Todeskandidat im Iran "Es ist fünf Minuten vor zwölf"
09.03.2023, 04:15 Uhr Artikel anhören
Dem deutschen Jamshid Sharmahd droht im Iran die Todesstrafe.
(Foto: picture alliance/dpa)
Im Iran ist ein deutscher Staatsbürger zum Tode verurteilt worden. In Los Angeles kämpft die Tochter um sein Leben. Am Mittwochabend hat sich Markus Lanz in seiner ZDF-Talkshow des Falles angenommen.
In wenigen Tagen wird Jamshid Sharmahd 68 Jahre alt. Doch ob der in Teheran geborene deutsche Staatsbürger seinen Geburtstag noch erlebt, weiß seine Familie nicht. Feiern wird er ihn auf keinen Fall.
Es ist Ende Juli 2020. Da macht sich der Softwareentwickler und Aktivist zu einer Geschäftsreise auf den Weg. 1962, er ist gerade sieben Jahre alt, war sein Vater mit ihm nach Hannover gezogen und hatte dort eine deutsche Frau geheiratet. Sharmahd nimmt die deutsche Staatsangehörigkeit an. 2003 zieht er mit seiner Familie nach Los Angeles, bekommt Kontakt zur monarchistischen Oppositionsgruppe tondar, deren Sprecher er wird. Der Iran stuft die antiislamistische Gruppe als Terroreinheit ein, macht sie verantwortlich für einen Bombenanschlag auf eine Moschee in der südiranischen Stadt Shiraz im April 2008, bei dem 14 Menschen getötet und 202 verletzt werden. Zwei Jahre später werden vier Beschuldigte zum Tode verurteilt und gehängt.
Am Mittwochabend ist Sharmahds Tochter Gazelle zu Gast bei Markus Lanz im ZDF. Die USA darf sie nicht verlassen. Die Intensivkrankenschwester fürchtet, selber Geisel des iranischen Mullah-Regimes zu werden. Ihr Vater, dem ein Softwareunternehmen gehört, hatte vor gut zweieinhalb Jahren nach Indien fliegen wollen. Doch dann meldet er sich plötzlich aus Dubai. Da ahnen Gazelle und ihre Mutter, dass etwas nicht stimmt. Denn Länder wie Dubai oder die Türkei sind für iranische Oppositionelle Passé. Mit Hilfe eines Softwaretrackers kann seine Familie Sharmahds Handy bis nach Oman verfolgen, dann reißt die Verbindung ab.
Später erfahren Gazelle und ihre Mutter, dass sich Sharmahd im Iran befindet, in Einzelhaft. Seit fast tausend Tagen hat er sein Gefängnis nicht verlassen, sagt seine Tochter. Er sei zu einer Pressekonferenz gezwungen worden. Da habe er die Verantwortung für den Anschlag 2008 übernommen. Sein Gesicht sei geschwollen gewesen, er sei offenbar gefoltert worden. Man habe ihm seine Zähne ausgeschlagen, wegen einer sich verschlimmernden Parkinson-Erkrankung könne er nicht mehr laufen. Er sei schon lange zum Tode verurteilt gewesen, sagt Gazelle Sharmahd. Vor zwei Wochen wurde das Urteil bestätigt. Nun könne es sehr schnell gehen, fürchtet Sharmahds Familie. "Es ist fünf vor zwölf", sagt Gazelle Sharmahd. "Wir haben keine Zeit mehr zu verlieren."
"Ein Horrorregime"
Die Bundesregierung hat inzwischen reagiert und zwei iranische Diplomaten zu unerwünschten Personen erklärt. Die EU in Brüssel versuche einen Gefangenenaustausch zu organisieren, sagt der SPD-Politiker Sebastian Fiedler. Dort werde der Fall jedoch sehr kontrovers diskutiert: "Dabei geht es auf der einen Seite um die Erpressbarkeit der Staaten, auf der anderen Seite müssen wir versuchen, jedes Menschenleben zu retten." Man müsse mit einem Regime verhandeln, dessen Ideologie absolut menschenverachtend sei. "Das ist ein Horrorregime, wie wir es uns in unserer Welt kaum vorstellen können."
Wie realistisch ein Gefangenenaustausch sein kann, ist völlig unklar. In Belgien sitzt zurzeit immerhin ein Iraner in Haft. Der Terrorist sei in Bayern festgenommen worden und habe einen Anschlag auf die iranische Opposition in Belgien verüben wollen, sagt Gazelle Sharmahd.
"Wirtschaftsbeziehungen mit Iran abbrechen"
CDU-Chef Friedrich Merz hat die politische Patenschaft für Sharmahd übernommen, nachdem ihn Kollegen im Bundestag auf den Fall angesprochen haben. "Ich habe das aus politischer Überzeugung getan, vor allem, weil es hier um einen ungeheuerlichen Vorgang geht", sagt er bei Lanz. Merz will politischen Druck ausüben, faire Verfahren und eine konsularische Betreuung für Sharmahd. Er habe mit dem iranischen Botschafter in Berlin gesprochen. "Ich habe ihm gesagt, dass dieses Urteil Folgen haben muss und wird. Wenn es zu einer Vollstreckung kommen wird, kann ich mir nicht vorstellen, dass die diplomatischen Beziehungen zwischen Deutschland und Iran einfach fortgesetzt werden." Die EU müsse gemeinsam vorgehen und das iranische Regime isolieren, fordert Merz.
Das erwartet Gazelle Sharmahd nicht. "Vielleicht wollen wir wegschauen, weil es einfacher ist, weil es gewisse Deals gibt, weil Dollarzeichen mehr wert sind als Menschenleben", sagt sie. Würde Merz die Wirtschaftsbeziehungen zum Iran einstellen, wenn er Kanzler wäre? Das will Markus Lanz wissen. "Meine Antwort ist ein klares "ja"", antwortet Merz. "Wenn uns Geschäft wichtiger ist als unsere Freiheit, haben wir unseren moralischen Kompass verloren."
"Pathetisch" nennt Sebastian Fiedler die Äußerung von Merz. Und Expertin Gilda Sahebi weist darauf hin, dass es kaum noch Wirtschaftsbeziehungen zwischen Deutschland und dem Iran gibt.
Zudem muss man feststellen: Seit der iranischen Revolution vor 44 Jahren hätte es schon genug Gründe für einen Abbruch der Beziehungen zum Iran geben können. Zum Beispiel nach der Geiselnahme von 52 amerikanischen Diplomaten im November 1979, die sich mehr als ein Jahr lang in den Händen iranischer Studenten befanden. Oder nach dem iranischen Anschlag auf das Restaurant Mykonos in der Prager Straße in Berlin im Jahr 1992, bei dem vier Exil-Kurden getötet wurden. Der damalige Bundeskanzler hieß Helmut Kohl – und war Parteikollege von Friedrich Merz.
Gazelle Sharmahd hat die Hoffnung noch nicht ganz aufgegeben, ihren Vater noch einmal wiederzusehen. Denn jetzt, nach zweieinhalb Jahren, sind Medien und Politik auf das Leid aufmerksam geworden, das Sharmahd und seine Familie erdulden müssen.
Quelle: ntv.de