Dossier

Rückenwind aus London Brown freut Brüssel

Rückenwind ausgerechnet aus London: Mit stolzgeschwellter Brust reist der britische Premierminister Gordon Brown zum EU-Gipfel nach Brüssel, schließlich hat er die Urkunde zur Ratifizierung des Reformvertrages von Lissabon in der Tasche, den die Queen kurz zuvor gebilligt hat. So kann sich Brown ausnahmsweise im Kreis der Staats- und Regierungschefs als derjenige sonnen, der die europäische Sache mustergültig voranbringt - für einen britischen Premier ein eher seltenes Vergnügen.

Dass nun das als EU-skeptisch bekannte Großbritannien als erstes Land nach dem Nein der Iren ratifizierte, löste bei den EU-Partnern allseits Erleichterung aus. "Das wird einen erheblichen Schub verursachen in der Debatte", hieß es aus deutschen Regierungskreisen. EU-Kommissionspräsident Jos Manuel Barroso bedankte sich bei Regierung und Parlament in London und gab die weitere Marschroute vor: "Ich rufe alle diejenigen, die den Vertrag noch nicht ratifiziert haben, auf, mit dem Ratifizierungsprozess fortzufahren."

Sinnlos gegen das irische Nein?

Nach dem Nein der Iren war der Ausgang der Abstimmung in London fraglich, die konservative Opposition hatte eine Verschiebung des Votums im Oberhaus gefordert. Der Chef der Konservativen, David Cameron, warf Brown vor, es sei "der Gipfel der Arroganz", dass die Regierung trotz des deutlichen Signals aus Dublin die Ratifizierung weiter durchziehe. Auch die Briten müssten ein Referendum abhalten, damit dem Reformvertrag "der letzte Sargnagel" gesetzt werden könne. Die Labour-Regierung hatte sich jedoch gegen das Referendum mit dem Hinweis gesträubt, dies sei juristisch nicht nötig, da es nur um die Änderung bestehender EU-Verträge gehe.

Die ehrwürdigen Lords, auf Lebenszeit im britischen Oberhaus vertreten, lieferten sich entsprechend heftige Wortgefechte. "Wenn der Vertrag wirklich tot ist, dann ist die nächste Etappe zwecklos und reine Zeitverschwendung", schimpfte Lord David Howell. Und Lord Richard Shepherd war bekümmert, dass er bei seinen Kollegen nicht genügend Sympathie für das irische Nein verspürte: "Warum können Sie sich nicht einfach darüber freuen, was das irische Volk getan hat?"

EU tritt weiter auf der Stelle

Von der Zuschauertribüne im Palace of Westminster hagelte es Proteste der Vertrags-Gegner, die Saalwächter verbannten vier von ihnen wegen ihrer lauten Zwischenrufe vom Ort des Geschehens. Schließlich billigten die Lords - das Unterhaus hatte im Frühjahr zugestimmt - den Vertrag am Mittwochabend in mündlicher Abstimmung. Nur wenige Stunden vor Beginn des Gipfels in Brüssel, fügte dann Queen Elizabeth II. ihren berühmten Zusatz "Die Königin will es" dem Text hinzu.

Von einer Lösung für das Vertragsproblem sind die EU-Partner gleichwohl weit entfernt. Der irische Premierminister Brian Cowen spielte in Brüssel erst einmal auf Zeit, denn es sei "zu früh zu sagen, welche Antwort nicht nur für Irland akzeptabel ist, sondern für Europa". Und andere EU-Partner wie Tschechien sehen im irischen Nein eine Bestätigung ihrer Position. So hält es der tschechische Präsident Vaclav Klaus, ein vehementer Europaskeptiker, für erwiesen, dass der Vertrag mit dem Nein der Iren "erledigt" sei. Grimmig kommentierte er die Abstimmung im britischen Oberhaus: "Ich denke, Patienten sollten wiederbelebt werden, aber keine Verträge."

Michael Thurston, AFP

Quelle: ntv.de

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