Zitterpartie für Mister Europa Barroso hofft auf zweite Amtszeit
13.06.2009, 12:12 Uhr
Barroso ist nicht bei allen Parlamentariern beliebt.
(Foto: REUTERS)
Die Verlängerung der Amtszeit von EU-Präsident Barroso ist noch nicht hundertprozentig gesichert. Europas Sozialisten und Grüne würden den aus ihrer Sicht neoliberalen Wolf im Schafspelz gerne verhindern.
Eigentlich könnte sich EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso entspannt zurücklehnen. Gerade hat der 53-jährige Portugiese für die Verlängerung seiner Amtszeit bis 2014 die "unzweideutige" Unterstützung von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und dem französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy erhalten. Auch der EU-Gipfel dürfte Barroso kommenden Freitag Rückendeckung geben. Doch juristische und politische Fallstricke machen die Personalie weiter zur Zitterpartie.
Bei ihrem Gipfel-Vorbereitungstreffen in Paris machten Merkel und Sarkozy deutlich, dass Barroso ihr Kandidat für eine zweite fünfjährige Amtszeit an der Spitze der mächtigen EU-Behörde ist. Auch der tschechische Ministerpräsident Jan Fischer äußerte sich zuversichtlich, dass der EU-Gipfel unter seiner Ratspräsidentschaft Barroso einstimmig bestätigt.
Nur "politische" Unterstützung

Während Merkel und Sarkozy Einigkeit demonstrieren und Barroso ihre Unterstützung zugesagt haben, ...
(Foto: REUTERS)
Der Haken: Die 27 Staats- und Regierungschefs sollen den früheren portugiesischen Ministerpräsidenten nach dem Vorschlag von Berlin und Paris nur "politisch" unterstützen. Juristisch bindend wäre das nicht. Von Brüsseler Diplomaten heißt es, Sarkozy und Merkel wollten die Meinungsbildung im neu gewählten Europaparlament abwarten, das der Personalie zustimmen muss und das erstmals Mitte Juli tagt. Auf einen echten Gipfel-Beschluss müsste Barroso dann womöglich bis nach dem zweiten irischen EU-Referendum im Herbst warten.
Die Unterstützung des Europaparlaments ist Barroso noch nicht hundertprozentig sicher. Unter dem geltenden Nizza-Vertrag müssen die Abgeordneten den Kommissionspräsidenten zwar nur mit einfacher Mehrheit bestätigen. Doch die konservative Europäische Volkspartei (EVP) um die CDU/CSU und Sarkozys UMP hat nur knapp 36 Prozent der Sitze. Die EVP muss deshalb bei Liberalen und anderen rechten Gruppen um Unterstützung für Barroso werben.
Neoliberaler Wolf im Schafspelz
Sozialisten und Grüne hoffen, Barroso noch verhindern zu können. Sie sehen in dem Portugiesen einen neoliberalen Wolf im Schafspelz, der erst nach Ausbruch der Finanzkrise nach schärferen Regeln rief und sich wenig um den Erhalt von Arbeitsplätzen schert. "Herr Barroso steht für eine Politik, gegen die wir in den Wahlkampf gezogen sind", poltert Martin Schulz (SPD), der bisherige Chef der europäischen Sozialisten.
Ob die Stimmen von Sozialisten und Grünen reichen, um den Portugiesen zu verhindern, ist fraglich. Sie haben zusammen nur rund 29 Prozent der Sitze. "Nach dem Wahlergebnis geht kein Weg an Barroso vorbei", sagt selbst der SPD-Europaabgeordnete Jo Leinen. Einen Gegenkandidaten gibt es nicht. Auch linke Regierungen in Großbritannien, Spanien und Portugal stehen hinter ihm.
Stärke liegt in der Schwäche
Die größte Stärke Barrosos liegt paradoxerweise in seiner Schwäche. Ohne die EU-Staaten wäre der Chef von 26 Kommissaren nichts. Im Willen, es allen Recht zu machen, kassiert Barroso auch schon mal heikle Gesetzespläne. So entschärfte Barroso die Klimaauflagen für deutsche Autobauer und kippte Vorschriften gegen zu viel Salz in Brot und Brezeln. "Wenn es ein Problem mit Deutschland gibt, ruft er sofort in Berlin an", berichtet ein hochrangiges Kommissionsmitglied.
Barrosos Wandelbarkeit zieht sich wie ein roter Faden durch seine Biografie. Der heutige Erzliberale war früher Mitglied der marxistisch-leninistischen Studentenvereinigung, die 1974 den Sturz der faschistischen Diktatur Portugals mit herbeiführte. Grünen-Frontmann Daniel Cohn-Bendit schimpft ihn ein "Chamäleon".
"Niemand mag ihn wirklich"
Als Pluspunkte gelten Barrosos fließendes Englisch und sein nahezu perfektes Französisch. Unter Merkels EU-Vorsitz vor zwei Jahren lernte der Jurist sogar ein paar Brocken Deutsch für die "gute Freundin" Angela. Das Adjektiv "historisch" geht Barroso in allen Sprachen leicht über die Lippen, ob es um die umstrittenen EU-Klimabeschlüsse geht oder den EU-Reformvertrag von Lissbon, dessen Zukunft unsicher ist. Ein Diplomat fasst zusammen, was viele in Brüssel denken: "Niemand mag ihn wirklich. Aber er ist unvermeidlich."
Quelle: ntv.de, Stephanie Lob, AFP