Kein Sieg am Hindukusch "Afghanistan nicht verlieren"
03.04.2008, 10:17 UhrGeorge W. Bush rief bereits im Juni 2004 den "ersten Sieg im Krieg gegen den Terror" aus - der US-Präsident meinte Afghanistan. Das war verfrüht. Schon damals war erkennbar, dass die Taliban vielleicht geschwächt, aber nicht besiegt worden waren. Die Zahl der NATO-Soldaten in Afghanistan nimmt zwar Jahr für Jahr zu, doch dasselbe gilt auch für die Gewalt am Hindukusch. Ein Erfolg des Westens ist nicht absehbar. Bush selber hat nun beim NATO-Gipfel in Bukarest eindringlich gewarnt: "Wir dürfen Afghanistan nicht verlieren, koste es, was es wolle."
Besonders der Süden des Landes, in dem die Hochburgen der Taliban liegen, bereitet zunehmend Sorge. Die Vereinten Nationen schätzten im vergangenen Monat 78 der knapp 400 afghanischen Distrikte als "extrem riskant" ein. In diese Gegenden im Süden haben UN-Mitarbeiter aus Sicherheitsgründen keinen Zugang mehr. Die Gewalt hat einen Teufelskreis verursacht. Wenn die Vereinten Nationen und Hilfsorganisationen den Unruhegebieten fernbleiben, findet dort kaum noch Wiederaufbau statt. Je weniger die Afghanen aber von dem ihnen versprochenen Fortschritt sehen, desto stärker wenden sie sich von der Staatengemeinschaft ab - und den Taliban zu.
Zahl der Truppen vervielfacht
Die Aufständischen würden inzwischen wieder rund zehn Prozent des Landes kontrollieren, sagte der Koordinator der US-Geheimdienste, Mike McConnell, im Februar 2008 vor dem Streitkräfteausschuss des US-Senats. Ein deutlich größeres Gebiet ist zwar nicht unbedingt unter direkter Kontrolle der Taliban, dort gelingt es den Rebellen aber, mit Anschlägen und Angriffen Angst und Schrecken zu verbreiten. Die Aufständischen signalisieren damit der verunsicherten Bevölkerung, dass weder die afghanische Regierung noch die hochgerüsteten ausländischen Truppen ihre Sicherheit garantieren können.
Dabei hat sich die Zahl der Truppen in den vergangenen Jahren vervielfacht. Als die NATO-geführte Internationale Schutztruppe ISAF im Herbst 2003 mit ihrer Ausweitung von Kabul auf das ganze Land begann, verfügte sie über 5500 Soldaten. Zur selben Zeit hatten die US-geführten Koalitionstruppen 14.000 Soldaten in Afghanistan stationiert. Inzwischen hat sich die Gesamtzahl der ausländischen Truppen mehr als verdreifacht: Die ISAF hat nach eigenen Angaben rund 47.000 Soldaten am Hindukusch, die Koalition etwa 16.000. Die Taliban haben sich angesichts des übermächtigen Gegners auf das verlegt, was Militärs "asymmetrische Kriegsführung" nennen.
Sprengfallen und Selbstmordanschläge
Die Aufständischen, deren harter Kern nach sehr unterschiedlichen Schätzungen zwischen 2000 und 15.000 Mann umfasst, vermeiden meistens offene Gefechte mit den Truppen. Stattdessen setzen sie auf Sprengfallen und Selbstmordanschläge. Im jüngsten Afghanistan-Bericht von UN-Generalsekretär Ban Ki Moon an den Weltsicherheitsrat heißt es, im vergangenen Jahr habe "der Grad von Aufständischen- und Rebellenaktivität verglichen mit dem Vorjahr scharf zugenommen". Durchschnittlich seien 566 "Vorfälle" pro Monat registriert worden - ein Drittel mehr als 2006. Die Zahl der Selbstmordanschläge sei um 30 Prozent auf 160 gestiegen. Nach UN-Angaben sind im vergangenen Jahr mehr als 8000 Menschen in Afghanistan gewaltsam ums Leben gekommen. 2006 waren Schätzungen von etwa halb so vielen ausgegangen.
In Bans Bericht heißt es, Afghanistan bleibe grob geteilt zwischen einem generell stabileren Norden und Westen sowie einem "von einem zunehmend koordinierten Aufstand geprägten" Süden und Osten. Zwar sei die meiste Gewalt 2007 auf einen kleinen Teil des Landes im Süden beschränkt gewesen. "Ein beunruhigender Trend ist jedoch das graduelle Auftauchen von Rebellenaktivität im äußersten Nordwesten des Landes gewesen, einer Gegend, die ruhig war." Der afghanische Verteidigungsminister Abdel Rahim Wardak rechnet damit, dass die Taliban in diesem Jahr versuchen werden, ihren Einfluss auch in den Westen und in den Norden des Landes auszudehnen - also auch in das Einsatzgebiet der Bundeswehr in Nordafghanistan.
Von Can Merey, dpa
Quelle: ntv.de