientel, ob grün-bürgerlich in Prenzlauer Berg oder links-alternativ in Kreuzberg und Friedrichshain. Bei 30 Prozent lag die Partei immer mal wieder in den Umfragen, doch seit Juni rutschen die Grünen immer tiefer. Nun droht gar der dritte Platz hinter der CDU und bei der Suche nach Gründen für diesen Absturz landet man immer wieder bei der Spitzenkandidatin. "Renate kämpft", "Renate sorgt", "Renate arbeitet", steht auf ihren Plakaten. Und "Da müssen wir ran". Doch Berlin will sie nicht ranlassen.
Grüne Machtoption verschwindet
Es sind zwei Kulturen, die da aufeinanderprallen, mit Wowereit und seiner Herausforderin. Künast möchte die Stadt verändern, erklärt den Berlinern ausdauernd, wie es besser werden soll. Die Grüne ist offensiv, manchmal anstrengend, spricht über Zumutungen, lässt auch bei Kleinigkeiten nicht locker und sagt, was alles schlecht läuft. Wowereit sagt, was alles gut läuft, lässt Kleinigkeiten rechts und links liegen, und setzt auf ein recht schwammiges, aber irgendwie wohliges "arm, aber sexy"-Hauptstadt-Gefühl. "Berlin verstehen" lautet das Wahlkampfmotto der SPD. Das ist inhaltsleerer Emo-Wahlkampf. Aber offenbar treffen Kampagne und Wowereit damit den Nerv der Berliner. Der Berliner meckert zwar gern. Doch ändern will er in der Regel nicht viel. Künast nervt da eher.
Und dann verhagelte ihr noch die Sache mit der CDU den Wahlkampf. In Berlin ist klar: Reicht es für die Grünen nicht zum ersten Platz, führt nur Grün-Schwarz Künast ins Rote Rathaus. Doch je deutlicher mit den sinkenden Umfragewerten Grün-Schwarz die einzige Machtoption blieb, desto größer wurde der Unmut im linken Flügel der Partei. Einige Grüne riefen bereits zur Unterstützung der Piraten auf, um ein grün-schwarzes Bündnis zu verhindern. Da zog Künast im letzten TV-Duell mit Wowereit die Notbremse und schloss eine Koalition mit der CDU endgültig aus. Die Grünen-Spitzenkandidatin erklärte ihre Kapitulation. Künast glaubt nun selbst nicht mehr an den Sieg.
In Berlin stehen bereits alle Zeichen auf Rot-Grün. Zwar hält sich die SPD offiziell alle Optionen offen. Doch mit dem bisherigen Koalitionspartner der Linken dürfte es nicht mehr reichen. Bleibt noch die CDU, die aber auch bei den Genossen nicht besonders geliebt wird. Angeblich teilen SPD und Grüne hinter den Kulissen bereits die Senatsposten auf.
So ist das Feld endgültig frei für Wowereit und seinen Wohlfühl-Wahlkampf. Beim Blumenverteilen im Wedding läuft er zur Spitzenform auf. "Ein Röschen?", fragt er jede Frau, die an ihm vorüberläuft. Beim Spaziergang durch die Berliner Straßen wird er gefilmt und fotografiert, die Menschen lächeln, wenn sie ihn sehen, und wenn er sie anspricht, lächeln sie noch viel breiter. Wowereit läuft und läuft und verteilt munter Rosen und Sprüche unters Volk.
"Es ändert sich ja nüscht"
Die letzte Station im Kiez ist das Gesundbrunnen-Center. Die SPD hat eine Bühne in dem Einkaufszentrum aufgebaut, das sich im Inneren nicht von anderen Einkaufshäusern unterscheiden lässt. Wowereit steht mit Berliner SPD-Größen auf einem Podium, rundherum haben sich einige Dutzend Zuhörer versammelt. Wowereit spricht über zu hohe Mieten, Schulen, Ausbildung und das Programm "Soziale Stadt". Über die sozialen Konflikte und Spannungen, die Berlin beherrschen, spricht er nicht. Da tun die Zuschauer abseits der Bühne.
"So isser ja sympathisch, aber es ändert sich ja nüscht", sagt eine 65-jährige Frau. Wählen gehen wird sie, aber nicht den Bürgermeister. Wowereit sei nicht schlecht, aber sie habe kein Vertrauen in ihn, auch nicht in Künast. "Es gibt zu viele Ausländer in der Badstraße", sagt sie. Sie wünsche sich mehr deutsche Geschäfte. Dem stimmt ein 78-Jähriger zu, der seit 30 Jahren im Wedding lebt. Er zeigt zwar viel Verständnis für Wowereit und das wenige Geld und die "vielen Interessengemeinschaften", die etwas von ihm wollen. Am wichtigsten ist dem Mann aber die Sicherheit auf der Straße und dass man "Ausländer bisschen mehr reglementiert" und ihren Zuzug eindämmt. Seine Sympathien hat Wowereit trotzdem. "Er macht bis jetzt ja ganz gute Arbeit."
Doch von Sympathien hat die SPD noch lange keine Wählerstimmen. Und nach Künasts Bankrotterklärung bekommen die Berliner Genossen ein bisschen Bauchschmerzen. Denn eine Wahl, wo Sieger schon vorher festzustehen scheint, lockt die Menschen nur schwer an die Urnen. Die spannendste Frage ist nur noch, mit wem die SPD koalieren wird. "Das ist schon unsere Befürchtung, dass die Luft nach Künasts Ansage raus ist", sagt der SPD-Kandidat für den Kiez, Ralf Wieland. Deshalb ist Wowereits letzte Botschaft an diesem Tag: "Leute, geht wählen".
Quelle: ntv.de