Plenarsitzungen in "Straps-Burg" Ehrenkodex sorgt für Aufregung
26.11.2008, 10:03 UhrEigentlich hat es Karin Riies-Jörgensen nur gut gemeint. Gemeinsam mit 36 anderen Europaabgeordneten aus Nordeuropa regte die dänische Grüne vor zwei Monaten an, die EU-Volksvertreter sollten nur noch in Hotels absteigen, in denen keine Prostituierten verkehren dürfen. Das Europarlament solle damit einen "kleinen Beitrag" zum Kampf gegen Prostitution und Frauenhandel leisten, forderten die Unterzeichner in einem Brief an Parlamentspräsident Hans-Gert Pöttering (CDU). Die EU-Parlamentarier sollten sich in einer Art Ehrenkodex verpflichten, nur noch "saubere" Hotels zu frequentieren.
Die Reaktion zumindest in den Medien war prompt. Deutsche Zeitungen verbreiteten sich genüsslich über das ausschweifende Leben in Straßburg, das während der monatlichen Plenarsitzungen für ein paar Tage in "Straps-Burg" verwandelt werde. Die FDP-Abgeordnete und Spitzenkandidatin ihrer Partei für die Europawahl 2009, Silvana Koch-Mehrin, goss nun noch zusätzliches Öl ins Feuer. In einem Interview mit der "Bunten" warf sie Parlamentskollegen vor, sich in Straßburg "wie im Landschulheim" zu benehmen. Sie handelten "nach dem Motto: Hier kennt mich keiner, hier kann ich machen was ich will".
Aufregung um ein Interview
Solche harsche Worte mussten im Parlament für Ärger sorgen. Der Vorsitzende der Fraktion der Europäischen Volkspartei (EVP), Joseph Daul, forderte Koch-Mehrin zu einer "öffentlichen und offiziellen" Entschuldigung auf. Sie habe die Abgeordneten "beschmutzt und beleidigt", entrüstete sich der Franzose. Der Chef der Grünen-Fraktion, Daniel Cohn-Bendit, spricht von einer "dümmlichen Sauberkeitskampagne" - entsprungen aus den "Phantasien von Frau Koch-Mehrin".
Die 38-Jährige kann die Aufregung nicht verstehen. Es sei "bemerkenswert und auch traurig", dass man sich über ihr Interview mehr aufrege, als über die "allgemein bekannte Tatsache". Zu der monatlichen Plenarsitzung kämen mehrere Tausend Menschen nach Straßburg - Abgeordnete, Assistenten, Dolmetscher, Angestellte des Parlaments und Journalisten. Dies ziehe, wie andere Großveranstaltungen auch, Prostituierte an. "In Straßburg ist der Unterschied zwischen Sitzungswochen und sitzungsfreien Wochen leider recht offensichtlich. Das ist keine gute Sache für das Parlament."
Signal nicht in Sicht
Dies meint auch ein Sprecher der französischen Organisation "Le Nid", die seit mehreren Jahrzehnten gegen Prostitution ankämpft. Politiker sollten nicht von einem "System profitieren, das zumeist junge und hilflose Mädchen ausbeutet." Der von den nordischen EU-Abgeordneten angeregte "Ehrenkodex" wäre ein "sehr postives und starkes" Signal.
Noch ist dieses Signal freilich nicht in Sicht. Parlamentspräsident Pöttering leitete den Brief an den "Ältestenrat" weiter - sechs Abgeordnete, die sich im Parlament um praktische Probleme kümmern. Sie sollen den Vorstoß prüfen und Vorschläge vorlegen. Sehr weit seien die Beratungen aber bisher nicht fortgeschritten, räumt ein Parlamentssprecher ein. Die Initiative stoße "nicht gerade auf viel Gegenliebe", zumal sie dem Image des Parlaments schade - ausgerechnet einige Monate vor der Europawahl. Die Quästoren, unter ihnen der CSU-Abgeordnete Ingo Friedrich und der niederländische Liberale Jan Mulder, wollen zu dem heiklen Thema nichts sagen. "Es gibt noch keinen Beschluss", betont der Assistent Mulders. "Das Ganze ist eine schwierige Sache."
Die Dänin Riis-Jörgensen hat für dieses Zaudern wenig Verständnis. Das Europaparlament brauche nur dem Beispiel des Nordischen Rates zu folgen. Die Mitglieder dieser parlamentarischen Plattform hätten sich verpflichtet, nur in Hotels zu verkehren, die sich nicht am "Geschäft mit Sex" beteiligten.
Für den Vorsitzenden des elsässischen Hotelverbandes, Patrick Diebold, ist die ganze Debatte "lächerlich". In Frankreich riskierten Hotels, die Gästen Prostituierte oder Call Girls vermitteln, ein Strafverfahren wegen Zuhälterei. Kein seriöses Hotel riskiere so etwas. Allerdings könne niemand einen Gast daran hindern, eine Frau mit aufs Zimmer zu nehmen, die er in einer Bar oder dank einschlägiger Internet-Vermittler kennengelernt habe. "Dagegen hilft auch der beste Ehrenkodex nichts."
Quelle: ntv.de, Jutta Hartlieb, AFP