Frust, Streit, Ratlosigkeit Bosnien ist blockiert
16.10.2008, 15:24 UhrNiemals zuvor seit dem Ende des Bürgerkrieges vor 13 Jahren wurde in Bosnien-Herzegowina so viel Klartext geredet. Vom Europarat und der EU, vom Internationalen Bosnien-Beauftragten Miroslav Lajcak sowie von den Botschaftern der USA, Großbritanniens, Deutschlands und der Niederlande: Trotz vieler Milliarden Euro Hilfen, trotz zehntausender Soldaten und tausender ziviler Aufbauhelfer ist das Balkanland blockiert, steckt in einer Sackgasse. Und das Schlimmste ist, dass niemand einen Ausweg kennt.
Enttäuschung macht sich breit. EU-Kommissar Olli Rehn sagte es in der vergangenen Woche in der Hauptstadt Sarajevo, Lajcak in dieser Woche in der Serben-Hochburg Banjaluka. Es ist wie zu Beginn des Bürgerkrieges. Die muslimischen Bosnier, die knapp die Hälfte der vier Millionen Einwohner stellen, und die Serben mit einem Drittel stehen sich unversöhnlich gegenüber, sehen die jeweils andere Landeshälfte als "feindliches Ausland" an. Mit tatkräftiger Unterstützung des 15-prozentigen kroatischen Bevölkerungsanteils blockiert der nationalistische Streit dieser drei Völker alles.
Keine ausländischen Investoren
Auf Bundesebene funktionieren weder Regierung noch Gerichte, weil die "Föderation" aus muslimischen Bosniern und Kroaten sowie die "Serbenrepublik" fast unbegrenzt selbstständig sind. Ausländische Investitionen sind im Blockadeklima der beiden Landesteile Mangelware. Der komplizierte Staatsaufbau mit seinen zwei Landeshälften, zehn Kantonen und dem muslimisch-serbischen Gemeinschaftsdistrikt der Stadt Brcko im Norden verschlingt fast alle Staatseinnahmen, so dass für Investitionen kein Geld übrig bleibt.
Die Serben haben in dieser Woche in ihrem Parlament in Banjaluka noch mal ihre Muskeln spielen lassen: Keine Verfassungsreform mit Abtretung von Zuständigkeiten der "Serbenrepublik" an den Gesamtstaat. Das ist aber die Voraussetzung für eine weitere Annäherung Bosniens an Brüssel. Schlimmer noch. Die vordergründigen Zugeständnisse bei der Polizeireform - ebenfalls eine Brüsseler Vorgabe - sollen wieder rückgängig gemacht werden. Und: Die Serben könnten sich vom Gesamtstaat abspalten und der "Mutterrepublik" Serbien anschließen.
Streitpunkt "Serbenrepublik"
Milorad Dodik ist als Ministerpräsident des serbischen Landesteils der unumstrittene Repräsentant dieser Politik. Muslimführer Haris Silajdzic will als sein Gegenpol die "Serbenrepublik" abschaffen, weil sie auf "Völkermord" gegründet sei. Weder die Abtrennung der Serben noch die Abschaffung ihres eigenen Landesteils komme in Frage, wiederholen die ausländischen Politiker gebetsmühlenartig. Er sei "schon ein wenig müde", bekannte Bosnien-Aufseher Lajcak. Die EU- Verteidigungsminister bereiten unterdessen enttäuscht den Abzug ihrer letzten 2125 von einst 35.000 Soldaten vor.
Nach rund 100.000 namentlich bekannten Toten und mehreren hunderttausend Verletzten im Krieg herrscht überall Stillstand. Die Infrastruktur ist marode, die soziale Not groß - Besserung ist nicht in Sicht. In einem Klima des gegenseitigen Hasses und Misstrauens gedeihen einzig die Kriminalität und die alles beherrschende Korruption. Schon vor drei Jahren hatte ein eigens eingerichteter Parlamentsausschuss auf Bundesebene festgestellt, dass von den damals 5,5 Milliarden Euro Hilfsgelder zwei Milliarden "verschollen" sind.
Thomas Brey, dpa
Quelle: ntv.de