Putins Demokratur Druck auf NGOs nimmt zu
16.10.2006, 10:19 UhrEin Aufschrei des Protests ging Anfang des Jahres durch die in- und ausländische Presse: Der Kreml weiche endgültig vom demokratischen Weg ab, hieß es damals. Anlass der Besorgnis war ein neues Gesetz, mit dem der Staat die Kontrolle über alle in Russland tätigen Nichtregierungsorganisationen (NGOs) verschärfte. Sechs Monate nach Inkrafttreten des Gesetzes wird es nun vor allem für die internationalen NGO-Vertretungen ernst. Bis zu diesem Mittwoch (18. Oktober) müssen sie sich beim Justizministerium neu registrieren, um legal in Russland weiterarbeiten zu dürfen.
Je näher der Stichtag rückt, desto größer wird die Nervosität. Mit Sorgenfalten auf der Stirn stehen Mitarbeiter der internationalen Organisationen bei den Behörden Schlange, um fehlende Papiere nachzureichen, Erklärungen abzugeben und Missverständnisse auszuräumen. Offiziellen Angaben zufolge sind bislang erst 67 von 200 ausländischen NGOs, die ihre Dokumente abgegeben haben, registriert worden. Die Anmeldungsprozedur sei sehr kompliziert, kritisiert Jens Siegert vom Moskauer Büro der deutschen Heinrich-Böll-Stiftung. "Es muss ein ganzer Dschungel an Dokumenten abgegeben werden." Andere NGOs beschweren sich vor allem über die Öffnungszeiten der zuständigen Behörde. Nur drei Stunden pro Woche kümmerten sich dort die Beamten um die Belange der gestressten Antragsteller.
Experten vermuten, dass Präsident Wladimir Putin - aufgeschreckt von der "Revolution in Orange" in der Ukraine im November 2004 - versuche, mit dem neuen Gesetz mehr Kontrolle über die Zivilgesellschaft auszuüben. Den Kreml treibe vor allem die Sorge, dass bei den Duma- und Präsidentschaftswahlen 2007 und 2008 die Opposition aus dem Ausland unterstützt werden könnte. "Das neue Gesetz ist definitiv ein nützliches Instrument, um künftig bei Bedarf gegen unliebsame zivile Organisationen vorzugehen", sagt Siegert.
Zu seiner Überraschung hat Siegert mittlerweile jedoch den Registrierungsbeleg für das russische Büro der Heinrich-Böll-Stiftung in der Tasche. Das Anmeldeverfahren habe sich kurz vor Fristablauf beschleunigt. Nach seinen Angaben sind in den letzten Tagen auch viele andere internationale NGOs im Eiltempo registriert worden. Die Konrad-Adenauer-Stiftung in Moskau demonstriert ebenfalls Zuversicht: "Wir haben zwar erst Anfang der Woche unsere Papiere abgegeben, aber wir rechnen fest damit, dass alles glatt läuft", sagt eine Mitarbeiterin. Wie die Böll-Stiftung ist die Konrad-Adenauer-Stiftung faktisch der Think Tank einer deutschen Partei: Die Böll-Stiftung ist Grünen-nah, die Adenauer-Stiftung CDU-nah.
Mitglieder anderer ausländischer Nichtregierungsorganisationen sind dagegen skeptischer: "Die russischen Behörden achten ganz genau darauf, für wen sie das Prozedere erleichtern und für wen nicht", sagt Sergej Zyplenkow, Büroleiter der russischen Greenpeace-Vertretung in Moskau. Vor allem Menschenrechts- und Umweltorganisationen hätten große Schwierigkeiten. Für Greenpeace interpretiert Zyplenkow das neue Gesetz auf seine Weise: "Wir sind eine russische NGO und daher auch nicht von der Registrierungspflicht für ausländische Vertretungen betroffen." Ob der russische Amtsschimmel das ähnlich sieht, bleibt abzuwarten. "Im schlimmsten Fall sperren sie unsere Konten und verhaften einige von uns", sagt der Moskauer Umweltaktivist mit sarkastischem Unterton.
Doch auch auf russische NGOs verschafft sich der Staat mit dem umstrittenen Gesetz größeren Zugriff. Seit April müssen alle in Russland tätigen Organisationen vierteljährig ihre Finanzen offen legen. Zudem verlangt das Gesetz Rechenschaft über laufende und geplante Projekte. Experten kritisieren daran besonders den bürokratischen Mehraufwand.
"Es gibt außerdem eine Menge geschickt versteckter Hintertürchen", sagt Zyplenkow. Besonders beunruhige ihn, dass die zuständige Kontrollbehörde demnächst Organisationen schließen dürfe, wenn diese die "nationalen Interessen Russlands" verletzten. "Was das wirklich bedeutet, hat uns bislang aber noch niemand erklärt", sagt der Greenpeace-Mitarbeiter.
(Angela Lieber, dpa)
Quelle: ntv.de