Die personifizierte Große Koalition Zwischenrufe lächelt Merkel einfach weg
29.01.2014, 15:17 Uhr
Merkel gab ihre Regierungserklärung im Sitzen ab.
(Foto: imago/Xinhua)
Dass die Kanzlerin ihre Regierungserklärung im Sitzen vorträgt, verstärkt den Eindruck langatmigen Monologisierens noch. Spannend wird Merkels Auftritt erst nach einer knappen Dreiviertelstunde.
Was ist das Gegenteil einer parlamentarischen Sternstunde? Ein parlamentarischer Nullpunkt? Ein solches Urteil über die Regierungserklärung von Bundeskanzlerin Angela Merkel wäre übertrieben. Langweilig, das trifft es.
Merkel spricht über die Ukraine, über Europa, die Energiewende, den Mindestlohn und die Rentenpläne der Koalition. Sie sagt Sätze wie "Die digitalen Möglichkeiten und das Internet verändern unser Leben rasant." Oder: "Und so ist die Soziale Marktwirtschaft unser Kompass, weil sie wie keine Wirtschafts- und Sozialordnung den Menschen in den Mittelpunkt stellt." Oder aber: "Auch Deutschland geht es auf Dauer nur gut, wenn es Europa gut geht."
Alles bekannt, alles erwartbar. Wegen ihrer Verletzung beim Ski- Langlauf spricht sie im Sitzen, was den Eindruck einer salbungsvollen Märchenstunde dramatisch verstärkt.
Die meisten Zwischenrufe ignoriert sie. Nichts an dieser Rede ist kämpferisch - der Wahlkampf ist vorbei, die Opposition im Bundestag keine Bedrohung mehr. Wie bereits zu Beginn ihrer ersten Kanzlerschaft hebt Merkel hervor, sie wolle "die Kanzlerin aller Deutschen" werden. Sie fügt hinzu: und aller in Deutschland geborenen Menschen.
"Warten Sie's doch einfach mal ab"
Nach gut 40 Minuten liest sie aus ihrem Manuskript vor, Deutschland werde die Möglichkeiten nutzen, die die Freizügigkeit in Europa biete. Ein Zwischenrufer aus den Reihen der Opposition weist empört darauf hin, dass die CSU diese Freizügigkeit infrage gestellt habe. Merkel blickt auf. Dann wiederholt sie denselben Satz dezent lächelnd. Und fährt fort. Die Bundesregierung werde "die Augen vor möglichem Missbrauch nicht verschließen". Es dürfe nicht "zu einer faktischen Einwanderung in die Sozialsysteme kommen". Nur wenige Minuten zuvor hatte Merkel die Einführung der von der Union eigentlich abgelehnten doppelten Staatsbürgerschaft gelobt.
S pätestens mit dieser Regierungserklärung ist Merkel endgültig in der Großen Koalition angekommen, mehr noch: Merkel ist die Große Koalition. Ob CSU, CDU oder SPD - jeder findet sich in Merkels Rede wieder. Sie verteidigt den Mindestlohn genauso wie die Pkw-Maut. Niemand werde durch die Einführung dieser Maut stärker belastet, sagt Merkel. Wieder ein Zwischenruf: "Das geht doch gar nicht!" Exakt diese Position hatte Merkel auch einmal. "Warten Sie's doch einfach mal ab", empfiehlt die Kanzlerin nur.
Den gelebten Kompromiss stellen auch Merkels Passagen über die Enthüllungen des früheren NSA-Mitarbeiters Edward Snowden dar. Sie fragt, ob es richtig sein könne, dass Deutschland von Partnern wie den USA und Großbritannien ausspioniert werde. "Unsere Antwort kann nur lauten: Nein, das kann nicht richtig sein." Für eine Regierungserklärung sind dies ungewöhnlich deutliche Worte. Zugleich gibt sie ein klares Bekenntnis zu Amerika ab: "Bei allen Konflikten, bei allen Enttäuschungen, bei allen Interessenunterschieden werde ich auch wieder und wieder deutlich machen: Deutschland kann sich keinen besseren Partner vorstellen als die Vereinigten Staaten von Amerika."
20 lange Stunden
Merkels Rede ist nur ein Auftakt zu einem wahren Marathon an Regierungserklärungen. Erstmals darf in diesem Jahr jeder der insgesamt 14 Minister seine Projekte selbst vorstellen. SPD-Fraktionsgeschäftsführerin Christine Lambrecht hatte dies eine "Innovation" genannt. Es gehe darum, die Pläne der einzelnen Ministerien darzulegen und darüber im Plenum mit der Opposition zu diskutieren.
Tatsächlich findet hier jedoch das Gegenteil einer Diskussion statt. Nach Merkel, deren Regierungserklärung exakt eine Stunde dauert, spricht Linksfraktionschef und Oppositionsführer Gregor Gysi. Er hat 17 Minuten, um die Pläne der Großen Koalition zu zerpflücken. Auf Gysi folgt SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann mit 25 Minuten, dann Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter mit 16 Minuten.
Gysis Rede zeigt allerdings, dass eine zeitliche Befristung dem Niveau einer Rede durchaus zuträglich sein kann. Wie üblich klebt Gysi nicht an seinem Manuskript, sondern spricht die Kanzlerin, die Bundesregierung, die Abgeordneten der Koalition direkt an. Er fordert, die Bundesregierung solle keine Auslandseinsätze beschließen, sondern sich dem Kampf gegen den Hunger widmen. Im Verhältnis zu den USA solle Merkel ihre "Unterwürfigkeit" aufgeben, die Rente mit 63 beschreibt Gysi als Mogelpackung, die Mütterrente nimmt er zum Anlass, die unterschiedlichen Renten ist Ost und West anzuprangern.
Noch bis Freitag, drei Tage lang, insgesamt über 20 Stunden müssen die Abgeordneten der Opposition den Rede-Marathon der Koalition aushalten. Pro Debattenstunde haben Linke und Grüne je acht Minuten, um im Bundestag zu sprechen. Man hätte aus der Veranstaltung auch eine öffentliche Lesung des Koalitionsvertrages machen können. Es wäre genauso langweilig. Nur wäre man dann bereits nach sieben Stunden fertig gewesen.
Quelle: ntv.de