Rücktritt, Entschuldigung oder neue Ausreden? Wulff bricht sein Schweigen
04.01.2012, 11:20 Uhr
Wulff bei seiner Ankunft im Schloss Bellevue.
(Foto: dapd)
Trotz des öffentlichen Sturms der Entrüstung über seine Affäre um Medienbeeinflussung kehrt Bundespräsident Wulff nach dem Weihnachtsurlaub an seinen Schreibtisch in Schloss Bellevue zurück. Offenbar hat er entschieden, nicht zurückzutreten. Wulff will aber noch heute ein Fernsehinterview geben.
Überschattet von wegen seiner versuchten Medienbeeinflussung ist Bundespräsident Christian Wulff nach seinem Weihnachtsurlaub an seinen Schreibtisch im Schloss Bellevue zurückgekehrt. Bislang hatte das Staatsoberhaupt zu den jüngsten Vorwürfen geschwiegen, in unzulässiger Weise eingegriffen zu haben. Offenbar gibt Wulff ARD und ZDF ein gemeinsames Fernsehinterview, das um 20.15 Uhr ausgestrahlt werden soll. Aus der Pressestelle des Bundespräsidialamts hieß es, Wulff werde noch heute eine Erklärung abgeben.
Die ARD hatte am Morgen unter Berufung auf Wulffs Umfeld berichtet, dass der Bundespräsident auf jeden Fall im Amt bleiben wolle. Drei Wochen nach den ersten Enthüllungen wurde in Kreisen der Unionsfraktion die Situation für Wulff jedoch als durchaus kritisch eingeschätzt. Trotz der jüngsten Vorwürfe ging man aber davon aus, dass er die Affäre erst mal durchstehen will.
Das Bundespräsidialamt hatte am Dienstag lediglich die offiziellen Termine des Staatsoberhaupts für die nächsten Tage veröffentlicht. Danach empfängt Wulff als nächstes am Freitag im Schloss Bellevue Sternsinger aus dem Bistum Essen. Außerdem stehen der Neujahrsempfang für das Diplomatische Korps und die Übergabe der Wohlfahrtsbriefmarken 2012 in seinem Terminkalender.
Merkels Mann
ließ über ihren Sprecher mitteilen, sie schätze Wulffs Arbeit "außerordentlich". Sie erwarte weitere Erklärungen des Staatsoberhauptes. Die Kanzlerin habe volles Vertrauen darin, dass der Bundespräsident alle anstehenden Fragen umfassend beantworten werde, sagte der stellvertretende Regierungssprecher Georg Streiter in Berlin. Er gehe davon aus, Merkel und Wulff in telefonischem Kontakt gestanden hätte, wisse das aber nicht. Die Kanzlerin habe Wulff aber nicht zu einer Erklärung aufgefordert.
Grünen-Chefin Claudia Roth hatte zuvor gemahnt, wolle Wulff die Affäre nur aussitzen, werde er ein "extrem schwacher Präsident". Schließlich gehe das nur, "wenn Merkel die Hand über ihn hält", sagte Roth der "Süddeutschen Zeitung". Mit Rücktrittsforderungen halten sich die Grünen zurück. Der Bundespräsident müsse selbst wissen, ob er noch die nötige Autorität habe, um als "Konsensfigur und Wertevermittler" aufzutreten, sagte Roth.
Aus Sicht der SPD kann Wulff sein Amt ohne rückhaltlose Aufklärung nicht mehr unbefangen ausüben. "Es gilt nach wie vor: Niemand kann sich den zweiten Rücktritt eines Bundespräsidenten innerhalb von zwei Jahren wünschen", schrieb SPD-Chef Sigmar Gabriel auf seiner Facebook-Seite. "Allerdings kann sich auch niemand einen Bundespräsidenten wünschen, der den Eindruck erweckt, er sei seinem Amt weder politisch noch stilistisch gewachsen."
Der Bonner Politikwissenschaftler Gerd Langguth sieht Wulff mittlerweile als Bundespräsident von Merkels Gnaden. "Wenn er Bundespräsident bleibt, dann bleibt er es vor allem, weil Angela Merkel es so will", sagte Langguth der "Passauer Neuen Presse". Die Anrufe bei den Medien nannte Langguth "töricht". Doch seien sie "nicht schwerwiegend genug, als dass sich daraus die Notwendigkeit eines Rücktritts ergeben würde".
Amt fast "irreversibel geschädigt"
Die CDU-Politikerin Vera Lengsfeld forderte Wulff wegen seines Umgangs mit der Affäre zum Rücktritt auf. "Die überwältigende Mehrheit der Bevölkerung kann ihn nicht mehr ernst nehmen", sagte die einstige DDR-Bürgerrechtlerin dem "Handelsblatt". "Es braucht keine neue Enthüllung, um sicher zu sein, dass Wulff gehen muss." Jede Stunde, die sich Wulff länger an das Amt klammere, das er nie habe ausfüllen können und das er fast irreversibel geschädigt habe, schade der demokratischen Kultur.
Lengsfeld sprach sich zugleich für Wulffs ehemaligen Gegenkandidaten Joachim Gauck als Nachfolger aus. "Joachim Gauck kann dem Amt seine Würde zurückgeben", sagte sie. SPD und Grüne könnten nun beweisen, dass ihr Vorschlag, den früheren Chef der Stasi-Unterlagenbehörde zum Bundespräsidenten zu machen, kein parteipolitisches Manöver gewesen sei.
Wulff steht seit Mitte Dezember wegen seiner Kredite für den Kauf eines Eigenheimes in seiner Zeit als niedersächsischer Ministerpräsident in der Kritik. Eine neue Dimension erhielt der Fall, nachdem bekannt wurde, dass der Bundespräsident persönlich durch einen Anruf bei "Bild"-Chefredakteur Kai Diekmann versucht hat, die erste Veröffentlichung der Zeitung zu den Krediten am 13. Dezember zu verhindern.
Schöne Worte, andere Taten
Dem "Hamburger Abendblatt" liegt nach eigenen Angaben ein Schreiben Wulffs vom 17. Februar 2010 an einen Bürger vor, in dem er versprach, künftig keine Angebote mehr annehmen zu wollen, die ihm persönliche Vorteile verschaffen würden. "Ein Politiker muss jeden Anschein einer Besserstellung vermeiden", heißt es in dem Schreiben des damaligen Ministerpräsidenten von Niedersachsen. Zuvor war bekannt geworden, dass er bei einem Urlaubsflug mit Air Berlin in der Businessclass gereist war, obwohl er nur Economy gebucht und bezahlt hatte. "Künftig werde ich solche Angebote nicht mehr annehmen", schreibt Wulff.
Am 18. Februar 2010, nur einen Tag nachdem der Brief von Wulff an den Bürger verschickt wurde, antwortete der damalige Ministerpräsident im Landtag von Niedersachsen auf eine mündliche Anfrage, dass es zwischen ihm und dem Unternehmer Egon Geerkens keine geschäftlichen Beziehungen gegeben habe. Am 21. März desselben Jahres löste er dann seinen ohnehin schon günstigen Privatkredit der Unternehmer-Gattin Edith Geerkens in Höhe von 500 000 Euro durch ein Darlehen der staatlichen BW-Bank ab. Die Zinsen für den Bankkredit sollen 0,9 bis 2,1 Prozent betragen haben und damit um die Hälfte niedriger als bei der Immobilienfinanzierung normaler Kunden gewesen sein.
Quelle: ntv.de, sba/dpa/rts