Westerwelles Liebeserklärung "Das werde ich nie vergessen"
25.04.2010, 16:11 UhrFDP-Chef Westerwelle zeigt eine ungewohnte Seite auf dem Parteitag in Köln. Voller Demut und Dankbarkeit tritt er seiner Partei gegenüber, weil sie ihm trotz des kritischen Dauerfeuers nicht von der Seite weicht. Ein dringend nötiges Signal an die Partei, zumal Westerwelle klar macht, dass er an seiner "geistig-politischen Erneuerung" festhalten will.

Westerwelle präsentierte sich ungewohnt demütig.
(Foto: dpa)
Plötzlich hört Guido Westerwelle auf zu schreien. Er senkt seine Stimme, spricht langsam und bedächtig. "Ja, es macht einen Unterschied, wenn man Regierungsverantwortung hat", erklärt er den versammelten Parteivertretern. "Manchmal drückt es auf die Seele." Der FDP-Vorsitzende hat eben über die Trauerfeier für die in Afghanistan getöteten Soldaten gesprochen, an der er am Tag zuvor teilgenommen hatte. Nun, auf dem Parteitag, gewährt er in einem ungewöhnlichen Auftritt Einblicke in sein Gefühlsleben der vergangenen sechs Monate.
"Es gab zwei Momente, an die ich voller Dankbarkeit zurückdenke". Westerwelle blickt in die Gesichter der Parteitagsmitglieder, ein Lächeln umspielt seine Lippen. "Der erste ist der Abend der Bundestagswahl." Jetzt grinst Westerwelle breit. "Als sie alle gesagt haben: Die schaffen das nicht." Eine Kunstpause folgt. "Das werde ich nie vergessen." Der andere Moment, fährt er fort, "ist einige Wochen her, als die Kritik so richtig auf uns eingehagelt ist". Westerwelle sucht den Blickkontakt zu Kameras und Publikum. Er scheint es zu genießen, im Hagel zu stehen und die Kritik auszuhalten. "Dass sich die FDP da nicht hat beirren lassen, dass sie Solidarität gezeigt hat, das vergesse ich Ihnen nie, meine Damen und Herrn", sagt er und lächelt so warm wie ein Westerwelle wohl lächeln kann. "Von dieser Solidarität können sich andere Parteien eine dicke fette Scheibe abschneiden."
Der Schreihals hat Pause
Westerwelle bietet einen ungewohnten Anblick gegen Ende seiner Rede auf dem Bundesparteitag in Köln. Dankbarkeit und Demut ist zu spüren, den Schreihals hat der FDP-Chef für einige Minuten abgestellt. "Ich weiß, dass es nicht an jeder Stelle einfach gewesen ist." Westerwelle spricht über Solidarität, die das Präsidium der Basis für das Durchhalten im Dauerfeuer der Kritik schulde. "Aber", hebt er die Stimme langsam wieder an, "sagen Sie den Bürgern eins: Es war nicht immer einfach, aber wenn ich mir die Alternative überlege – Rot-Rot-Grün – da möchte ich unser Land vor bewahren." Damit ist Westerwelle wieder zurück bei der großen Linie seiner Rede, dem Schreckgespenst eines Linksbündnisses in Deutschland.

