"Gefallen an den Reichen und Schönen" Wulff-Biograf steht vor Rätsel
20.12.2011, 13:18 Uhr
Wulff veröffentlichte 2007 sein Interview-Buch "Besser die Wahrheit".
(Foto: picture-alliance/ dpa)
Bundespräsident Wulff stand einmal für einen anderen Politikstil, er wollte anders sein als Koch oder Kohl. So hat ihn Hugo Müller-Vogg bei den Gesprächen für das Interview-Buch "Besser die Wahrheit" erlebt. Doch der Wulff von heute hat nicht mehr viel mit dem von damals gemeinsam, sagt Müller-Vogg im Gespräch mit n-tv.de.
n-tv.de: Herr Müller-Vogg, Sie sind Mitautor des Wulff-Buchs "Besser die Wahrheit", bei dem es sich ja um ein Interviewbuch handelt. Wussten Sie, dass die Werbung für das Buch bezahlt hat?
Hugo Müller-Vogg: Nein, das habe ich gestern erst erfahren. Der Verlag Hoffmann und Campe hat im Autorenvertrag zugesagt, Werbemaßnahmen zu ergreifen. Dann sind Anzeigen erschienen, vom Verlag in Auftrag gegeben und so gekennzeichnet. Dass der Verlag die Rechnungen an Herrn Maschmeyer weitergereicht hat, war mir neu.
Das Buch ist 2007 erschienen, damals war Wulff niedersächsischer Ministerpräsident und frisch geschieden. Wie haben Sie ihn damals wahrgenommen?
Der Christian Wulff, den ich damals interviewt habe, war der potenzielle Nachfolger von Angela Merkel. Als Parteivorsitzender und als Kanzler, auch wenn er bestritten hat, dass er da irgendwelche Ambitionen habe.
Was hat sich seitdem an ihm verändert?
Er hat damals großen Wert darauf gelegt, dass er ein anderer Politiker ist. Er hat sich stark abgegrenzt von den Kochs und Kohls. Er wollte jemand sein, der nicht so auf Macht fixiert ist, der großen Wert darauf legt, dass es anständig zugeht. Er hat sich da verändert, zumal wenn man sieht, dass er sich schon damals jeden Urlaub von Freunden bezahlen ließ.
Wie passt das zusammen?
Um ihn zu verstehen, muss man sehen, dass Christian Wulff in Niedersachsen als junger, unbekannter Herausforderer gegen den übermächtigen Gerhard Schröder angetreten ist. Da braucht man nicht viel Vorstellungskraft, um zu sehen, dass die Maschmeyers dieser Welt diesen jungen Kerl gar nicht ernst genommen haben. Dann wurde er Ministerpräsident und plötzlich kamen alle Schröder-Freunde und wollten auch seine Freunde sein. Das ist ihm aber nicht verdächtig vorgekommen, sondern er hat das wohl als Durchbruch betrachtet: Endlich werde ich ernst genommen. Das hat dann dazu geführt, dass er da nicht so kritisch war, wie er es vielleicht besser gewesen wäre.
Wo war denn da der väterliche Freund Geerkens mit seinem Rat?
Ich habe das extra nochmal nachgeschaut, aber in unserem Buch kommt der väterliche Freund Geerkens nicht vor. Ich habe Wulff damals nach dem frühen Vaterverlust gefragt. 'Wie kompensiert man das? Gab es niemanden, wo sie sagen würden, das war der Ersatz-Vater?' Darauf sagte er: 'Den gab es nicht, aber es gab Erwachsene, auf deren Urteil ich sehr viel Wert gelegt habe.' Der väterliche Freund Geerkens scheint erst im Nachhinein dazu geworden zu sein. Sonst hätte er in diesem Buch vorkommen müssen. Es gibt auch noch die Wulff-Biografie "Der Marathonmann", in der Geerkens auch nicht vorkommt.
Christian Wulff kommt aus kleinen Verhältnissen. Hat ein Streben nach wirtschaftlichem Erfolg in Ihren Gesprächen damals eine Rolle gespielt?
Nein, er hat nie den Eindruck erweckt, dass ihm an materiellen Dingen viel gelegen sei. Aber man muss sehen, dass Politiker im Verhältnis zu der Verantwortung, die sie tragen, alle nicht gut bezahlt werden. Deshalb muss man wahrscheinlich die öffentliche Anerkennung als Währung hinzurechnen. Er hat über das Geld ganz offen gesprochen. Er verdiente damals als niedersächsischer Ministerpräsident 100.000 Euro netto im Jahr. Und er hat gesagt, dass er sich selbst finanziere, weil seine Aufsichtsratbezüge bei VW an das Land abgeführt wurden, die waren höher als sein Gehalt. Er hat das benannt, aber nicht geklagt.
Seine Lebensumstände haben sich dann durch die Scheidung geändert. Brauchte er für das neue Leben mehr Geld?
