Rot-grüne Show für NRW Der schwarze Schatten bleibt
20.04.2010, 10:59 UhrSPD und Grüne treten erstmals wieder gemeinsam in die Öffentlichkeit und werben für einen Politikwechsel bei den Wahlen in NRW. Beide schließen ein Bündnis mit der CDU aber nicht aus. Was soll das Ganze also?

Wahlsieg fast schon in der Tasche? Grünen-Spitzenkandidatin Löhrmann, SPD-Kandidatin Kraft, SPD-Chef Gabriel sowie die Grünen-Chefs Özdemir und Roth (v.l.).
(Foto: APN)
Für Sigmar Gabriel ist Rot-Grün bereits ausgemacht: "Die Wahl ist entschieden", tönt der SPD-Chef vor der versammelten Hauptstadtpresse. "Das hängt nur noch von der Wahlbeteiligung ab." Gabriel stützt sich bei dieser waghalsig klingenden Prognose für die Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen auf die neuesten Umfragewerte. Demnach liegen Schwarz-Gelb und Rot-Grün zwar gleich auf. Gefragt nach ihrer Wunschkoalition spricht sich eine Mehrheit der Wähler aber für ein Bündnis aus SPD und Grünen aus. "Realistisch" seien die Chancen also, sagt Gabriel mit etwas mehr Bodenhaftung.
Die rot-grünen Wahlkämpfer wittern derzeit Morgenluft in NRW, was vor einigen Monaten noch als Hirngespinst erschien, ist nun greifbar: Bei der Landtagswahl am 9. Mai könnte die schwarz-gelbe Mehrheit von Ministerpräsident Jürgen Rüttgers kippen, am Ende könnte es gar für SPD und Grüne allein eine Mehrheit geben. Rot-Grün reloaded wäre die Auferstehung eines längst tot geglaubten Bündnisses aus Zeiten der Vier-Parteien-Parlamente.
Bloß kein "Revival"
Angesichts dieser geradezu historischen Aussichten hat sich Gabriel zu einem ungewöhnlichen Auftritt hinreißen lassen. Erstmals seit 2005 erscheinen Spitzenpolitiker von Grünen und SPD gemeinsam vor der Presse. Das hatten im Bund zuletzt Joschka Fischer und Gerhard Schröder getan. Doch solche Vergleiche weisen beide Parteien entschieden zurück. Es sei "kein rot-grünes Projekt" oder ein "Revival", geschweige denn eine "Retro-Veranstaltung". Die koalitionswilligen Politiker wollen einen "echten Politikwechsel schaffen" in NRW, nur das sei der Zweck, sagt Gabriel.
Worum es Gabriel sowie den beiden Grünen-Chefs Claudia Roth und Cem Özdemir geht, ist klar: Sie wollen den Urnengang an Rhein und Ruhr zu einer Abstimmung über die schwarz-gelbe Bundesregierung machen. Roth bezeichnet die Wahl folgerichtig als "ersten Stein, den wir aus der schwarz-gelben Mauer brechen". Deshalb flankieren die Chefs der Bundesparteien ihre Spitzenkandidatinnen aus NRW, Hannelore Kraft (SPD) und Sylvia Löhrmann (Grüne). Deshalb spielen Kopfpauschale, Steuerreform, Zeit- und Leiharbeit sowie Atomausstieg eine ebenso gewichtige Rolle wie Rüttgers und seine Bildungspolitik. Mit dem Bundesrat als Hebel wollen SPD und Grüne "schwarz-gelbes Durchregieren verhindern", sagt Grünen-Chefin Roth. NRW soll "wieder das soziale Gewissen des Landes sein", nennt es SPD-Spitzenkandidatin Kraft. Die Wahl wird gar zum "Referendum über den Atomsausstieg" erhoben.
Gabriels Versprecher
Der gemeinsame Auftritt vor der Bundespresskonferenz dient aber noch einem anderen Zweck: So sehr die Bundespolitik im NRW-Wahlkampf eine Rolle spielen soll, so wenig dürfen das andere Konstellationen als Rot-Grün. Gabriel umschmeichelt den Wunschpartner und lässt die Grünen sogar die eine oder andere Spitze in Richtung SPD verteilen. Etwa beim Thema Kohle, wo die SPD laut Grünen-Chef Özdemir hoffentlich noch dazulernen werde. Gabriel erklärt die Grünen schließlich gar zur "einzigen liberalen Partei des Landes", was die Grünen-Spitzenkandidatin auch als "wunderbares Kompliment" dankend annimmt. Die andauernde Botschaft dieses Tages: Es gibt keine anderen Koalitionen neben Rot-Grün.
Doch ausgerechnet Gabriel ist es, der mit einem geradezu freudschen Versprecher dafür sorgt, dass diese Botschaft nicht aufgehen wird. Während er von der bereits gewonnen Wahl tönt, die nur noch von der Wahlbeteiligung abhänge, rutscht ihm das böse Wort heraus: "Sieg für Rot-Rot-Grün". Da helfen keine Ausflüchte oder Verweise auf den Namen der Grünen-Chefin, Gabriel kann sich der Lacher im Saal ebenso sicher sein wie der Häme des politischen Gegners. Ausgerechnet ihm, dem rhetorischen Flaggschiff der SPD, passiert der verbale Fehltritt. Ausgerechnet Gabriel hat die Linke mit aufs Podium geholt. "Da saß die Angst im Nacken bei mir", versucht er es noch in einen Scherz zu retten.
Der schwarze Partner

Koalition nicht ausgeschlossen: Im Zweifel könnte Rüttgers ein sehr begehrter Mann sein.
(Foto: dpa)
Aber noch ein weiterer Schatten schwebt über der rot-grünen Inszenierung. Und keiner der Beteiligten scheint ein ernsthaftes Interesse zu haben, ihn zu vertreiben.
Es ist gleich die erste Frage, nachdem die Parteispitzen ihr rot-grünes Feuerwerk beendet haben. Was ist, wenn es für SPD und Grüne allein nicht reicht: Warum schließt Frau Löhrmann Schwarz-Grün nicht aus, wenn Herr Rüttgers so böse ist? Oder wieso ist die SPD explizit gegen eine Koalition mit den Linken, nicht aber mit der CDU? Ein beiderseitiger Ausschluss würde doch dem gemeinsamen Auftritt überhaupt erst die nötige Glaubwürdigkeit verleihen.
Die Spitzenkandidatin der Grünen weicht aus und sagt doch alles. "Rot-Grün ist die erste Option. Das andere ist die zweite. Über die sprechen wir heute nicht." SPD-Kandidatin Kraft ignoriert die Frage völlig und redet weiter über die Chancen von Rot-Grün. Doch die sind nach derzeitigem Umfragestand nur gegeben, wenn die Linke es nicht in den Landtag schafft. Weil das aber derzeit nicht sehr wahrscheinlich ist, wird nach dem 9. Mai doch über alle Optionen zu reden sein.
Quelle: ntv.de