EU-Parlament denkt um Zweifel an Atomenergie wachsen
07.04.2011, 08:40 Uhr
Günther Oettinger, EU-Kommissar für Energie
(Foto: picture alliance / dpa)
"Atomkraft - ja bitte": Dieser Grundsatz des EU-Parlaments ist nach Fukushima ins Wanken geraten. Stresstests sollen die Meiler in den einzelnen Ländern auf ihre Sicherheit hin überprüfen. Und dann? Kein EU-Staat kann gezwungen werden, ein marodes AKW zu schließen.
Für das Straßburger EU-Parlament war die Kernenergie bis jetzt unverzichtbar - viele Entschließungen der letzten Jahre bezeugen dies. Die Atomkatastrophe im japanischen Fukushima hat einen fraktionsübergreifenden Prozess des Umdenkens ausgelöst. Die Forderungen reichen von einem "Einstieg in den Ausstieg" der Linken im Hause bis hin zu "mehr Sicherheit, aber wir sollten nichts überstürzen" britischer Konservativer.
Zentraler Kritikpunkt sind die Stresstests. Fallen Kernkraftwerke durch, wie EU-Energiekommissar Günther Oettinger im Vorfeld vermutet, so sollten diese Anlagen auch tatsächlich geschlossen werden. Dafür verlangen zahlreiche Volksvertreter nun Garantien. Trotz bohrender Fragen der Grünen wurden noch keine Namen genannt. Man müsse erst die Ergebnisse der Tests abwarten, sagte Kommissionspräsident José Manuel Barroso.
Euratom-Vertrag ändern
Die Grünen befürchten wachsweiche Kontrollen und bezweifeln, dass die Regierungen ihren eigenen Anlagen schwerwiegende Mängel bescheinigen. Doch hinter den Kulissen bewegt sich auch in Frankreich etwas. Über den Weiterbetrieb des ältesten französischen Atomkraftwerks im elsässischen Fessenheim dicht an der deutschen Grenze sollte im März entschieden werden. Jetzt will sich die Atomkontrollbehörde ASN im Juni dazu äußern, ob Fessenheim weitere zehn Jahre am Netz bleiben soll.
Den EU-Staaten gibt das Parlament jetzt die Parole aus, stärker über alternative Energien nachzudenken. Die EU-Kommission sollte dabei die Rolle des strengen Kontrolleurs übernehmen. Man will die alleinige Zuständigkeit der Nationalstaaten für die Nutzung der Atomkraft antasten und die Verantwortung in Richtung auf die Brüsseler Behörde verschieben. Dafür müsste jedoch der Euratom-Vertrag aus dem Jahr 1957 abgeändert werden.
Fromme Wünsche
Zur Zeit dürften diese Vorstellungen noch fromme Wünsche bleiben, so EU-Energiekommissar Oettinger. Die Bandbreite reicht von Österreich, das völlig auf Atomstrom verzichtet, bis hin zum größten Atomstromland Frankreich, wo Kernkraftwerke 75 Prozent der benötigten Energie liefern. In Deutschland liegt der Anteil bei etwa 26 Prozent. Insgesamt nutzen 14 der 27 EU-Staaten Atomkraft.
Als charakteristisches Beispiel führte Oettinger Polen an, das 90 Prozent seiner Energie aus Kohle bezieht und den Bau eines Atomkraftwerks plant, um seine Klimaschutzbilanz zu verbessern. Man müsse diese demokratische Entscheidung der Polen respektieren, sagte Oettinger an die Adresse der Grünen, denen er vorwarf, vom atomkritischen deutschen Standpunkt aus für ganz Europa bestimmen zu wollen. Für Oettinger ist es ein bedeutender Erfolg, dass alle EU-Länder den Stresstests zugestimmt haben.
Ausgang offen
Was passiert, wenn Atomkraftwerke die Stresstests nicht bestehen, ist allerdings noch offen. Oettinger meinte, dass Kraftwerke nachgerüstet werden müssten, was wirtschaftlich und technisch nicht immer möglich sein könnte. Auf jeden Fall haben da die Regierungen das letzte Wort. Kein Staat kann gezwungen werden, ein marodes Atomkraftwerk zu schließen.
Quelle: ntv.de, Petra Klingbeil, dpa