Mild lächelnd verteilte der Parteichef Streicheleinheiten.
(Foto: dpa)
Es ist ein düsteres Bild, das Westerwelle zuvor in seiner gut anderthalb stündigen Rede von Deutschland gezeichnet hat. "Die geistig-politische Achse hat sich in den vergangenen Jahren verschoben", ruft er seinen Parteianhängern zu. In Richtung Staatsgläubigkeit, fährt er fort. Eine Geisteshaltung, in der Fleiß immer geringer geschätzt werde. "Ein solches Land, das Leistungsgerechtigkeit und soziale Gerechtigkeit nicht mehr als die zwei Seiten derselben Medaille begreift, legt die Axt an die Wurzel des Wohlstands für alle." Aufbrandender Applaus der mehr als 600 Delegierten. Das ist ihr Parteichef, der sich von den Kritikern nicht ins Boxhorn jagen lässt.
Klare Fronten
Wer geglaubt, gehofft oder gefürchtet hatte, Westerwelle werde auf dem Parteitag angesichts der anhaltend schlechten Umfragewerte und andauernden schlechten Presse zwei Wochen vor der Landtagswahl in NRW einen anderen Ton anschlagen, wird eines besseren belehrt. Westerwelles Parteitagsrede ist bis auf die warmen Worte für seine Partei eine einzige laute Kampfansage. Und Westerwelle macht das, was er als populistisch begabter Politiker zu gerne tut: Er polarisiert und spaltet, malt ein schwarzes Bild auf der einen, und die goldene Hoffnung der FDP auf der anderen Seite. "Welche Geisteshaltung soll Deutschland bestimmen?", lautet sein Motto vor der NRW-Wahl.
Wie schon sein neuer Generalsekretär Christian Lindner am Tag zuvor, ruft Westerwelle die Landtagswahl an Rhein und Ruhr zur Schicksalswahl in Deutschland aus. "Rot-Rot-Grün in NRW soll ein Probelauf werden für den Bund", ist er sich sicher. Ein Bündnis, das die Freiheit der Menschen bedrohe. "Dem stellen wir uns entgegen." Die Fronten für NRW sind schon seit Wochen geklärt.
Inhaltlich präsentiert der Parteichef auch sonst keine Neuigkeiten. Die FDP als letzter Rückzugsort der Leistungsträger, der Mittelschicht, der Leute, "die den Karren ziehen". Er wettert gegen zu viel Staatsgläubigkeit, die Entmündigung des Bürgers durch den Staat. "Nicht der Staat organisiert die Gesellschaft, sondern die Gesellschaft organisiert den Staat", ruft er unter Beifall ins Plenum.
Das Ziel dieser Angriffe ist der politische Gegner, die Linke, allen voran die "Kommunisten" der Linkspartei. Aber auch SPD und Grüne sowie auch die "Konservativen" kommen nicht zu kurz. Allesamt staatsgläubige Parteien, sagt Westerwelle, die die Freiheit des Einzelnen beschränken wollten.
Westerwelle will die Achse verschieben

Auf einer Linie: Westerwelle und der neue Generalsekretär Lindner.
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Der FDP-Chef reitet immer wieder auf diesem "Wettstreit der Geisteshaltungen" herum. Und er macht klar, dass er einen radikalen Politikwechsel fordert und sich davon nicht so leicht abbringen lassen will. Das kann auch als Drohung in Richtung der Union verstanden werden. Im Gegensatz zu Bundeskanzlerin Angela Merkel will die FDP das Land grundlegend verändern.
Westerwelle nennt diesen Politikwechsel die "geistig-politische Erneuerung unseres Landes". Dazu gehöre es, die Achse der Republik wieder in die Mitte zu verschieben. Wer so etwas fordere, das macht Westerwelle klar, muss sich auf Widerstände einstellen. Doch er sucht diese Konfrontation und stellt auch seine Partei darauf ein. "Die Tatsache, dass sie sich mit ihren Attacken so auf uns konzentrieren, hat einen einzigen Grund: Wir sind ihnen zu erfolgreich geworden", ruft er den jubelnden Anhängern zu.
Konfrontation mit dem Koalitionspartner
Zu dem von Westerwelle propagierten Politikwechsel gehört die von den Liberalen beschlossene Steuerentlastung um 16 Milliarden Euro ebenso wie die Kopfpauschale des Gesundheitsministers, der Kampf gegen die Einheitsschule, weitere Entlastungen für Familien, das Zulassen von Gentechnik und technologischem Fortschritt überhaupt sowie das verstärkte Eintreten für Bürgerrechte, etwa der Kampf gegen die Vorratsdatenspeicherung. Da keilt er auch gegen den eigenen Koalitionspartner: "Es reicht nicht, über jeden Bürger alles zu sammeln und zu wissen", sagt Westerwelle. Wer alles sammele, produziere nicht mehr Sicherheit, sondern eine Flut von Daten, die es unmöglich mache, die wirklich wichtigen Dinge zu erkennen.
Steuersenkungen, Gesundheitspolitik und Bürgerrechte – Westerwelle hat die großen Pflöcke seiner Partei vor der NRW-Wahl in den Boden gerammt. Zugleich wird deutlich, dass die FDP in der Koalition auf Konfrontationskurs bleiben wird. Die FDP stehe dafür, "keine Angst zu haben" und "sich auf die Zukunft zu freuen", hat Westerwelle seinen Anhängern nach den Worten der Dankbarkeit gesagt. Zumindest neue Zuversicht hat er ihnen mit auf den Weg bis zur NRW-Wahl gegeben.
Die Parteivertreter feiern die Rede ihres Vorsitzenden mit einem fünfminütigen Beifallsfeuer. Westerwelles Liebeserklärung , wie taktisch motiviert sie auch gewesen sein mag, stößt bei den Delegierten auf große Zufriedenheit. "Das hat dem Parteitag gut getan", frohlockt ein FDP-Vertreter.
Quelle: ntv.de