Die Scheidung war 2006, es war eine einvernehmliche Scheidung. Einvernehmliche Scheidungen sind immer für den teurer, der aus der Ehe heraus will. Da kann man einfach rechnen, dass ihm von den 100.000 nach den Unterhaltszahlungen vielleicht 55.000 oder 60.000 Euro geblieben sind. Dann hatte er eine neue Frau, ein Kind war unterwegs, da war er finanziell ziemlich schnell am Limit. Er hatte ein Problem mit der Hausfinanzierung. Hinzu kam, dass ihn seine neue Frau auch verändert hatte. Bettina Körner ging gern aus, liebte den Glamour, da hat er auch seinen Spaß dran gefunden. Seine erste Frau hat ihn nicht gern auf Termine begleitet, da lebte er nun anders und trat auch anders auf.
Wie schätzen Sie die Tatsache ein, dass er den Hauskredit ausschließlich über Frau Geerkens abwickeln wollte?
Also zunächst mal muss ich sagen, es wäre gar nicht unanständig gewesen, wenn er den Kredit direkt von Herrn Geerkens genommen hätte. Herr Geerkens war damals nicht mehr als Unternehmer aktiv, es gibt keinen Hinweis auf irgendeine Vergünstigung vom Land Niedersachsen an Herrn Geerkens. Wenn Herr Wulff damals den Ältestenrat des Landtags über den Privatkredit informiert hätte, wäre da nichts zu kritisieren gewesen. Aber er dachte wohl, ich mache das mit der Frau, dann kann gar keiner was sagen. Als der Kredit bekannt wurde, hat er ihn ja schnell umgeschuldet. Also hatte er offenbar das Gefühl, da kann der falsche Eindruck entstehen. Und wenn man diesen Eindruck hat, dann sollte man die Sache gleich lassen. Denn oft hat der falsche Eindruck verheerendere Auswirkungen als die Handlung selbst.
, es gibt das Flugupgrade, die kostenlosen Urlaube, den günstigen Hauskredit und die von Herrn Maschmeyer bezahlte Buchwerbung. Das ist nicht mehr der anständige und aufrichtige Wulff, der er gern sein möchte. Warum kommt ihm das plötzlich komplett abhanden?
Wer das beantworten kann, hat Wulffs Persönlichkeit entschlüsselt. Ich kann es nicht. Ich kann es mir nur so erklären, dass er als Ministerpräsident in der Welt der Reichen und Schönen angekommen ist und daran Gefallen gefunden hat. Dabei ist er wohl leichtsinnig geworden.
Viele haben ihm die Kanzlerschaft zugetraut und waren überrascht, als er dann diesen Weg einschlug. Wie kam das überhaupt?
Er war sicher nach dem Abschied von Roland Koch der einzig verbliebene ernst zu nehmenden Rivale für Angela Merkel. Sie hatte ein Interesse, einen potenziellen Konkurrenten zu neutralisieren, in dem sie ihn zum Präsidenten machte. Bei ihm hat sicher eine Rolle gespielt, dass er nach jahrelanger Landespolitik mal was anderes machen wollte. Er war nachdenklich und offen für Fragen wie die nach der Perspektive Deutschlands und der Gesellschaft. Insofern war es nicht überraschend, dass ihn das Präsidentenamt lockte. Er wollte aus dem Schloss Bellevue eine Denkfabrik machen, dafür wäre er durchaus der richtige Mann gewesen.
Er ist aber kein überzeugender Bundespräsident geworden, woran liegt das?
Ihm ist das Umschalten vom aktiven Politiker zum überparteilichen Präsidenten nicht gelungen. Er hat den Oberbürgermeister Adolf Sauerland in Duisburg kritisiert, er hat der Bundesbank empfohlen, Thilo Sarrazin rauszuwerfen. Das waren Missgriffe. Dann hat er sich zurückgehalten und die Islam-Rede gehalten. Aber zum Euro hat er praktisch nichts gesagt. Dann redet er bei Verdi und beim Bankentag den Eliten ins Gewissen. Die Eliten müssen zu ihrer Vorbildrolle stehen, hat er dort gesagt, aber nun kann er geldgierigen Managern ja kaum noch den Spiegel vorhalten.
Wulff muss am Weihnachtsabend sprechen, was kann er denn jetzt noch sagen?
Eigentlich muss er vorher etwas sagen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass er jetzt schweigt und am Samstag eine besinnliche Rede hält. Oder er nutzt die Weihnachtsansprache, um zu sagen, wir machen alle Fehler.
Kann Wulff jetzt noch eine weitere Amtszeit Bundespräsident sein?
Nein, das kann man vergessen und zwar von Anfang an. Nach der nächsten Bundestagswahl gibt es keine schwarz-gelbe Mehrheit mehr in der Bundesversammlung. Damit hat sich auch die Kalkulation erübrigt, vielleicht von den Grünen gewählt zu werden. Wulff selbst hatte, als er von zwei vollen Amtszeiten Köhlers ausging, für 2013 eine Kampfkandidatur Ursula von der Leyen gegen Katrin Göring-Eckardt vorhergesehen.
Mit Hugo Müller-Vogg sprach Solveig Bach
Quelle: ntv.de