Käßmann spricht in München "Erfrischend und zukunftsweisend"
13.05.2010, 15:28 UhrDie Bibelauslegung ist ihr erster Auftritt nach der Alkoholfahrt: Auf dem Ökumenischen Kirchentag widmet sich Käßmann der Arche Noah - und schlägt den Bogen zum Afghanistan-Krieg.

Die ehemaligen Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland, Margot Käßmann, bekräftigt ihre Ablehnung des Afghanistan-Einsatzes.
(Foto: dpa)
War sie je weg? Da steht Margot Käßmann am Mikrofon, im eleganten schwarz-weißen Kostüm, und spricht, wie viele Gläubige es von ihr lieben: Mit klaren, lebensnahen Worten und ohne Furcht vor Konventionen. Die Bibelauslegung auf dem Ökumenischen Kirchentag ist Käßmanns erster großer Auftritt seit jenem Tag im Februar, als sie mit einem Alkoholwert von 1,54 Promille im Blut ihre Limousine über eine rote Ampel steuerte und von einer Polizeistreife gefasst wurde. Die begeisterte Resonanz des Münchner Publikums zeigt, wie sehr die 51-Jährige seit ihrem damaligen Rücktritt von der Spitze der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) vermisst wird.
Mehr als 6000 Teilnehmer des Ökumenischen Kirchentags sind an diesem Himmelfahrtstag in aller Früh in die Messehalle C1 gekommen, um die ehemalige Hannoveraner Landesbischöfin zu hören. Mehr Zuschauer passten nicht in die Halle. Käßmann hat sich die Stelle von Noah und seiner Arche für ihre Bibelarbeit ausgesucht und gibt den Zuhörern einen neuen Blick auf die Stelle.
"Wer hat die Toiletten gereinigt?"
"Wer hat gekocht auf der Arche, wer hat die Küche aufgeräumt, wer hat die Toilette gereinigt?", fragt sie, um auf den gerne vergessenen Anteil der Frauen hinzuweisen. Kurz darauf spannt Käßmann einen Bogen ins Heute, zu den Witwen und Müttern der in Afghanistan getöteten Soldaten. So wie in der Geschichte von der Arche Noah würden auch heute die Frauen keine Rolle spielen, in keinem Gedenken für die Toten kämen sie vor. "Offenbar bleibt dieser Krieg eine Männerwelt. Verstehen deshalb Frauen nichts von Krieg?"
Käßmann weiß, dass sie mit ihrer Kritik am Afghanistan-Einsatz zum Jahresbeginn vielen aus der Seele gesprochen hat. Sie nutzt deshalb auch ihre Bibelauslegung, um noch einmal zu wiederholen, dass sie bis heute den Bundeswehr-Einsatz ablehnt. "Ich lasse mir gerne Naivität vorwerfen", sagt sie an die Adresse ihrer Kritiker. Sie halte aber ein gemeinsames Gebet mit Taliban in deren Zelt jedenfalls eher für zum Frieden führend als das Bombardement von Tanklastern, sagte sie mit Blick auf den verheerenden Luftangriff bei Kundus vom vergangenen September.
"Sie geht den klaren Weg"
Wolfgang Herberg verfolgt die Bibelauslegung etwa 40 Reihen von Käßmanns Rednerpult entfernt. Der aus Ennepetal zum Kirchentag gereiste Mittfünfziger war schon früher Käßmann-Fan und ist es noch heute, gerade wegen dieser klaren Worte. "Erfrischend und zukunftsweisend" sei die Geistliche schon immer gewesen. Er bedauere von ganzem Herzen ihren Rücktritt, sagt Herberg. Und dennoch: Angesichts ihres stets konsequenten Auftretens sei auch dieser Rücktritt nur konsequent gewesen.

Zahlreiche Gläubige nehmen an der Bibelarbeit mit Käßmann teil.
(Foto: dpa)
Ähnlich sehen es Brigitte Wahle und Kerstin Heppener, die aus dem Ruhrgebiet nach München gekommen sind. "Sie ist damals zurückgetreten, weil sie immer den ganz klaren Weg geht", sagt Heppener. Gerade wegen dieser Klarheit seien sie Käßmann-Fans, sagt Wahle. "Sie spricht aus dem Leben." Und Kirchentagsbesucherin Christina Helmes ergänzt, "sie war ein Vorbild auch im Scheitern."
Nur an einer kleinen Stelle greift Käßmann, die derzeit keine Interviews gibt, auch ihr Verkehrsvergehen auf. In den "Zeiten zwischen Sintflut und Neubeginn" bräuchten die Menschen die Ermutigung des Glaubens besonders. "Der Verlust des Arbeitsplatzes, eine verlorene Liebe, eine rote Ampel" könnten solche Zeiten sein. Vielleicht als Erklärung ihres vielen unerklärlichen Fehltritts schiebt die vielen lange als perfekt erscheinende Käßmann noch eine Bewertung des Menschen nach: "Wir sind Mängelexemplare."
Bravorufe für Käßmann
Vereinzelt rufen Teilnehmer der Bibelarbeit immer wieder "Bravo", an manchen Stellen brandet lauter Applaus auf. Auch der Ennepetaler Herberg ist begeistert von Käßmann. Vor dem Hintergrund des Kirchentagsmottos "Damit ihr Hoffnung habt" hegt er einen Traum, den wohl manche der evangelischen Teilnehmer des ÖKT haben. "Ich habe die Hoffnung, dass sie in drei, vier Jahren in herausgehobener Position wieder kommt. Man trägt ja nicht sein ganzes Leben an dieser Schuld."
Quelle: ntv.de, Ralf Isermann, AFP