Kind zu Tode geprügelt Acht Jahre Haft für Vater
04.05.2007, 16:27 UhrDie kleine Nadine aus Gifhorn musste sterben, weil sie einem Seitensprung entstammte. Das Mädchen sah anders aus als seine Geschwister, in seinem kurzen Leben wurde es versteckt und gequält. "Nadine war das Aschenputtel der Familie", sagte der Vorsitzende Richter Ulrich Pohl am Landgericht Hildesheim. In einem Indizienprozess hatte das Gericht das schwer vorstellbare Schicksal des kleinen Mädchens zu klären versucht, das 2002 unbemerkt von Nachbarn und Behörden verschwand und dessen Tod erst vier Jahre später ans Licht kam.
Wegen der tödlichen Misshandlung der Kleinen verurteilte die Kammer den 32 Jahre alten Familienvater zu acht Jahren Gefängnis. Die 30 Jahre alte Mutter, die der Gewalt nach Überzeugung des Gerichts tatenlos zusah, erhielt ein Jahr Haft auf Bewährung.
Ein Netz aus Lügen
Wie ein Puzzle setzte der Richter in seiner Urteilsbegründung alle Indizien für die Gewalttaten zusammen und hielt diese den Schilderungen der Eltern entgegen. Sie hatten angegeben, Nadine sei Anfang 2003 als Zweieinhalbjährige nach einem Sturz aus dem Hochbett gestorben. Aus Angst, das Jugendamt könne ihnen die anderen Kinder wegnehmen, hätten sie das Mädchen heimlich im Harz begraben.
Jahrelang vertuschten sie den Tod und nannten eine drei Jahre später heimlich geborene Tochter auch Nadine. Nadine II, wie sie im Gerichtssaal genannt wurde, wurde zum Ersatzkind. Die Mutter brachte das Kleinkind sogar 2006 zu einer ersten Schuluntersuchung für Nadine I. Vor einer zweiten Schuluntersuchung wurde der Druck offenbar so groß, dass sich die Mutter einer Freundin anvertraute und von den Misshandlungen berichtete. Die Freundin ging zur Polizei.
Die Richter sind überzeugt, dass Nadine I bereits am 15. Januar 2002 zu Tode gequält wurde. Bei einer polizeilichen Vernehmung hatte die Mutter gesagt, die Tochter sei einen Tag nach dem Tod ihres Vaters gestorben. Als Täter steht für die Kammer der Familienvater fest, denn nur er hatte ein Motiv. Die Kleine wurde nach einem Seitensprung der Frau geboren. Die 30-Jährige demütigte anschließend ihren Mann und nannte ihn eine "Flasche im Bett".
Nach der Geburt des "Kuckuckskinds" schlug der arbeitslose 32-Jährige seine Frau noch häufiger als vorher, aber vermehrt auch Nadine. "All seine Wut projizierte er auf dieses Kind", sagte Pohl. Der Angeklagte, der mit seiner rahmenlosen Brille und dem Milchgesicht wie ein biederer Angestellter wirkt, schüttelt in diesem Moment ungläubig den Kopf.
Das Prügelkind der Familie
Ansonsten verfolgen die Eltern regungslos auf der Anklagebank, wie der Richter ihr über Jahre aufgebautes Lügengebäude einstürzen lässt. Die zierliche Mutter hält die Hand schützend auf ihren Bauch. Sie erwartet in wenigen Wochen ihr siebtes Kind. Laut Pohl war die 30-Jährige durchaus eine liebevolle Mutter - auch das Jugendamt stellte bei Nadines fünf Geschwistern keine Misshandlungen fest. Sie sei aber auch eine "notorische Lügnerin", erklärte Pohl. Ihrer misstrauisch gewordenen Mutter, die nach Nadine fragte, erklärte sie einmal, das Mädchen liege schwer krank im Krankenhaus und benötige eine Delfin-Therapie. Dabei war Nadine nach der Geburt nie beim Arzt.
Anhand von Zeugenaussagen, Videofilmen und einem Foto zeichnet der Vorsitzende Richter die "Eskalation der Gewalt" nach. Demnach stieß der Familienvater die Kleine erst vom Sofa, später drückte er sie so fest an Armen und Beinen, dass blaue Flecken entstanden. Ein paar Monate danach schlug er dem Kleinkind ins Gesicht. Weiterhin verbrannte er Nadines Füße auf einer Herdplatte oder mit einem Bügeleisen.
Der älteste Sohn Dennis ist heute zehn Jahre alt. Er wurde per Video als Zeuge vernommen, konnte sich aber nur erinnern, dass die ältere Nadine "auf ein Mal nicht mehr da" war. Pohl betonte, dass Dennis anzumerken sei, dass er viel von der Gewalt mitbekam. "Nach Januar 2002 ist auf den Videofilmen, die die Familie aufgenommen hat, ein deprimierter Dennis zu sehen." Der Junge hatte noch mit sechs Jahren einen Schnuller im Mund.
Von Christina Sticht und Martina Steffen, dpa
Quelle: ntv.de